Fußball:Der Tottismus ist am Ende

Francesco Totti AS Roma vs Torino FC

Francesco Totti feiert sein Tor gege den FC Turin.

(Foto: dpa)

Von Birgit Schönau, Rom

"Es war ein schönes Gefühl", murmelte Francesco Totti im Keller des Olympiastadions, bevor er in die römische Nacht entschwand. Mehr wollte er dazu nicht sagen, die Freunde warteten schon - im Restaurant "Dante", auf halbem Weg zwischen Stadion und Petersdom. Draußen blieb Tottis Stadt mit jenem schönen Gefühl, gerade Zeuge eines legendären Auftritts gewesen zu sein. Eines Fußballspiels, das in die Annalen eingeht, dabei war es nur ein 3:2-Sieg in der Liga über den FC Turin.

Und doch heulten auf der Tribüne gestandene Männer, tätowiert wie die Galeerensklaven, Rotz und Wasser. Sie waren ergriffen, ja erschüttert von den Heldentaten eines fast 40 Jahre alten Familienvaters, der genüsslich am rechten Daumen lutscht, wenn er ein Tor gemacht hat.

Romulus, Augustus, Totti - das ist die römische Dreieinigkeit

Als nach dem Schlusspfiff aus den Stadionlautsprechern das Vereinshalleluja "Grazie Roma" ertönte, wandelte das Publikum flugs den Text um: Danke Totti, der du uns zum Weinen bringst und dazu, uns zu umarmen. Dank dir, Totti, fühlen wir uns wie neugeboren! "Der Tottismus", erklärte am nächsten Morgen die Zeitung Il Messaggero, "ist die einzige Religion, die wirklich niemandem wehtut." Das war das Prediger-Wort zum Donnerstag.

An diesem Feiertag, Roms Geburtstag Nummer 2769, hatten die städtischen Bediensteten frei, und überall wehten gelbrote Fahnen. Die Ausgehuniform an diesem Tag war das Roma-Trikot mit der Nummer 10. Getragen von den Markthändlern in Testaccio und den bengalischen Fensterputzern an den Ampeln. Romulus, Augustus und Totti, das ist die römische Dreieinigkeit. Einer hat die Stadt gegründet, der nächste ein Imperium erobert. Und der dritte spielt Fußball - jetzt und in alle Ewigkeit.

Totti ist längst ein Monument wie das Kolosseum

Zwei Minuten hatte Totti am Mittwochabend gebraucht, um seine Stadt wieder mal zu verzaubern. Zwei Minuten für zwei Tore. Der FC Turin führte 2:1, als AS-Roma-Trainer Luciano Spalletti sich in der 86. Minute endlich dazu durchrang, den Kapitän einzuwechseln, nach schier endlosen Aufwärmübungen. Francesco Totti betrat den Rasen - und 17 Sekunden später stand es 2:2. Eine akrobatische Drehung im Strafraum, und der Ball war drin. Kurz danach wurde den Gastgebern ein zweifelhafter Handelfmeter gewährt. Totti traf zum 3:2-Siegtreffer. Es folgten enthusiastische Huldigungen von Kollegen und Publikum. Die linkische Umarmung seines Übungsleiters Spalletti ließ Totti an sich abperlen. Rache soll man kalt genießen.

Die Intimfeindschaft zwischen Totti und Spalletti hält die Fans seit Wochen in Atem. Mitte Januar war der 57 Jahre alte Trainer nach Jahren bei Zenit St. Petersburg mit zwei russischen Meistertiteln nach Rom zurückgekehrt, wo er bis 2009 bereits vier Jahre lang gearbeitet hatte. Auch damals war Totti schon Spallettis Kapitän, vor allem aber war er längst ein römisches Monument wie das Kolosseum oder der Trevi-Brunnen. Totti spielt seit 23 Jahren in der ersten Mannschaft, führt sie seit 1998, wurde 2001 mit der Roma Meister und 2006 Weltmeister mit Italien.

Talent kennt keine Pensionsgrenze

Als einziger Spieler besitzt er Anteile am Klub und hat sein eigenes Büro. Doch das sind Äußerlichkeiten. Die grenzenlose Verehrung der Fans verleiht Totti Macht. Lange konnte er über Teamkollegen und Trainer bestimmen, vermutlich war er auch an Spallettis Verabschiedung 2009 beteiligt. Als der Coach jetzt zurück kam, war Totti immer noch da, mit Vertrag bis Ende Mai.

Klubpräsident James Pallotta, ein Italo-Amerikaner mit Wohnsitz in Boston, weigert sich, zu verlängern. Er will Totti noch nicht mal umsonst spielen lassen, das römische Idol ist dem amerikanischen Geschäftsmann zu unbequem. Als Totti merkte, dass sein Chef ihn kaltstellen will, gab er schnell der italienischen Tagesschau ein Interview, in dem er Respekt für seine Lebensleistung verlangte. Die Tagesschau stieg groß ein - es ging schließlich um den populärsten Fußballer Italiens.

Pallotta versteht Rom nicht. Und Spalletti kapiert Totti nicht. Beide tun so, als sei die Roma ein normaler Klub in einer normalen Stadt. Und als sei der Kapitän ein normaler Spieler. Rom hat seit Monaten keinen Bürgermeister, aber immer noch 23 Radiosender, die sich nur mit Lokalfußball beschäftigen. Ein böses Wort gegen Totti kann sich weder ein Politiker noch ein Kardinal leisten, ein Spalletti schon gar nicht. Am vergangenen Sonntag, als seine Mannschaft gegen Bergamo zu verlieren drohte, wechselte Spalletti seinen Edelreservisten 13 Minuten vor Schluss ein. Prompt traf Totti zum Ausgleich. Trotzdem stritten sich die beiden laut Augenzeugenberichten, dass die Fetzen flogen: "Seit zehn Jahren macht ihr eine Sch...figur!", soll der Trainer die Mannschaft angeschrien haben. Als Totti auf sein Tor hinwies, brüllte ihn Spalletti an: "Sei ruhig, du spielst doch bis 2 Uhr in der Nacht Karten!" Nachfolgende Handgreiflichkeiten wurden von beiden Seiten dementiert.

"Er trainiert jetzt wieder ordentlich"

Im September wird Totti 40: "Er trainiert jetzt wieder ordentlich", berichtete Spalletti nach der Gala am Mittwoch. Und gestand mit schiefem Lächeln, er sei es leid, immer als "böser Bube" dargestellt zu werden, "in der Rolle des Spielverderbers, dabei will ich nur das Beste für die Mannschaft". Das mag alles sein, aber darum geht es nicht.

Das Talent kennt keine Pensionsgrenze und keine Hierarchien, es entfaltet sich nach eigenen Regeln. Der brave Spalletti sollte sich vom Saulus zum Paulus wandeln. Denn der Tottismus ist die einzige Religion, die niemandem wehtut. Und mehr kann man eigentlich nicht wollen vom Fußball in diesen Zeiten.

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