Fußball-Bundestrainerin Neid:"Wer nicht mitzieht, hat Pech gehabt"

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Frauenfußball-Bundestrainer Silvia Neid über ihren Führungsstil, ihre sportlichen Ziele und den Männerfußball.

Kathrin Steinbichler

Als Welt- und Europameister gehört die deutsche Fußball-Nationalmannschaft der Frauen zu den Favoriten bei Olympia. Für Silvia Neid, 44, ist es die vierte Teilnahme an den Spielen: Nach der Premiere als Aktive 1996 gewann Neid 2000 und 2004 als Assistenztrainerin Bronze. 2008 in China soll es Gold werden, auch wenn schon in der Vorrunde in Brasilien, Nigeria und Nordkorea schwere Gegner warten. Am Donnerstag nominierte Neid nach dem 3:0 im Test gegen England ihren 18er-Olympia-Kader. Im SZ-Interview wird klar: Zart besaitet sollten die Spielerinnen nicht sein.

SZ: Frau Neid, bei der Olympia-Einkleidung mussten Sie wieder Ihre Schuhgröße angeben, dabei sollte die doch noch bekannt sein.

Silvia Neid: Eigentlich schon, ich habe weiterhin 38 ½, wie vor vier Jahren in Athen.

SZ: In Athen waren Sie noch die Assistentin von Tina Theune-Meyer. Ein Jahr später haben Sie übernommen und mit dem WM-Gewinn 2007 in China das höchste Ziel erreicht. Beruhigend, oder?

Neid: Mit dem Titel habe ich ein wenig Ruhe. Aber wir im Trainerstab wissen, dass wir hart arbeiten müssen, um oben zu bleiben.

SZ: Hatten Sie Angst zu scheitern?

Neid: Das Risiko war hoch, aber ich weiß auch ungefähr, was ich kann, und ich kannte die Spielerinnen - das war eine Herausforderung. Deshalb wollte ich es machen, egal, wie es ausgeht. Mir ging es ja auch darum, dass alles mehr professionalisiert wird. Ich wollte einen Torwarttrainer, der immer für uns da ist, nicht nur ein paar Monate. Auch einen Athletiktrainer, der die Spielerinnen das ganze Jahr über betreut, nicht nur, wenn man vor einem Highlight steht.

Ich bekam in Ulrike Ballweg auch eine feste Assistentin, die sich auf diese Aufgabe konzentrieren kann. Auch die Verpflichtung von Maren Meinert in den Trainerstab war wichtig, weil wir die gleiche Philosophie haben. Das passt: Maren ist besonnen und dynamisch, Uli ganz ruhig, und ich eben so, wie ich bin.

SZ: Nämlich?

Neid: Impulsiv, direkt. Sehr direkt. Ich glaube, das ist für die Spielerinnen manchmal nicht so schön. Aber für mich ist wichtig: Auf dem Feld muss gearbeitet werden, da kann man nicht so viel Zeit mit Lachen verbringen. Nach dem Training oder dem Spiel bin ich auch Kumpeltyp, aber auf dem Feld, da will ich Leistung haben.

Man muss Spielerinnen auch reizen, damit sie an ihre Grenzen gehen. Man muss auch mal Kontrapunkte setzten, damit die Spielerinnen etwas haben, wo sie dagegen sind und daran zusammenwachsen können. Und es gibt ja auch Spielerinnen wie Birgit Prinz oder Ariane Hingst, die intern klar sagen, was Sache ist.

SZ: Man darf als Trainer also nicht beliebt sein wollen?

Neid: Ganz bestimmt nicht. Du kannst es nicht jedem recht machen und musst wissen: Du bist nicht beliebt! Vielleicht bei den ersten elf, aber ab der zwölften geht es schon los mit dem Ärger, weil sie nicht spielt. Man mag ja die Leute, mit denen man arbeitet, die eine mehr, die andere weniger, aber wenn es darum geht, auf den Platz zu gehen und zu gewinnen, sind für mich alle gleich. Wer nicht mitzieht, hat Pech gehabt. Da zählt nur die Leistung. Da kann ich sehr gut trennen.

SZ: Sie haben vor der Olympia-Nominierung gesagt: ,Wer führen will, muss auch verletzen können'. Wann haben Sie das Gefühl zu verletzen?

Neid: In Momenten, in denen man Kritik übt. Manchmal muss Kritik hart sein, damit sie verstanden wird. Etwa so: Ich habe es dir schon 100 Mal gesagt, und jetzt erwarte ich, dass es klappt! Wenn nicht, kann ich nicht noch drei Jahre warten, bis du soweit bist! Man muss Ziele klar formulieren. Wenn man etwas erwartet von einer Spielerin, muss die das irgendwann umsetzen. Wenn nicht, muss man eben eine andere aufbauen auf der Position. Ich habe Regeln. Wer sich daran nicht hält, spielt nicht.

SZ: Eine von den Jungen, die vor der WM 2007 eine Überraschung war und inzwischen wie selbstverständlich in der Stammelf steht, ist Simone Laudehr aus Duisburg. Woher nehmen Sie bei einer Nominierung die Gewissheit: Das passt?

Neid: Man sieht sie täglich im Training, kennt Stärken und Schwächen. Und dann muss ich ein gutes Bauchgefühl haben, um zu sagen: Die nehm' ich!

SZ: Hat Sie Ihr Gefühl je getrogen?

Neid: Mein Bauchgefühl verlässt mich eigentlich sehr, sehr selten. Ich muss mich mit einer Entscheidung wohlfühlen, dann kann ich sie durchziehen. Da können Hunderttausend andere sagen: Du hättest lieber die oder die mitnehmen sollen - ist mir wurscht. Da denke ich nur: Ihr habt sie nicht drei Wochen lang gesehen, ich weiß, was ich da tue und muss das auch nicht jedem erklären. Natürlich fällt eine Spielerin, die vorher gut war, plötzlich mal in ein Loch. Aber die kann ich dann auch sehr gut verteidigen.

SZ: Was muss eine Neu-Nationalspielerin mitbringen und lernen, um vor Ihren strengen Augen Gnade zu finden?

Neid: Wenn die Spielerinnen zu uns kommen, geht es anfangs immer um das Gleiche: Um Abwehrverhalten und Aggressivität. In ihren Klubs spielen sie teilweise andere Positionen oder ein anderes System, und im Zweikampfverhalten brauchen sie in der Bundesliga nur etwa 70 Prozent von dem, was international gefordert ist. Danach geht es um Schärfe im Passspiel, weil in der Liga auch mal ein schwacher Pass genügt, um Raum zu gewinnen. Aber wenn eine international so passt, geht die Gegnerin dazwischen. Das ist ein enormer Unterschied, und den zu verringern, daran arbeiten wir.

SZ: Sie sind erst seit 2005 Bundestrainerin und können schon einen WM-Titel - verbunden mit dem Bundesverdienstkreuz - vorweisen. Was kommt da noch?

Neid: Ganz viel, ich bin kein bisschen müde. Es wird auch mal schlechtere Zeiten geben, etwa, dass man bei einem Turnier früh ausscheidet. Ich bin da Realistin. Und was unmittelbar kommt? Erst Olympia - unser Ziel ist ganz klar die Goldmedaille. Nächstes Jahr die EM in Finnland, die würde ich auch gerne gewinnen. 2010 steht die U20-WM, 2011 dann unser Turnier, die Frauen-WM, an, beides in Deutschland. Etwas Größeres gibt es nicht für eine Trainerin.

SZ: Und anschließend wechseln Sie zum Männerfußball?

Neid: Für mich war immer klar: Ich will den Frauenfußball entwickeln, dafür tickt mein Herz, das war schon als Spielerin so. Der Männerfußball hat so viele gute Trainer, der braucht mich nicht. Aber der Frauenfußball braucht gute Trainer, das ist mir wichtig. Mein Vertrag mit dem DFB läuft bis 2013 - habe ich dann noch Spaß daran, würde ich es wohl auch länger machen. Einen Trainerposten im Männerfußball würde ich mir schon zutrauen, weil ich, denke ich, schon einen Plan habe vom Spiel. Aber die Frage ist, ob ich da akzeptiert würde. Als Frau hat man es unheimlich schwer im Männer-Profifußball.

Interview:

© SZ vom 19.07.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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