Fußball:Alle gegen Ginter

*** BESTPIX *** Olympics - Previews - Day - 5

Sehnsuchtsort aller Brasilianer: das Maracanã, Schauplatz des Fußballfinales.

(Foto: Chris McGrath)

Die Goldmedaille der Fußballer ist seit Olympia-Beginn die wichtigste für Brasilien. Das Finale gegen Deutschland birgt die Chance zur Revanche.

Von Sebastian Fischer

Der Fußballer Matthias Ginter ist ein eher schüchterner Mann. Er spricht mit Vorliebe mit leiser Stimme, lächelt dabei höflich. Der Breisgauer ist ein zuverlässiger Verteidiger, flanken kann er auch. Doch abgesehen davon sind auch auf dem Rasen die Momente rar, in denen er aus der Masse hervortritt. All das sollte man wissen, bevor man in diesen Tagen nach Brasilien schaut. Denn dort ist der deutsche Nationalspieler Ginter, 22, gerade die Symbolfigur, an der sich eine Fußballnation aufzurichten gedenkt.

Es hat in den vergangenen Tagen einige Debatten heraufbeschworen, wie die Brasilianer diese Olympischen Spiele verfolgen. Mal pfiffen sie die Konkurrenten ihrer Nationalhelden aus, mal kamen sie gar nicht ins Stadion. Doch wie die Brasilianer diese Spiele nach sportlichen Gesichtspunkten beurteilen, das entscheidet sich erst am Samstag; das - und viel mehr. Am Samstag spielt Brasiliens Fußball-Auswahl gegen die deutsche um Gold. Und um die Revanche für das 1:7 im Halbfinale der WM 2014.

BVB-Verteidiger Ginter war damals der jüngste Spieler im Kader und nur Ersatz, doch es gibt Bilder, die ihn nach dem Finale in Rio mit dem goldenen Pokal zeigen, er ist also Weltmeister, der einzige im Olympia-Aufgebot. Und deshalb befragten ihn die brasilianischen Reporter am Mittwoch in São Paulo, nachdem Deutschland Nigeria mit 2:0 im Halbfinale besiegt hatte. Ginter sagte der Zeitung O Globo: "Wir haben den gleichen Teamgeist wie die Mannschaft von 2014. Wir laufen und kämpfen füreinander." Es war ein Satz, wie ihn die Brasilianer gerade hören wollen. Denn jeder Vergleich macht das Spiel wichtiger - und das Balsam wirkungsvoller.

Das Sieben-eins - "o sete a un", so sagen sie es in Brasilien, weil es freundlicher klingt als Eins-sieben - hat kein Brasilianer überwunden. Mancherorts werden deutsche Fußballer verehrt, Kinder tragen die deutschen WM-Trikots auf dem Bolzplatz. Während des Olympiaturniers wurden die deutschen Mannschaften, Frauen wie Männer, dagegen konsequent ausgebuht. Egal ist das Spiel jedenfalls niemandem. "Das lang erwartete Wiedersehen ist terminiert. Die brasilianischen Fans haben gezeigt, dass die Wunde des historischen Debakels noch nicht vernarbt ist", heißt es in der Zeitung Folha de Sao Paulo.

Klostermann und Petersen müssen nun als Ersatzbüßer für Müller oder Kroos herhalten

Die Goldmedaille war von Anfang an die Mission der Mannschaft gewesen, in der ebenfalls nur ein Spieler aus dem WM-Kader mitmacht: Kapitän Neymar vom FC Barcelona, der für den schwachen Turnierstart mit zwei torlosen Remis gegen Südafrika und Irak hart kritisiert worden war und seitdem öffentlich schweigt. Der Druck, nach bislang drei silbernen die erste brasilianische Goldmedaille im Fußball zu gewinnen ist so groß, dass Nationaltrainer Adenor Leonardo Bachi, genant Tite, die Aufgabe vor dem Turnier bereitwillig an den Nachwuchscoach Rogério Micale abgab. Nach den Anfangsschwierigkeiten fand die Seleção immer besser ins Turnier, auch dank der Rasanz der jungen Flügelspieler Gabriel Barbosa und Gabriel Jésus. Brasilien schlug Dänemark mit 4:0, Kolumbien mit 2:0 und Honduras mit 6:0. Nun steht ihnen das perfekte Finale bevor.

Anders als beim berühmten Maracanaço, der 1:2-Niederlage bei der Heim-WM 1950 gegen Uruguay, haben es die Brasilianer nach dem Sieben-eins mit Selbstironie versucht. Tor für Deutschland, das sagen sie seit jenem 8. Juli 2014 auch, wenn eine Tür klemmt oder das Bier ausgeht. Die Chance zur Revanche kommt unverhofft. Und sie ist nur eine kleine Revanche. Noch mal die Folha de Sao Paulo: "Eine wirkliche Rache wäre nur ein Triumph, ein Kantersieg, in einem K.o.-Spiel bei der WM."

Doch so ein Olympia-Endspiel im vollbesetzten Maracanã ist ja auch was. Und deshalb müssen eben nun neben Ginter in Brasilien unbekannte Fußballer wie der junge Leipziger Lukas Klostermann oder der schon etwas ältere Freiburger Nils Petersen - die Torschützen beim deutschen Halbfinalsieg - als Ersatzbüßer für Müller, Klose, Kroos, Khedira und Schürrle herhalten, die Torschützen von 2014. "Deutschland, dein Stündchen hat geschlagen", sangen die Zuschauer in São Paulo. "Die Leute wollen Gold", sagt Gabriel Jésus.

Dass sich die Brasilianer bis ins Finale gespielt haben, ist keine Überraschung. Doch dass sie dort auf Deutschland treffen schon eher. Nur fünfmal hatte der von Hrubesch und DFB-Sportdirektor Hansi Flick gegen den Widerstand einiger Bundesligamanager mit heißer Nadel zusammengestrickte Kader vor dem ersten Spiel in Brasilien gemeinsam trainiert. In der Vorrunde stand die DFB-Auswahl gegen Südkorea schon vor dem Aus und rettete sich nur dank eines Freistoßtores von Serge Gnabry noch ins Viertelfinale.

Doch seitdem überzeugt die Mannschaft; Gnabry, beim FC Arsenal eigentlich schon ausgemustert, möchte dessen Trainer Arsène Wenger nun doch behalten. Und Ginter, am Mittwoch souveräner Nebenmann von Innenverteidiger Niklas Süle, weckt das Interesse von RB Leipzig und des Hamburger SV. Zum Finale am Samstag sagt der Weltmeister Ginter übrigens: "Ich habe viele positive Erinnerungen an das Land, an Rio und natürlich an das Maracanã. Ich hoffe, dass es wieder so ausgeht."

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