Fußball-Bundesliga:Schalker Aufbruch

FC Schalke 04 - Werder Bremen

Zentraler Teil eines immer spielstärkeren Mittelfeldes: Leon Goretzka, 21, von Joachim Löw gerade in die A-Nationalmannschaft berufen.

(Foto: Bernd Thissen/dpa)

Neun Pflichtspiele ungeschlagen, sieben Mal gewonnen: Der FC Schalke hat die schiefe Bahn vom Saisonstart verlassen. Man könnte meinen, die Spieler hören auf ihren Trainer.

Von Philipp Selldorf, Gelsenkirchen

Markus Weinzierl hatte einige Mühe, auf sich aufmerksam zu machen, als er nach dem Spiel die Mannschaft auf dem Rasen zu sich rief. Die meisten Schalker Spieler waren zu sehr damit beschäftigt, sich gegenseitig auf die Schulter zu klopfen für den 3:1-Sieg gegen Werder Bremen, als dass sie den auf zweimal zwei Fingern pfeifenden Trainer hätten wahrnehmen können. Andere befanden sich im versöhnlichen Austausch mit den Vertretern der Gegenseite, weshalb sich der Kreis um den Trainer erst mit einiger Verspätung schloss - Abwehrchef Naldo stand noch im Bann eines Zwiegesprächs mit dem unwiderstehlichen Claudio Pizarro.

Es sieht so aus, als hätten jetzt die Elemente zueinander gefunden

Schließlich war die außerordentliche Runde komplett, und Markus Weinzierl konnte endlich mit der Rede ans Team beginnen. Es war ihm ein Bedürfnis, so sagte er später, seinen Spielern ein Kompliment zu machen. Ein "Riesenkompliment" sogar, wie er präzisierte.

Tatsächlich hatten die Verantwortlichen in Gelsenkirchen am Sonntagabend gute Gründe, einen Moment lang dankbar innezuhalten und zurückzuschauen. Schalke war im Sommer mit dem Vorsatz gestartet, das sportliche Geschäft mit neuem Manager, neuem Trainer und neuen Spielern grundlegend zu renovieren, doch der Aufbruch brachte zunächst außer fünf Niederlagen bloß Angst und Schrecken. Die Saison schien auf die schiefe Bahn geraten zu sein, bevor sie überhaupt begonnen hatte.

Weinzierl machte sich mehr Sorgen, als er zugeben durfte, aber er hat einigermaßen unbeirrt seine Trainerarbeit gemacht. Weshalb er nun auch mit einiger Erleichterung feststellen konnte: "Wir haben die ersten Spiele in den Sand gesetzt und unsere Lehren daraus gezogen." So viel Eigenlob ist wohl zulässig nach neun Spielen ohne Niederlage und sieben Siegen.

Die Mannschaft, die gegen eine nicht überwältigende, aber keineswegs unterirdische Werder-Elf gewann, hat sich personell nicht sonderlich unterschieden von den Teams, die unter anderem in Frankfurt, Hoffenheim und Berlin die Serie selbst verschuldeter Niederlagen anrichtete. Trotzdem bot sie auf dem Platz ein unvergleichlich anderes Bild. Was vordem ungeordnet, zufällig und notorisch fehlerhaft war, das wirkt nun programmgemäß und zielgerichtet.

Es sieht so aus, als würden die Schalker neuerdings ihre Dienstanweisungen lesen. Die Stärken der Spieler kommen zum Ausdruck, die Schwächen werden minimiert. "Die Mannschaft funktioniert, deshalb funktioniert auch jeder einzelne Spieler", sagte der Doppeltorschütze Alessandro Schöpf, der selbst ein schönes Beispiel für diese Erkenntnis abgibt.

Choupo-Moting lässt Fans an eine bessere Welt glauben

Schöpf kam im Winter auf Initiative von Horst Heldt aus Nürnberg, es war sozusagen der Abschiedstransfer des Managers. Im Sommer fragte man sich noch, was aus dem 22-Jährigen werden sollte, da nun die königsblaue Revolution ausgerufen wurde und ein halbes Dutzend, aus großen europäischen Klubs beschaffte Neulinge den Trainingsplatz bevölkerten. Schöpf war zwar schon österreichischer Nationalspieler, aber auf Schalke wurde er unter der Rubrik "Talente" abgeheftet.

In dem Spielsystem, das Weinzierl im Laufe der vergangenen Wochen etabliert hat, kommt dem Mittelfeldspieler aber eine Hauptrolle zu. Einerseits unterstützt er die Dreier-Abwehrkette, andererseits verstärkt er auf dem rechten Außenposten das offensive Mittelfeld. Gegen Bremen rannte er 13,3 Kilometer lang die Linie hinauf und hinunter "das macht Riesenspaß", sagt er und gibt sich demonstrativ altruistisch: "So kann ich der Mannschaft hinten und vorne helfen."

Im Moment sieht es auf Schalke so aus, als hätten die Elemente zueinander gefunden. Das beginnt bei der besagten Abwehrkette, die aus drei interessant gemischten Sorten von Haudegen besteht: Dem normalen Haudegen Höwedes, 28, dem alten Haudegen Naldo, 34, und dem jungen Haudegen Nastasic, 23. Als Pendant zum multiplen Rechtsaußen Schöpf fungiert links Kolasinac, der neuerdings nicht mehr durch seine ungehobelten Zweikämpfe und ein aktionistisches Pensum auffällt, sondern durch gekonnte Flügelläufe und Torvorlagen. Man könnte meinen, er hätte einen Technikkurs absolviert. Im spielstarken Mittelfeld haben Goretzka und der torgefährliche Bentaleb zueinander gefunden, während Meyer als zweite Sturmspitze eine neue Bestimmung angenommen hat.

Im Sturmzentrum vertrat Choupo-Moting die verletzt abwesenden Embolo, Huntelaar und di Santo, und zwar ebenfalls auf eine Weise, die Schalkes Anhänger daran glauben lässt, dass eine bessere Welt möglich ist. Die berühmten Choupo-Kringel, die dazu führen, dass seine Dribblings immer dort enden, wo sie begonnen haben, bevor er drei Gegenspieler ausgetrickst hatte, gehören offenbar nicht mehr zum Standardprogramm des Kameruners.

Weinzierls straffe Kollektivlehre, die den kleinen FC Augsburg zum respektablen Erstligisten befördert hat, setzt sich nun womöglich auch auf Schalke durch. Spielerisches Niveau hatten auch die Schalker Teams der vorigen Jahre, aber sie haben es immer nur im Teilzeitbetrieb nachgewiesen. Nun deutet sich der gewünschte Mentalitätswandel an - bei aller auf Schalke gebotenen Vorsicht könnte man meinen, die Spieler hören auf ihren Trainer. Meistens zumindest.

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