Fußball-Bundesliga:Pikanter Wunschkandidat

Bayer Leverkusen präsentiert Klaus Augenthaler als neuen Trainer und kündigt gewaltige Etatkürzungen an.

Christoph Biermann

(SZ vom 14.5.2003) - Es hat so viele Etappen der Krise auf dem beispiellosen Weg von Bayer Leverkusen zum Abgrund gegeben, dass die einzelnen Stationen in der Erinnerung ineinander zu verschwimmen beginnen. Gestern, bei der soundsovielten Pressekonferenz in dieser Saison in der BayArena, gab es dann den Moment endgültiger Verwirrung. "Ich habe es mir nie leicht gemacht und mich nie ins gemachte Nest gesetzt", sagte Klaus Augenthaler bei seiner Vorstellung als neuer Trainer des taumelnden Erstligisten.

An sich war das keine außerordentliche Auskunft, schließlich ist der ehemalige Verteidiger als Kämpfer bekannt und Leverkusen derzeit ein ziemlich zerzaustes Nest. Nur hatte sich vor sechs Wochen Jürgen Kohler mit genau demselben Wortlaut als Sportdirektor vorgestellt. Ist Augenthaler also Kohler oder umgekehrt? Grüßt nun auch unterm Bayer-Kreuz das Murmeltier?

Eher nicht, so war der Eindruck, denn mit Klaus Augenthaler richtet sich nach dem geballten Aktionismus der letzten Monate der Blick nun wieder in die Zukunft. Schon vor einigen Wochen hatten sich Kohler und Manager Ilja Kaenzig mit dem Trainer zu einem "Konzeptgespräch" getroffen, wie Geschäftsführer Reiner Calmund es nannte. Damals war man sich einig geworden, dass der damalige Coach des 1. FC Nürnberg im kommenden Jahr zu Bayer kommen würde. Augenthaler wäre also nicht mehr in Franken geblieben, "wahrscheinlich jedenfalls", sagte er gestern.

"Absoluter Wunschkandidat"

Nun wurde diese Frage schon vor zwei Wochen nach Augenthalers Entlassung in Nürnberg hinfällig und der "absolute Wunschkandidat" (Calmund) für Bayer Leverkusen zumindest theoretisch frei. Praktisch wurde er das erst vorgestern. "Ich hätte vor zwei Tagen auch nicht gedacht, dass er hier sitzen würde", sagte Calmund.

Am späten Montagabend hatte er Club-Präsident Michael A. Roth von der Auflösung des bestehenden Kontrakts überzeugen können. Nach Auskunft von Calmund sah Roth schließlich ein, dass er noch sechs Wochen Gehalt sparen und beim letzten Heimspiel einen guten Besuch haben würde. Dann nämlich kommt Leverkusen mit dem neuen Trainer nach Nürnberg zu dessen ehemaligem Arbeitgeber. "Sicherlich pikant" findet Augenthaler diese Konstellation, "solche Geschichten schreibt nur den Fußball."

Hörster zu den Junioren abgeschoben

Er schreibt aber auch die traurige Episode des Thomas Hörster. Augenthalers Verpflichtung zwei Wochen vor Saisonende und nicht erst mit Beginn der kommenden Spielzeit realisieren zu können, war laut Calmund "der entscheidende Moment" für dessen vorzeitige Rückversetzung ins Glied. Hörster wird im kommenden Jahr die U-19-Mannschaft von Bayer Leverkusen betreuen.

Gestern wurde zwar noch einmal die absurde Diskussion um seine Äußerungen in einem Fernsehinterview nach dem Spiel in Hamburg aufgewärmt, aber nur noch verschämt. "Anlass für die Entlassung war die öffentliche Diskussion um seine unglücklichen Äußerungen", sagte Calmund zwar, aber sie war nicht wirklich der Grund. Vor allem ging es darum, den Mann schon früher bekommen zu können, den der Klub sowieso wollte.

Kohlers Entscheidung

Dahinter stand besonders Jürgen Kohler, der die Verpflichtung seines ehemaligen Mannschaftskameraden beim FC Bayern und Mit-Weltmeisters von 1990 als ersten greifbaren Tätigkeitsnachweis bewertet sehen wollte. "Es wird gefragt, was macht der Kohler eigentlich", sagte Kohler, "hier ist ein Ergebnis, und es werden noch mehr kommen."

Der Sportdirektor hatte schon länger Hörsters Ablösung betrieben. Nun begründete er die Verpflichtung von Augenthaler: "Weil er mit jungen Spielern arbeiten kann, Ziele hat und erfolgshungrig ist." Diesen Hunger möchte der neue Trainer auch in der ablaufenden Saison noch stillen und den Abstieg verhindern.

"Spieler von Leverkusen nicht stark reden, sie sind es"

"Die Zielsetzung, sechs Punkte aus den letzten beiden Spielen zu holen, ist realisierbar", sagte Augenthaler. Das könnte, muss aber nicht die Rettung vor dem Abstieg bedeuten. In der vergangenen Saison gelang Augenthaler noch auf der Zielgerade der überraschende Klassenerhalt mit Nürnberg, nicht zuletzt auf Kosten des Meistertitels für Bayer Leverkusen. Damals hat er als Erfolgsrezept gelernt, "die Ruhe zu bewahren". Ein schönes Vorhaben ist das, aber nichts ist im Laufe dieser Spielzeit in Leverkusen weniger gelungen als ruhig zu bleiben.

"Man muss die Spieler von Leverkusen nicht stark reden, sie sind es", glaubt Augenthaler und will sie nicht mit einem Trainingslager vor dem Spiel am Samstag gegen München 1860 quälen, "weil man sich da zu sehr auf den Geist geht". Teil der neuen Sparwelle in Leverkusen ist das nicht, doch wird der kommende Etat "mit der Axt und nicht mit der Nagelfeile" (Calmund) um fast 30 Millionen Euro gekürzt.

Auch Klaus Augenthalers Kontrakt gilt daher nur bis zum Ende der kommenden Saison und beinhaltet eine "erfolgsbezogene Verlängerungsklausel", wie der Bayer-Geschäftsführer sie nannte, aber nicht präzisieren wollte. Die Nichtabstiegsprämie für sich und seine Spieler legte hingegen Trainer Augenthaler schon mal selbst fest: "Dann gibt es zwei freie Tage."

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