Fußball-Bundesliga:Klinsmanns Reformen und der Mount Magath

Die besten Stürmer entscheiden, der mächtigste Trainer holt wohl den Titel, und Löw sucht Nationalspieler in Bahnhofsnähe. Elf Thesen zur Bundesliga-Saison.

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Retro vs. Reformen

Es sollte das Jahr des Reformers werden, aber triumphiert hat nun doch nicht Jürgen Klinsmann; der ist zurzeit angesäuert und führt zwecks proaktiver Verdrängung eines allzu dynamischen Prozesses seinen Hund in der an seiner Entlassung unschuldigen bayerischen Berglandschaft spazieren. Nein, triumphiert haben die Reformgegner und Retrofußball-Verfechter: Felix Magath natürlich, oder Heribert Bruchhagen, Vorstandschef in Frankfurt. "Ich bin natürlich nicht froh", hat er nach Klinsmanns Entlassung gesagt, "aber wenn er Erfolg gehabt hätte, dann hätten wir anderen Vereine alle nach diesem neuen Konzept leben müssen." Magath steht mit Wolfsburg vor einem der erstaunlichsten Titelgewinne überhaupt, sein Wort hat Gewicht. Zu Klinsmann sagte er kürzlich: "Ich frage mich schon lange, wie jemand, der keine Erfolge vorzuweisen hat, so einen gewaltigen Einfluss auf die gesamte Szene haben konnte." Magath besitzt Erfahrung, er verzichtet auf Laktattests ("bringt nichts"), auf simultan übersetzte Spielanalysen - und auf Assistenten, die sich nicht in der Bundesliga auskennen, dafür aber im American Football. Magath hat beim VfL einen Mount Magath für Hügelläufe aufschütten lassen, er lässt einen ehemaligen Bundeswehr-Offizier die Körper stählen - seine Elf wirkt noch fit. Klinsmann ließ ein komplettes Leistungszentrum errichten, seine frühere Elf wirkte zuletzt nicht allzu fit. Aber für das Leistungszentrum wird ihm Bayern bestimmt ewig dankbar sein.

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Bruchhagen-Graben

Wie jedes Kind weiß, treten Gräben als Folge tektonischer Dehnung in Schwächezonen der Erdkruste auf. Wer das weiß, der hat auch die Bundesliga verstanden, die immer mehr zur Herausforderung für Erdkundler wird. Durch die Liga zieht sich inzwischen der zehn Punkte tiefe Bruchhagen-Graben, der als Folge finanzieller Dehnung in Schwächezonen der Tabelle auftritt. Zwischen dem Neunten Leverkusen und dem Elften Hannover verläuft eine tiefe Rinne, die die Liga in zwei Hälften teilt: die obere Hälfte, die durch die finanzstarken Eindringlinge Wolfsburg und Hoffenheim breiter geworden ist - und die untere, aus der es gemäß der Dauerthese des Frankfurter Chefgeologen H.Bruchhagen keinen Ausweg mehr gibt. Wer oben steht, bekommt mehr Geld vom Fernsehen, wer unten steht, weniger - an diese tektonische Verwerfung wird sich die Liga gewöhnen müssen. Es sei denn, in Hannover oder Frankfurt finden sich Investoren, die den Graben zuschütten: mit Geld.

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Der Star ist der Star

Uli Hoeneß sprach allen 4-4-2-Allergikern aus der Seele: "Nicht die Taktik entscheidet, sondern die besseren Spieler", sagte der Bayern-Manager mitten in der Saison, als der auf Taktik pfeifende, naturbelassen dribbelnde Franck Ribéry mal wieder ein Spiel für Bayern im anarchischen Alleingang gewonnen hatte. Was Hoeneß ziemlich radikal formulierte - der Tatsache zum Trotz, dass Fußball immer schneller, strategischer und kollektiver gespielt wird - war in dieser Saison ziemlich zutreffend. Systeme hin, polyvalente Konzeptkicker her - der Star war wieder der Star, es schillerte der Spezialist (nicht der Allrounder). Meister werden wohl die Wolfsburger Tormaschinen Dzeko und Grafite (nicht die beste Abwehr), dank eines wunderbar klassischen Ballieferanten (Misimovic = Zehner) und eines wunderbar klassischen Balldiebs (Josué = Sechser). Der FC Bayern wäre ohne den Magier Ribéry oft ein FC Garnix gewesen, Stuttgart ohne Gomez halb so furios, Köln wäre ohne Novakovic abgestiegen, Bielefeld ohne Wichniarek sowieso - und der sturmlose Karlsruher SC erweckte bundesweit Mitleid.

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Verblühender Osten

Das größte Wunder der Erde ist der Wunderglaube ihrer Bewohner, doch speziell bei Energie Cottbus hat man diesen Glauben zuletzt arg strapaziert. Für den dort tätigen Manager Steffen Heidrich ist im Grunde schon "jedes Jahr, das Cottbus in der ersten Liga spielt, ein Wunder", wobei die 17 Heimspiele des Klubs auch "als 17 Wunder" gelten dürfen. Was klingt wie eine Bekehrung des laizistischen Ostens, ist nichts anderes als die Romantisierung eines Strukturdefizits (weniger Geld), welches auszugleichen enormer Anstrengungen bedarf: mehr Leidenschaft, mehr Disziplin, mehr Gras fressen. Auf Dauer kann das nicht gut gehen. Der Osten wird, exakt 20 Jahre nach dem Mauerfall, wohl aus der ersten Liga vertrieben, seine blühenden Landschaften gedeihen hartnäckig eine (Rostock, bald Union Berlin) bzw. zwei (Erfurt, Jena, Aue, Dresden) Etagen tiefer. Wobei Cottbus natürlich nur dann absteigt, wenn nicht noch ein Wunder geschieht.

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Abschied vom Inventar

Das Genre der Schmierenkomödie hat im Schauspielfach keinen guten Ruf, was aber nicht ausschließt, dass eine Schmierenkomödie gute Unterhaltung bieten kann. Zum Beispiel gibt es diese Fernsehreihen wie "Das Traumschiff oder "Rosamunde Pilcher", die an sich kaum erträglich sind, gerade dadurch aber fesseln und faszinieren. Liegt also darin die seltsame Faszination des Marco Pantelic? Dass Herthas serbischer Angreifer ein guter Fußballer ist, steht ja nicht zur Debatte, es geht um die Qualität seines Theaters. Eigentlich ist es kaum erträglich, aber dann auch so schrecklich affektiert und manieriert, dass man gebannt hinschauen muss, und außerdem war es ein ideales Kontrastprogramm zum spröden Trainer Favre. Diese charakterliche Mischung hat nicht gepasst, das war der Reiz. Nun verlässt Pantelic seine Berliner Bühne, selbstredend mit jeder Menge Pathos, und da sich kein anderer Bundesligist zur Aufführung seiner öligen Inszenierungen bereit zu finden scheint, heißt es wohl, Abschied zu nehmen von dem Torjäger und Mimen. Ebenfalls treten ab mit Applaus: Frank Baumann, 33, nach zehn Jahren Bremen; Michael Tarnat, 39, nach bald zwanzig Jahren im Profifußball; und Matthias Scherz, 37, nach zehn Jahren im Kölner Pendelbetrieb zwischen erster und zweiter Liga. Drei Männer aus dem Liga-Inventar, die alle eher dem Charakterfach zuzurechnen sind.

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Alles im Fluss

Moderne Fußball-Lehrer unternehmen allerlei Anstrengungen, durch gezielt Geplantes die Mächte des Zufalls auf dem Rasen zu besiegen. Laptops spucken Analysen zur Gegnerbeschaffenheit aus, systematisiertes Training drillt das Abwehrverhalten und programmiert Spielzüge. Gottlob aber ist Fußball auch im digitalen 21. Jahrhundert ein launenhaftes Spiel, in dem rational unerklärliche Dinge oft eine Eigendynamik entwickeln - auf manchmal famose, manchmal brutale Weise. Der HSV spielte eine größtenteils tolle Saison, beendet sie aber infolge eines Negativlaufs auf der Zielgeraden im gefühlten Elend. Hoffenheim wurde im Herbstrausch der Euphoriehormone von Sieg zu Sieg getragen - und stürzte durch eine Verkettung von Widrigkeiten im Frühjahr von Platz eins auf sieben. Im zeitgenössichen Fußballdeutsch heißt dieses Metaphänomen Flow. Wer einen Flow hat, kann in der Rückrunde die Tabelle staunenswert von hinten aufrollen (Wolfsburg von neun auf eins, Stuttgart von zehn auf drei). Und ein Anti-Flow bedingt zuweilen sogar eine mysteriöse Stadion-Unverträglichkeit, wie bei den Leverkusenern, die im Düsseldorfer Rückrunden-Exil ihren jugendlich-flotten Stil der Hinrunde verloren.

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Kahns Konzept

Die Liga wird immer strategischer, das ist eine vielversprechende Nachricht. In dieser Saison hat zum Beispiel der Stratege Oliver Kahn in Schalke und München sein streng geheimes, angeblich 30-seitiges Strukturkonzept angeboten. Die SZ hat dieses Konzept zufällig in der Münchner Nobeldisko P1 gefunden und zitiert nun ohne Erlaubnis daraus: Nach Kahns Konzept muss der Aufsichtsrat "Druck" auf den Vorstand ausüben, der den Druck an den Sportdirektor weiterzugeben hat, dessen Druck umgehend beim Trainer und anschließend bei der Mannschaft anzukommen hat, die wiederum Druck auf Platz- und Zeugwart ausüben. Und einmal in der Woche treffen sich Aufsichtsrat und Vorstand in der Druckkammer.

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Retterrentner-Karussell

Dass die Gesellschaft vom Fußball lernen kann, ist bekannt, aber so sehr Vorbild wie in dieser Saison war die Bundesliga noch nie: Hat sie nicht beispielhaft vorgeführt, dass auch Arbeitnehmer ihren Wert haben, die älter sind als 35? Das Plädoyer für die älteren Arbeitnehmer im Land ist revolutionär, rührend und vorbildlich, und man muss an dieser Stelle der Bundesliga nochmal dafür danken, dass sie ein Retter-Rentner-Karussell aufgebaut hat. Auf diesem Retter-Rentner-Karussell sind Hans Meyer, 66, Jupp Heynckes, 64, Jörg Berger, 64, und Horst Köppel, 61, nach Mönchengladbach, München, Bielefeld und Ingolstadt gefahren, und wie die Süddeutsche aus wie immer ziemlich schlecht informierten Kreisen erfuhr, stehen dank des neuen Berufsbildes des Retterrentners auch Udo Lattek, Friedel Rausch, Eckhart Krautzun und Rolf Schafstall kurz vor der Wiedereingliederung in den Trainer-Arbeitsmarkt. Noch schlechter informierte Kreise sind sich sogar sicher, dass auch Rudi Gutendorf, 82, wieder rüstig bereitstehe. Er war schon in Samoa, Ruanda und Tonga, er kennt sich mit Exoten aus und spekuliert demnach wohl auf einen Job bei Bayer Leverkusen.

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Mächtige Monarchen

Jeder Trainer ist so stark, wie ihn die Vereinsführung macht - das gilt auch in der Bundesliga, in der viele Verantwortungsträger noch lernen müssen, dass ein Trainer nicht nur moderieren und sein Team bei Laune halten, sondern eine Trainerhandschrift entwickeln sollte (im hässlichen Fachjargon: Philosophie, Vision, Konzept). Wie etwa Jürgen Klopp, der seinen Stil in Dortmund entfaltete, weil andernorts die Länge seiner Bartstoppeln (unseriöses Outfit!) ein Nichtverpflichtungskriterium war. Die Umsetzung einer Spielidee erfordert Anlaufzeit und Geduld. Der Dirigent kann nur dann der Star sein, wenn ihm die Klubintendanten auch in Phasen des Misserfolgs nicht in den Taktstock greifen. Vertrauen lohnt sich - sofern der Trainer kraft fachlicher Eignung das Vertrauen wert ist. Lucien Favre durfte Hertha BSC saisonübergreifend nach seinem Gutdünken umbauen, und Felix Magath war an Weihnachten noch Tabellenneunter, dennoch griff ihm kein Funktionär ins Steuerrad. Kein Wunder: In Wolfsburg hätten sich heulende Spieler über Aufstellungen oder zu harte Konditionsbolzerei beim Manager Magath oder beim Geschäftsführer Magath beschweren müssen. Der Trainer als Monarch mit Multikompetenzen - er wird nun auch das Gelsenkirchener Gewaltenteilungs-Modell.

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Die Uefa-Cup-Liga

Für Edin Dzeko interessieren sich gemäß den 1001 Quellen vom Transfermarkt Manchester United, Arsenal, Chelsea, Liverpool und Tottenham, ferner FC Sevilla, Juventus, AC Mailand, und natürlich Real Madrid, und wenn es fußballspielendes Leben auf dem Mond gäbe, dann würde Inter Luna garantiert ebenfalls zu den Bietern gezählt werden. Der Wahrheitsgehalt der Auktionsgerüchte ist undurchschaubar, offenkundig ist aber die herrschende Meinung, dass Dzeko aufgrund seiner Klasse zu groß geworden ist für Deutschland und logischerweise nach England, Spanien oder Italien befördert werden muss. Ähnliches gilt für Ribéry, Diego, Lahm, Gomez. Wer sehr gut ist, muss weg - das sagt einiges aus über das Selbstverständnis der kleinen Bundesliga, die sich mit ihren Grenzen und ihrem Status als gehobene Uefa-Cup-Liga arrangiert hat. Die Exporte der vergangenen Jahre spiegeln diesen Eindruck. Die Ausnahmestellung in Deutschland führt nicht zwangsläufig auf internationales Spitzenniveau: Ballack als nur noch stille Stammkraft bei Chelsea und Berbatov als einer von mehreren Angreifern bei ManU bilden die Ausnahmen; dagegen stehen ernüchternde Auslandskarrieren von Metzelder, Odonkor, Hildebrand, van der Vaart, Poulsen, Salihamidzic oder Boateng.

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VfB 1899 Deutschland Die Reise vom ICE-Bahnhof Freiburg nach Stuttgart dauert weniger als zwei Stunden; nach Sinsheim-Hoffenheim eine halbe Stunde mehr, allerdings muss Bundestrainer Löw dazu in Karlsruhe, Mannheim und Heidelberg umsteigen. Nach Dortmund und Gelsenkirchen bräuchte sein Zug fast viereinhalb Stunden. Das Angebot von Dortmunds Sportchef Michael Zorc ("für Löw liegt immer eine Eintrittskarte bereit") erübrigt sich damit.Um die Karriere in der Nationalelf fortzusetzen, empfehlen Berufsberater dem Dortmunder Kehl und dem Schalker Jones einen Wechsel nach Stuttgart oder Hoffenheim. Die Schlüsselqualifikation, um Nationalspieler zu werden, ist ein Vertrag beim VfB oder der TSG. Ansonsten ist der Zug abgefahren.

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