Fußball-Bundesliga: 7. Spieltag:Kaum eine Torchance

Louis van Gaal muss beim 0:1 des FC Bayern in Hamburg einsehen, dass nicht die Mannschaft gewinnt, die das Spiel kontrolliert - sondern jene, die sich Torchancen erspielt und sie verwertet.

Jürgen Schmieder

Der Laufweg war perfekt einstudiert, als hätten die beiden Stürmer ihn monatelang geübt. Miroslav Klose zog nach innen, vorbei an Mario Gomez. Der wartete kurz, schlug einen Haken und lief nach außen zu Andreas Ottl. Das Problem war nur, dass der Laufweg neben dem Spielfeld stattfand und sich Klose und Gomez um eine gute Position auf der Ersatzbank des FC Bayern bemühten - dorthin hatte sie Trainer Louis van Gaal vor diesem Spiel beim Hamburger SV geschickt. Luca Toni durfte sich nicht einmal um einen Platz auf der Ersatzbank bemühen, er muss am Sonntag in der Dritten Liga gegen Erzgebirge Aue antreten. "Ich schaue nicht darauf, wie viel ein Spieler gekostet hat", hatte Louis van Gaal vor dem Spiel gesagt, das der Hamburger SV verdient mit 1:0 (0:0) gewann. "Mich interessiert die Qualität der Spieler."

Der Bayern-Trainer verfügt derzeit über mindestens acht qualitativ hochwertige Offensivkräfte, von denen er nur fünf von Beginn an spielen lassen will - gegen Hamburg etwa vertraute er einer 3-3-3-1-Formation.

Olic statt Gomez

Ins Sturmzentrum stellte van Gaal den form- und laufstarken Ivica Olic, dahinter bildeten Robben, Thomas Müller und Ribéry eine offensive Mittelfeld-Reihe. In der Defensive gab es eine Dreierkette aus Badstuber, van Buyten und Breno, Philipp Lahm rückte zu Timoschtschuk und Schweinsteiger ins defensive Mittelfeld. Freilich wurde in den vergangenen Wochen deutlich, dass van Buyten eine qualitativ hochwertige Offensivkraft ist, der sich als qualitativ durchschnittlicher Abwehrspieler tarnt, weil auf dieser Position seine Einsatzchancen deutlich höher sind als im Sturm.

Auch ein anderer Laufweg war perfekt einstudiert, als hätten die beiden Stürmer ihn monatelang geübt - und praktischerweise fand er auf dem Rasen statt. Arjen Robben legte den Ball auf Franck Ribéry, der wartete kurz, schlug einen Haken und steckte dann auf Robben, der ihn hinterlaufen hatte. Plötzlich stand Robben alleine vor HSV-Torhüter Frank Rost, sein Schuss ging nur knapp neben das Tor. In der elften Spielminute war dieser Laufweg zu bestaunen, nachdem beide Mannschaften die ersten Minuten dazu nutzten, ihre Philosophie für dieses Spiel anzudeuten.

Die Spieler des FC Bayern versuchten wie schon so oft in dieser Saison, eine Ballbesitzquote von 103 Prozent zu erreichen und passten sich die Bälle in der eigenen Hälfte zu. Der Hamburger SV ließ den Gegner bis zur Mittellinie gewähren, attackierte dann aggressiv und versuchte nach Ballgewinn, mit schnellen Kombinationen und wenigen Ballkontakten in die gegnerische Hälfte vorzudringen. Das hatte zur Folge, dass der FC Bayern in den ersten 30 Minuten zwar die gewünschte Ballbesitzquote von 103 Prozent erreichte, aber kein einziger Schuss das Tor von Frank Rost erreichte.

Paraden von Butt

Der HSV dagegen benötigte mit der Schnell-nach-vorne-Taktik nur 30 Sekunden, um sich zwei Torgelegenheiten zu erspielen. Zuerst zwang Jerome Boateng den Münchner Torhüter Hans-Jörg Butt mit einem Schlenzer aus 17 Metern zu einer famosen Parade, danach drosch Joris Mathijsen das Spielgerät aus acht Metern an den Fuß von Butt.

Diese Form der kontrollierten Spielgestaltung beim FC Bayern hatte zur Folge, dass der Anarchie-Fußballer Ribéry zuerst entnervt abwinkte, dann auf seine Mitspieler schimpfte und sich schließlich zu einem Frustfoul im Mittelfeld hinreißen ließ. Die Form der abwartenden Spielgestaltung beim HSV hatte zur Folge, dass Trainer Bruno Labbadia zuerst seine Mannschaft beklatschte, sie dann nach vorne peitschte und schließlich zur Halbzeit mit Markus Berg einen weiteren Offensivspieler aufs Feld schickte.

Der HSV wurde zu Beginn der zweiten Halbzeit mutiger, attackierte früher und kombinierte noch schneller nach vorne. Dadurch deckten die Hamburger auf, dass nicht nur van Buyten, sondern auch Breno ein verkappter Stürmer sein könnte, der sich als qualitativ unterdurchschnittlicher Abwehrspieler tarnt, um auflaufen zu dürfen. Immer wieder inszenierten die Hamburger ihre Angriffe auf der Seite des überforderten Brasilianers und kamen so zu zahlreichen Gelegenheiten. Zuerst köpfte Mathijsen über das Tor (48.), zwei Minuten später konnte Butt einen Freistoß von Mladen Petric nur mit Mühe abwehren.

Der FC Bayern dagegen wurde nur dann gefährlich, wenn die Akteure nicht versuchten, die Partie zu kontrollieren, sondern das Leder mit wenigen Ballkontakten zu Robben und Ribéry brachten - die dann versuchten, mit Tempo in den gegnerischen Strafraum zu gelangen und dann auf Olic zu passen. Der Kroate jedoch verpasste eine Hereingabe (55.), eine andere schoss er in die Beine von Frank Rost (58.).

Wechsel bringen nichts

Nach 63 Minuten dann wechselte van Gaal zum ersten Mal aus. Er schickte nicht etwa Gomez aufs Feld und auch nicht Klose, sondern den defensiven Mittelfeldspieler Andreas Ottl. Gomez durfte erst drei Minuten später mitwirken, als van Gaal ihn für Ivica Olic brachte. Im starren System mit zwei Außenstürmern jedoch blieb für Gomez wenig Platz für einstudierte Laufwege, weshalb er zumeist im Zentrum stand und auf Bälle wartete, die nicht kamen - weil die Münchner das schnelle Spiel wieder durch langweilige Kontrolle ersetzten.

So erhöhte der HSV weiter den Druck und kam schließlich auch zum Führungstreffer in der 72. Minute. Breno stellte unter Beweis, dass er ein höchst unterdurchschnittlicher Abwehrspieler ist, indem er Zé Roberto auf der rechten Außenbahn gewähren ließ, der den Ball flach durch den Fünf-Meter-Raum jagte. Van Buyten konnte seine Tarnung als durchschnittlicher Abwehrspieler nicht aufrechterhalten, sondern glänzte in der Rolle als interessierter Zuseher, als Mladen Petric die scharfe Hereingabe ins Tor drückte. Auch nach dem Führungstreffer änderte sich kaum etwas an der Spielweise des FC Bayern, auch wenn van Gaal zehn Minuten vor dem Ende Miroslav Klose in die Partie brachte, mit der Hoffnung, dass Klose und Gomez ihren schönen Laufweg auch auf dem Feld wiederholen würden.

Abseitstreffer von Klose

In der 83. Minute dann war es soweit: Klose zog nach innen, vorbei an Mario Gomez. Dann schlug er einen Haken und positionierte sich im Strafraum. Der Ball gelangte zu Klose, er schoss ihn über die Linie. Nur hatte zuvor Daniel van Buyten das Spielgerät berührt, Klose damit ins Abseits gestellt und den Treffer irregulär gemacht. Zwei Minuten später drosch Philipp Lahm den Ball aus zwölf Metern über das Tor - das waren die einzigen Gelegenheiten des FC Bayern in der zweiten Halbzeit. "Eigentlich hätte dieses Spiel 0:0 ausgehen müssen", sagte Daniel van Buyten nach der Partie. Philipp Lahm ergänzte: "Der Zug nach vorne hat gefehlt, deshalb haben wir 0:1 verloren."

Louis van Gaal musste bei diesem Spiel einsehen, dass nicht die Mannschaft gewinnt, die das Spiel kontrolliert - sondern jene, die sich Torchancen erspielt. "Das ist nicht meine Art von Fußball, wenn eine Mannschaft nach Rückstand nicht einmal versucht, ein Tor zu erzielen", hatte Uli Hoeneß am vergangenen Wochenende gesagt und den 1. FC Nürnberg gemeint. An diesem Samstag Abend könnte er den gleichen Satz über den FC Bayern sagen.

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