Fußball-Bundesliga:Warum muss Hitz aufpassen?

FC Augsburg v Hannover 96 - Bundesliga

Die Gefühlslage der Augsburger (im Bild Daniel Baier) nach dem 1:2 gegen Hannover 96 konnte man in der Arena nicht nur sehen, sondern auch hören.

(Foto: Adam Pretty/Bongarts/Getty Images)

Auch beim FC Augsburg sorgen spezielle Reporter dafür, dass sehbehinderte und blinde Fußballfans den Nachmittag im Stadion besser erleben können. Doch vieles erfahren die Anhänger direkt von den Rängen.

Von Saskia Aleythe

Schrille Pfiffe schicken die Zuschauer in Richtung Rasen, es wird lauter, undeutlich, ein einziger Lärm umhüllt den Körper. Aufstehen, Luft anhalten, inne halten, noch mehr Lärm, Arme nach oben werfen, Schreien, Umarmung von rechts, Schulterklopfen von links. Durchatmen, Lächeln. Hinsetzen. Ein anständiger Torjubel? Geht auch ohne gesunde Augen.

Es ist Bundesliga-Spieltag, das letzte Heimspiel der Saison steht an für den FC Augsburg. Marianne Lindenmair sitzt im Block C der Arena. Sie hat eine Dauerkarte und ist dabei, wann immer es geht. Im Heimtrikot selbstverständlich, an der rechten Hand ein Armband in den Vereinsfarben. "Schön, nicht?" Eine Bekannte hat ihr das gebastelt. Die Vereinshymne dröhnt durch die Arena. "Rot, grün, weiß, sind die Farben unseres Traums, der FC Augsburg heißt", singen die Anhänger, singt Lindenmair. Rot, grün, weiß. Farben, die Lindenmair gar nicht richtig sehen kann. Sie kann auch die Spieler nicht erkennen. Geschweige denn den Ball.

Die Fußballer auf dem Rasen sind für Marianne Lindenmair nur Pünktchen

Ihr Sehvermögen liegt bei etwa fünf Prozent, bei viel Sonne und Schatten ist es noch schlechter. Die Fußballer auf dem Rasen sind für Lindenmair nur Pünktchen, "den Ball sehe ich überhaupt nicht". Dass die 61-Jährige möglichst viel vom Geschehen auf dem Rasen mitbekommt, dafür sorgen spezielle Reporter. Seit der laufenden Saison gibt es diese nun in allen Bundesliga-Stadien, in Augsburg seit dem Bundesliga-Aufstieg 2011. Man kennt sich persönlich, zwei Sprecher verteilen vor dem Anpfiff Empfänger und Kopfhörer, über die sie während des Spiels zu empfangen sind. Es ist ein fester Pool an Reportern, Lindenmair hat auch Favoriten. "Das ist ja wie im Radio, da macht es auch mancher besser als der andere", sagt sie. Die Herausforderung ist keine kleine.

Wer sich als Sehender ins Stadion setzt, die Augen abdunkelt und den Reportagen zuhört, dem wummert die Melodie von "Fluch der Karibik" beim Einlauf der Spieler im Magen. Die Sprecher überschlagen sich im Tempo fast, um alle Spielernamen und Ballabgaben präzise zu beschreiben - doch es bleibt ein Filter. Wie sah jetzt das "leichtfertige Zuspiel" von Paul Verhaegh tatsächlich aus? Warum muss Marwin Hitz "aufpassen"? Und wie genau hat Markus Feulner "Glück gehabt"?

Drei Platzverweise und einen Elfmeter gibt die Partie gegen Hannover 96 her. Gerechtfertigt? Auch da entscheidet der Eindruck der Reporter, der noch schneller als ein Radiokommentator bei der Bundesligakonferenz auf Bayern1 spricht, auf noch mehr Details eingeht. Welcher Spieler eine abfällige Geste macht, wer sich ärgert oder besonders intensiv jubelt. "Natürlich ist man auf andere angewiesen", sagt Lindenmair, "aber es gibt Schlimmeres." Ohne das Angebot der Reporter würde sie nur selten ins Stadion gehen, "es ist klasse, dass es das gibt".

Und neben den offiziellen Reportern gibt es natürlich auch die inoffiziellen - die anderen Fans. Sie überbrücken die Zeitverzögerung zwischen den Aktionen und den Kommentaren. Dass da gerade ein aussichtsreicher Konter auf sie zukommt, hört Lindenmair zuerst von den Menschen um sie herum, bevor es aus dem Kopfhörer dröhnt. Sie presst sich in den Sitz vor Aufregung, treibt den Stürmer mit an, ballt die Fäuste auf ihrem Schoß. Als es lauter nicht mehr werden kann, ist es schwierig, zwischen Jubellauten und Frustschreien zu unterscheiden. Dass der Elfmeter von Verhaegh im Tor landet, merkt Lindenmair jedoch sofort.

Rot, grün, weiß: Wenn sie hier im Stadion sitzt, kann sie die Farben nicht sehen, aber fühlen

Rot, grün, weiß. Wenn sie hier im Stadion sitzt, kann sie die Farben nicht sehen, aber ein bisschen spüren. Wenn aus dem Rund von links die Augsburger Fans Gesänge anstimmen, ist Lindenmair sofort dabei. Als Teenager hat sie ihre Begeisterung für Fußball entdeckt, als sie in München zur Schule ging. Von Geburt an ist sie sehbehindert, doch damals konnte sie noch Einiges erkennen, war sogar im Stadion an der Grünwalder Straße. "Damals hat Bayern noch gegen die Sechziger gespielt", erinnert sie sich. Lindenmair war 14, konnte noch gelungene Flanken von Gurkenpässen unterscheiden - nicht nur anhand des Geräuschpegels. Und heute, mit 61: nur noch Pünktchen. Nimmt einem das nicht ein wenig die Freude am Fußball?

Natürlich merkt sie, dass etwas fehlt. "Dass wir von den Spielern so abgeschnitten sind, ist schade", sagt sie, "da haben Sehende andere Möglichkeiten." Nähe zu den Fußballprofis aufzubauen, ist schwer, einen Lieblingsspieler hat sie nicht. Welcher Spieler nach dem Abpfiff mit seinen Kindern auf dem Platz tobt, bekommt sie nicht mit, weil der Reporter gerade eine andere Szene analysiert. "Wir tauschen hier Gefühle aus, Erwartungen und Hoffnungen", sagt Lindenmair. Es geht ihr um die Atmosphäre, um das Schreien, das Schimpfen, das Klatschen, das Bangen, das Hoffen. Dafür braucht es keine Augen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: