Fußball-Bundesliga:Wem gehört Hannover 96?

BSC Bonn v Hanover 96 - DFB Cup First Round

Ein "Kind muss weg"-Plakat gehört inzwischen zu jedem Fußballspiel von Hannover 96, so wie hier bei der DFB-Pokal-Partie in Bonn.

(Foto: Wolfgang Rattay/Reuters)
  • Der Streit bei Hannover 96 eskaliert: Am Sonntag gegen Schalke drohen die eigenen Fans zu schweigen.
  • Dabei geht es um die grundsätzliche Frage: Wem gehört ein Fußballverein?

Von Thomas Hahn, Hannover

Die Zeitungen schreiben ohnehin, was sie wollen, deshalb will sich Martin Kind nicht aufregen. Aber dass ein Weltuntergang stattfinde, kann er nicht bestätigen, und die Risse, die andere im Himmel über Hannover 96 sehen, sind für ihn, den Präsidenten, allenfalls Kratzer. 96 ist zurück in der Bundesliga, das nervige Jahr Zweitklassigkeit Geschichte. Am Sonntag folgt die Heimpremiere nach dem Aufstieg. Schalke kommt, ein angemessener Gegner, der die Aura des größeren Fußballs wieder wach werden lässt in der Arena am Maschsee. "Die Stimmung in Hannover ist positiv", sagt Kind, "die Erwartung ist groß, die Unterstützung ist groß."

Und die Kratzer? Fans haben einen Stimmungsboykott ausgerufen; Kritiker rühren sich, weil nach Kinds Willen von 2018 an nur noch Unternehmer das Sagen haben sollen beim Traditionsklub Hannover 96. "Ja gut", sagt Kind und will so ungerührt wie möglich wirken, "das ist so. Das ist auch alles legitim."

Der Flachpass ist manchmal die beste Verteidigung, vor allem für einen Wirtschaftsmenschen wie Martin Kind, 73, der seine Pläne umsetzen will. Entrüstung schadet dem Geschäft. Ruhe nicht, deshalb findet Kind auch nicht, dass Hannover mit seinen inneren Konflikten gerade der spannendste Klub der Bundesliga ist. Selig fand er die Zeiten, in denen er fast unbehelligt wirken konnte beim Uralt-Meister Hannover. Seit 20 Jahren betreibt der Hörgeräte-Fabrikant das Fußball-Geschäft hier. In der Not haben sie ihn 1997 gerufen, als der Klub in der Regionalliga, in Schulden und Streit steckte.

Und waren nicht alle zufrieden, als er mit unternehmerischer Strenge eine neue 96-Ära einleitete, 1999 die Lizenzspieler-Abteilung ausgliederte in eine Kommandit-Gesellschaft auf Aktien (KGaA), Investoren gewann, den Klub in die Bundesliga führte, den Stadionneubau betrieb? Jetzt plötzlich ist der Unmut da, wo er doch kurz davor steht, sein Werk zu vollenden: nämlich wie schon Leverkusen oder Wolfsburg eine Ausnahme von der 50+1-Regel durchzukriegen, mit der die Deutsche Fußball-Liga (DFL) die gemeinnützigen eingetragenen Vereine (e.V.), die Keimzellen der großen Fußballmarken, vor dem Ausverkauf schützt. Indem sie ihnen eine 50+1-Prozent-Mehrheit am Profibetrieb zusichert.

Kind und "die sogenannte Opposition"

Kind hält die Regel für einen Verstoß gegen das Unternehmensrecht. Er findet, fachfremde Abteilungen und Breitensport-Vertreter sollten im millionenschweren Fußballkommerz nicht mitmischen und sich "auf ihre Kernkompetenzen konzentrieren". Alles ist vorbereitet. Im Grunde muss nur noch der DFL-Vorstand zustimmen, dann können er und die anderen Investoren dem Hannover 96 e. V. die Mehrheitsanteile an der Hannover 96 Management GmbH für 12 750 Euro abkaufen und den letzten Faden kappen, der dem e.V. einen Einfluss aufs Profigeschäft lässt.

Warum der Unmut? Warum erst jetzt? "Das müssen Sie schon die sogenannte Opposition fragen", antwortet Kind.

Er sitzt in der Zentrale seines Hörgeräte-Unternehmens in Burgwedel. Jeans, offener Hemdkragen, verbindliche Freundlichkeit. Er erklärt dieser Tage oft, worum es gerade geht bei Hannover 96. So gleichgültig ist es also doch nicht, dass der Verein "Pro Verein 1896" beharrlich gegen das Kind-System wirbt. Und dass die Seite Ultras-Hannover.de am 11. August meldete: "Auf dem heutigen Fanszenetreffen wurde beschlossen, dass seitens der aktiven Fanszene ab sofort im Stadion protestiert wird und keine organisierte Unterstützung mehr stattfindet. 50+1 muss bleiben! Kind muss weg!" Schon beim 1:0-Auftaktsieg in Mainz waren die 2000 Mitgereisten sehr ruhig. Torschütze Martin Harnik sagte: "Mir graut es, wenn ich mir vorstelle, dass sie auch am Sonntag so ruhig sind."

"Ich bedaure, dass die Mannschaft mit dem Thema belastet wird", sagt Kind. Es ist, als wolle er den Fans zurufen: Nehmt mich, lasst die Jungs in Ruhe. Denn er wankt nicht. "Nein", sagt Kind, "ich bin belastbar und konfliktfähig."

Das muss man auch sein in Hannover. Streit und Nachrede scheinen hier etwas lauter zu sein als anderswo. Neulich erst ist mit einem riesigen Knall die niedersächsische Landesregierung geplatzt, weil eine Abgeordnete plötzlich von der Grünen-Fraktion zur CDU wechselte und so die rot-grüne Einstimmen-Mehrheit kaputt machte. Seltsam. Oder doch logisch in dieser irgendwie klein gebliebenen 500 000-Einwohner-Metropole, die von sich selbst nicht so genau weiß, ob sie eher beschaulich oder eher geschäftig ist?

Und was sagt die Opposition?

Die lokale Prominenz scheint jedenfalls immer mit einem Bein in der Provinz zu stehen. Zu plump feiert sie ihre Großartigkeit, zu leichtfertig lässt sie die Interessen von Wirtschaft, Politik und Sonstigem verschwimmen. Der Begriff "Maschsee-Mafia" stammt von hier. Kann sein, dass er übertrieben ist, aber er steht für eine Freundeskreis-Kultur, die irgendwie offen, aber dann doch wieder so geheimnisvoll ist, dass Normalbürger sich oft fragen, wer hier wohl wem welchen Gefallen tut.

Martin Kind ist auch so ein Netzwerker. Ex-Kanzler Gerhard Schröder konnte er als Aufsichtsratschef für Hannover 96 gewinnen. Bis zum vergangenen Jahr war der Verlag Madsack, Herausgeber der beiden bedeutendsten Tageszeitungen in Hannover, Mitgesellschafter. Der Drogerie-Unternehmer und Kind-Freund Dirk Roßmann ist der zweitwichtigste Investor im Klub. Und auch sonst sind die Strecken hier so kurz, dass einer wie Kind bei manchen Entscheidungen vielleicht auch mal den Umweg über die Basis vergisst.

Robin Krakau und Ralf Nestler sind pünktlich. Sie freuen sich, über ihre Bedenken sprechen zu können, denn so richtig kommt man als Kind-Kritiker nicht zum Zuge in Hannover. Krakau, 36, und Nestler, 51, sind beseelte Fußballfans. Krakau gehört zur Interessengemeinschaft "Pro Verein 1896", die sich 2015 aus Protest gegen Kinds Machtfülle gründete. Nestler sitzt im Aufsichtsrat des Hannover 96 e.V. Er hat dagegen gestimmt, dass die Mehrheitsrechte des e.V. an die Investoren um Kind gehen. Er hatte seine Haltung mit dem Gutachten des Ex-DFL-Geschäftsführers Christian Müller unterlegt, wonach der Verkaufspreis von 12 750 Euro um viele Millionen zu niedrig sei. Vergeblich. Mit 2:3 Stimmen ging der Verkauf durch.

Was will Hannover 96 in China?

Nestler und Krakau können erklären, warum die Erregung erst jetzt hochkocht. Krakau sieht das Jahr 2014 als "Weckruf". Damals kaufte die Hannover 96 Sales & Service GmbH & Co. (S&S), also die Investorengruppe um Kind, dem e.V. zur Überraschung der Öffentlichkeit die letzten Anteile an der ausgegliederten Profifußball-Abteilung ab. Der Einfluss des e.V. auf das Fußballgeschäft hing so nur noch an der Management GmbH, über die der Verein die Geschäftsführung der Profifußball-KGaA bestellen konnte - und die Kind nun auch übernehmen will. Die Madsack-Medien stellten das nicht wirklich infrage. Es dauerte, bis viele feststellten, dass man den Vorgang auch schlecht finden kann.

Ralf Nestler ist Jurist. Er witterte schon, was kommen würde, als Kind 2011 in einem Schiedsgerichtsverfahren gegen die DFL seine Chance auf Befreiung von der 50+1-Regel mit Erfolg einklagte. Der Kompromiss lautet, grob gesagt: Nach 20 Jahren erheblichen Engagements kann ein Unternehmer die Mehrheitsanteile am Fußballgeschäft übernehmen. Heute ist Nestler einer der lautesten Kind-Kritiker. Sein Eindruck: Kind habe den e.V. mit seinen 15 Abteilungen und 20 000 Mitgliedern nur benutzt, um eine reine Fußballfirma aufzuziehen. "Ist das alles fair gelaufen? Die Frage muss erlaubt sein." Krakau stimmt zu: "Herr Kind hat in vielen Bereichen viele werthaltige Rechte aus dem e.V. zu extrem günstigen Preisen herausgelöst und in Unternehmen überführt, in denen er das Sagen hat oder Hauptanteilseigner ist." Er hat Respekt vor Kinds Verdiensten. Aber wie Nestler bezweifelt er, dass sie so erheblich sind, um die Abkehr von der 50+1-Regel zu rechtfertigen.

Krakau und Nestler befürchten, dass der e.V. ohne Fußball in Finanznot und Bedeutungslosigkeit stürzt. Sie finden Kinds Gebaren undurchsichtig und widersprüchlich. "Am 20. Dezember 1999 bei der Ausgliederung des Profifußballs hat er den Mitgliedern versprochen, dass die Management GmbH immer mehrheitlich im Besitz des Vereins bleiben werde", sagt Nestler. Willkürlich fühlte es sich für sie an, als "Pro Verein 1896" neulich 119 Leute dazu bewegte, Mitgliedsanträge zu stellen - und der Vereinsvorstand dann alle davon mit Verweis auf die Abteilungsleiter ablehnte. Und aufgefallen ist ihnen, dass leitende Mitarbeiter aus dem Kind'schen 96-Kosmos in China waren. "Warum?", fragt Nestler. Zur Investorensuche?

Bei der China-Frage wird Martin Kind dann doch etwas lauter. Wegen einer Fußballschule seien 96-Mitarbeiter in Hannovers Kooperationsstadt Shenzhen gewesen. Investorensuche? "Wir haben das Hannover-Modell! Wann verstehen die das endlich!?" Nach dem Modell sind nur einheimische Investoren erlaubt. Zu den abgelehnten Anträgen sagt er, die Satzung lasse es zu, dass Anträge ohne Angaben von Gründen abgelehnt werden. Der e.V.? Sei gesund. Kind verweist auf das neue Vereinssportzentrum, das für fünf Millionen Euro Eigenkapital und fünf Millionen Kredit an der Stadionbrücke entsteht.

Ungerührt wirkt der Präsident nicht mehr. Sein Einsatz seit 1997 bis heute, da er Geschäftsführer bzw. Mehrheitseigner der diversen 96-Gesellschaften ist? "Ehrenamtlich! Unentgeltlich! Vollumfänglich! So ein Doofer muss erst geboren werden!" Er schimpft auf die Kritiker. "Alibi-Argumente!" Er will seine Ruhe vor den Quälgeistern aus der Masse. Er will Hannover 96 ungestört so umbauen, wie er es für alle am besten findet.

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