Führung: Merkel und van Gaal:Mijnheer hat, was "Mutti" fehlt

Den Unterschied zwischen Bayern-Trainer Louis van Gaal und Bundeskanzlerin Angela Merkel macht ein Wort aus: Führungskraft.

Hans-Jürgen Jakobs

Er ist inzwischen ein Held. Er schreit vom Rathausbalkon: "Wir sind die besten in Deutschland und vielleicht bald Europas", und die Leute lieben es. Er redet in der Öffentlichkeit sogar über "Löffel an Löffel" mit Ehefrau Truus. Und, ja: Sogar die Beschimpfungen seines journalistischen Publikums sind "Kult" geworden. Alles an ihm ist derzeit Kult.

Louis van Gaal; AP

Bayern-Trainer Louis van Gaal.

(Foto: Foto: AP)

Sie dagegen gilt mittlerweile als Zauderin. Sie sagt Sätze wie: "Europa braucht eine neue Stabilitätskultur", aber das macht den Menschen Angst. Sie redet in der einen Woche eine Finanzmarktreform klein und in der anderen hoch. Ist sie für oder gegen höhere Steuern? Wo ist unser Profil, fragen viele in ihrer Partei. An ihr ist nichts Kult.

Den Unterschied zwischen Louis van Gaal, 58, dem niederländischen Fußballtrainer, und Angela Merkel, 55, der deutschen Bundeskanzlerin, macht ein Wort aus: Führungskraft.

Der Erfolg des mijnheer Van Gaal mit seinem FC Bayern München beweist, wie weit man mit klaren eigenen Vorstellungen und Konsequenz kommen kann. Als der Coach im Sommer von dem Provinzort Alkmaar in die bayerische Landeshauptstadt wechselte, fand er eine Zone der Verunsicherung vor. Jürgen Klinsmann hatte das Vereinsgelände als eine Art Survival-Camp für kickende Jung-Manager begriffen, ehe Routinier Jupp Heynckes wenigstens zum Saisonschluss den Platz in der Champions League sichern konnte.

In dieser Welt, die mindestens an den "FC Hollywood", wenn nicht gar an den "TuS Chaos" erinnerte, trat van Gaal als autoritärer Kauz auf. Er zog den italienischen Nationalspieler Luca Toni an den Ohren, damit der sich bei Tisch nicht länger hinfläzte - Toni spielt mittlerweile in Rom. Die Spieler wurden tischweise vom Trainer höchstpersönlich zum Buffet geordert. Auf dem Trainingsfeld predigte er penetrant Taktik und Spielzüge, ganz Fußballlehrer alter Zeit. Plötzlich standen weithin Unbekannte aus der zweiten Mannschaft im Bundesliga-Team.

Van Gaals Kunst

Der Mann riskierte eine kleine Betriebsrevolution, die nach Meinung vieler schiefgehen musste. Die Medien veröffentlichten genüsslich die Liste der vielen beim FC Bayern gescheiterten Trainer, von Gyula Lóránt bis Otto Rehhagel, dem unvergessenen "Rubens". Tatsächlich verlor van Gaals Mannschaft zu oft, die Meisterschaft schien fern und das Ausscheiden aus der Champions League nah. "Louis van Gestern", titelte Bild bereits, der Rauswurf nach wenigen Monaten schien beschlossene Sache. Und dann begann der FC Bayern zu siegen. Die Fans und die Spieler begriffen: Hier war ein Trainer, der wusste, was er wollte.

Seine Kunst besteht darin, aus Stars, guten Mitläufern und jungen Talenten ein Kollektiv zu formen, das sich unterschiedlichen Situationen anpassen kann. Erstaunlicherweise fügten sich gestandene Nationalspieler wie Miroslav Klose oder Mario Gomez in Reservistenrollen, ein Star wie Franck Ribéry wiederum übernahm Schmutzarbeiten in der Defensive. In der Dimension der Management-Literatur ist Louis van Gaal ein Teambuilder.

Er ist das, was Angela Merkel nicht ist.

Leitbild? "Ein kameradschaftlicher Stil"

Die CDU-Chefin hat es nicht geschafft, aus ihrer Partei und der FDP nach der siegreichen Bundestagswahl vom 27. September 2009 ein Team zu bilden. Anders als der niederländische Fußball-Coach weist sie nicht an. Sie lässt die Dinge gerne ein wenig treiben. Angela Merkel schaut, wie sich gegensätzliche Interessen ausmendeln, um dann final auf der richtigen Seite zu sein. Sie halte es mit Helmut Kohl, erklärte die Politikerin Merkel einmal: "Entscheidend ist, was hinten herauskommt." Es sei besser, "nicht immer schon am Anfang zu entscheiden und Basta! zu rufen". Ihr Leitbild: "Ein kameradschaftlicher Stil."

Reicht Kameraderie in einer Wirtschafts- und Finanzkrise? Langt das im Umgang mit einer überheblichen FDP, die sich schon auf dem Weg zu einer neuen Volkspartei wähnte? Die Antwort ist: nein. Führungsvakuum wurde zum Problem - anders als beim FC Bayern München, für den Kamerad Klinsmann eine Randnotiz im Gesichtsbuch ist.

Angela Merkel ließ ihre Minister aus FDP und CSU gewähren. Ein bisschen Steuersenkung für Erben und Hoteliers, obwohl Geld im Haushalt fehlt, alles möglich. Es beruhigt ja intern die Gemüter. Auch durfte ungebremst über eine Steuerreform schwadroniert werden, das diente ja dem künstlichen Frieden. Oder Beispiel Umweltgesetzbuch vor einem Jahr noch in der großen Koalition: Dafür hatte sie schon zu Helmut Kohls Zeiten als Umweltministerin gekämpft, plötzlich war es weg.

Diese Luftmatratzen-Taktik des Sich-treiben-Lassens wählte die Kanzlerin auch in Fragen der Eurozone. Wo längst schon ein Konzept gegen die Schuldenmacherei gefragt war, verletzte auch Deutschland mit immer mehr Krediten die selbstgesetzten Regeln des Maastricht-Vertrags. Als dann das Schicksal der Defizit-Könige von Griechenland auf dem Spiel stand, ließ sie sich zunächst als "eiserne Kanzlerin" feiern, um schließlich doch eine 22-Milliarden-Euro-Hilfe zu gewähren. Die Zinsen auf griechische Staatsanleihen waren in der Zwischenzeit auf Rekordniveau gestiegen.

So geht das in einem fort in der Berliner Regierungsarbeit. "Präsidialer Stil", schimpfen die eigenen Parteifreunde. Und Merkels Team? Das reicht von leise gewordenen Querulanten wie Guido Westerwelle bis zu Totalausfällen wie Rainer Brüderle. Wo Louis van Gaal überzeugt, weil er Überzeugungen hat, gilt bei der Regierungschefin das Prinzip der Opportunität. Wo der Fußballlehrer gnadenlos ehrlich ist, ist Angela Merkel gnadenlos taktisch. Van Gaal steht für Werte, für Dinge wie Disziplin und Loyalität, für was aber steht die Kanzlerin?

Dem Niederländer, der im Oktober 2009 anlässlich der Präsentation seiner Autobiographie sogar ein eigenes Wappen (JvG) zur Schau stellte, verzeiht man sogar sein gelegentliches Prahlhans-Gehabe. Nun, in den Tagen des Erfolgs, küsst er seinen Spieler Demichelis, über den er einst verlauten ließ, "dass er nicht von meinem Blut trinkt". Gut möglich, dass dieser Louis van Gaal sogar die Champions League gewinnt und der FC Bayern München damit erstmals das "Triple" schafft.

Lernen vom Niederländer

Angela Merkel aber begeistert nicht. Sie vermittelt die Kälte eines vorpommerschen Spätherbsttages. Die Ministerpräsidenten der Union merken die Schwäche und gehen auf Distanz - zuletzt Horst Seehofer, der Mann, der in Madrid an diesem Samstag dem bayerischen Vorzeigeklub und seinem Trainer zujubeln will. Die politischen Tage sind ja schwer genug.

Die Kanzlerin hat Glück, dass in diesem Jahr nicht mehr gewählt wird. "Ich habe meinen eigenen Führungsstil", hat sie einmal trotzig behauptet, und am Ende ist es für sie ja auch immer gut gegangen: Zehn Jahre Parteivorsitz, fast fünf Jahre Kanzlerschaft. Im Fußball ist nach so langer Zeit ein Trainer meist entlassen. Aber auch in der Politik helfen Eigentore nicht weiter.

Vielleicht lernt Angela Merkel einmal aus dem Erfolg jenes Niederländers, der seit ein paar Monaten in Deutschland arbeitet.

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