Friedhelm Funkel:1267 Mal Profi und kein bisschen ausgebrannt

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Friedhelm Funkel hat mit seiner unprätentiösen Art eine erfolgreiche Fortuna geformt. (Foto: Bongarts/Getty Images)
  • Gegen die Bayern wird Friedhelm Funkel seinen 1268. Einsatz im Profifußball erleben.
  • Dem Düsseldorfer Trainer wurde seine unprätentiöse Art lange zu seinem Nachteil ausgelegt - zu Unrecht.
  • Nun, auf der Schlussetappe seiner Karriere, widerlegt der 65-Jährige mit der Fortuna all seine Kritiker.

Von Philipp Selldorf

Es geschah im vorigen Sommer in Stahlhofen am Wiesensee in dem von Heino besungenen schönen Westerwald. Ein Virus grassierte unter den Gästen des Hotels, zu denen die Lizenzspielermannschaft von Fortuna Düsseldorf gehörte. Wie bösartig, heimtückisch und kraftvoll dieses Virus war, hat er dadurch bewiesen, dass es ihm gelang, auf Friedhelm Funkel überzugreifen. Funkel, der für Krankheitserreger jeder Art eigentlich eine uneinnehmbare Festung darstellt, fühlte sich nicht wohl, begab sich aber trotzdem auf den Trainingsplatz. Ein verhängnisvoller Fehler, wie er heute selbst sagt. Am nächsten Tag ging es ihm prompt noch ein Stück schlechter. Abends beim Testspiel gegen die Sportfreunde Eisbachtal musste seine Mannschaft ohne ihn auskommen.

Im Lauf der Menschheitsgeschichte zählt dieses Versäumnis vielleicht nicht zu den wichtigsten Vorfällen, aber im Leben von Friedhelm Funkel bildet es ein Ausnahmeereignis, eine Rarität wie keine zweite in seiner 1991 begonnenen Trainerkarriere. Seit jenem Tag, da er als Assistent von Timo Konietzka in den Stab des Erstligisten Bayer 05 Uerdingen eintrat, hat Funkel weder krankheitshalber noch aus sonstigen Gründen ein Spiel seines Teams versäumt, in Stahlhofen aber ist es passiert, dieses eine Mal musste er passen.

Am Sonntag um halb vier aber wird er garantiert wieder zur Stelle sein, wenn Fortuna Düsseldorf den FC Bayern herausfordert. Funkel, 65, hat keine Antwort auf die Frage, der wievielte Einsatz im Profifußball ihm bevorsteht: "Ich weiß das nicht, aber ich höre das immer: Ich bin kurz vor 1300." Tatsächlich wird der Zählerstand die Nummer 1268 anzeigen, angefangen anno 1973 mit dem ersten Einsatz als Spieler von Bayer 05 Uerdingen in der damals zweitklassigen Regionalliga West bis zum Stichtag in Düsseldorf, und das ist ein nationaler Rekord, der zum Beispiel Niko Kovac dazu veranlassen müsste, in Demut und Ehrfurcht vor den Kollegen zu treten. Vor Prophezeiungen sollte man sich hüten, auch Bob Beamons vermeintlich ewiger Weitsprungrekord ist eines Tages übertroffen worden, doch was Funkels Marke angeht, ist sogar der Rekordhalter selbst, der Angeberei gänzlich unverdächtig, zur definitiven Prognose bereit: "Ich wage mal zu behaupten: Das erreicht keiner mehr."

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Zum Gespräch auf der Fortuna-Geschäftsstelle im Stadion trägt Funkel ein dunkelblaues Hemd, das ihn einerseits gut kleidet und andererseits geeignet ist, Heribert Bruchhagen zu beschämen. Dieser hatte vor einigen Jahren, damals als Vorstandsvorsitzender von Eintracht Frankfurt, die Behauptung aufgestellt, Funkel mache "auf Berufsjugendlicher" und ziehe Hemden an, "die eigentlich 25- bis 30-Jährige tragen sollten". Abgesehen davon, dass der Vorwurf die einzige Schmähung war, die Bruchhagen gegen seinen hochgeschätzten Trainer vorzubringen wusste, ist das natürlich immer noch eine ungeheure Beschuldigung, die Funkel sofort und knallhart zu kontern versteht: "Heribert ist nur fünf Jahre älter als ich - aber kleidungsmäßig liegen 30 Jahre zwischen uns." Im Übrigen, fügt er an, könne man "das ruhig erwähnen in dem Bericht".

Aber natürlich sollte man dann auch erwähnen, dass niemals eine Diskussion über modische Vorlieben diese beiden Männer trennen wird, die sich nicht nur während der fünf gemeinsamen Jahre in Frankfurt bestens verstanden haben.

Inzwischen staunt keiner mehr, Düsseldorfer Erfolge sind anerkannte Normalität

Die Konfrontation von Vergangenheit und Moderne ist ein Thema, das Funkels Trainer-Karriere schon lange begleitet, meist in Form von Vorurteilen zum Nachteil seines Rufes. Aber davon ist nirgendwo die Rede mehr, seit er mit seinem Spätwerk bei der Fortuna all die Vorbehalte und Vorwegnahmen mit wundersam leichter Hand widerlegt. Der Aufsteiger hat seine 37 Punkte nicht mit Maurerfußball und ein paar Ecken- und Freistoßtoren zusammengetragen, sondern mit einem planvoll organisierten offensiven Spiel, das regelmäßig für Aufsehen sorgt und sogar schon manchen Schönheitspreis verdiente. Nach dem Abpfiff des Hinspiels in München, das dank der drei Treffer des Leihstürmers Dodi Lukebakyo 3:3 endete, standen Funkel und seine Routiniers Oliver Fink, 36, und Adam Bodzek, 33, beisammen und haben sich nicht nur gefreut, sondern auch ein bisschen gewundert.

Inzwischen staunt keiner mehr, die Düsseldorfer Erfolge sind anerkannte Normalität. Zuletzt hat die Fortuna unter anderem auf Schalke 4:0 gewonnen, Mönchengladbach binnen 16 Anfangsminuten auseinandergenommen und kürzlich das Berliner Olympiastadion gestürmt. Nie hat man Funkel, obwohl er mit seiner Beständigkeit eine Instanz im deutschen Fußball darstellt, zur Einflussgröße erhoben wie Pep Guardiola oder Christoph Daum oder sehr vergängliche Erscheinungen wie den "Konzepttrainer" Uwe Rapolder. Daher ist es jetzt auch sehr gerecht, dass er rechtzeitig auf der Schlussetappe seines Schaffens den Beifall bekommt, der ihm immer wieder vorenthalten wurde. Ist es nicht schade, dass ihm all die Jahre nie ein Spitzenteam anvertraut wurde? Funkel hadert nicht, er gibt lieber eine weise Antwort: "Hermann Gerland und Peter Herrmann haben zuletzt was Schönes zu mir gesagt: Sie hätten gern mal gesehen, wenn ich Bayern München trainiert hätte. Da habe ich gesagt: Ist nie so gekommen."

Rudi Völler jedenfalls hat sich mit seinem Votum für den Trainer des Jahres bereits festgelegt, egal was passiert, so hat er kürzlich erklärt, seine Wahl werde Funkel sein. "Ich müsste lügen, wenn ich sagen wollte, das gefällt mir nicht - würde mir ja auch keiner glauben", kommentiert es der Geehrte auf die ihm gemäße Art. Immer wieder ist sein unprätentiöses Auftreten mit Mangel an Glamour verwechselt und sein realpolitischer Fußball als hausbacken missverstanden worden, nun sieht er sich auf einmal genötigt, die vielen Komplimente richtigzustellen: "Der Heribert (Bruchhagen) hat mal etwas gesagt, was mir gut getan hat: 'Friedhelm holt aus seinen Mannschaften das Möglichste heraus.' Das ist ein Satz, von dem ich überzeugt bin. Bei der Eintracht haben wir uns immer realistische Ziele gesetzt - aber genau das war in Frankfurt zu wenig." Was ihn in Düsseldorf nicht daran gehindert hat, nach gewohntem Muster zu verfahren: "Wir sind in die Saison gegangen und haben gesagt: Schauen wir mal, ob wir mithalten können. Wir wussten das ja nicht."

Das gepflegte, vom Wohlstand verwöhnte und gezeichnete Düsseldorf ist eine Stadt, in der Fußball nicht so sehr das Selbstverständnis prägt wie in Frankfurt oder der Nachbargemeinde Köln. Die Fortuna ist eine Institution, aber nicht obligatorischer Mittelpunkt des gesellschaftlichen Lebens. Im Grunde sind die prominentesten Fortuna-Leute die "Toten Hosen", die neulich die Fußballer zur Premiere ihres Konzertfilms ins Kino eingeladen haben und nun zum Gegenbesuch beim Mittagessen in der Spielerkabine erwartet werden. Die meisten Fortuna-Profis würden auf der Straße vermutlich gar nicht erkannt werden, hat vor ein paar Wochen ein Klubmitarbeiter bemerkt, und daran hat sich wohl nicht viel geändert. Was passierte, als Oliver Fink nach dem euphorisierenden 3:1 gegen Gladbach mit der Straßenbahn zur Heinrich-Heine- Allee fuhr? "Das ist ja das Schöne: Nichts!", berichtet der Mittelfeldspieler.

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Bei der Fortuna hat Funkels Sinn für das Machbare und für das richtige Maß von Anfang an verfangen. Fink, gebürtiger Oberpfälzer, zugewandert vor zehn Jahren, erinnert sich gern daran, wie im März 2016 der neue Chefcoach anfing, mitten im Abstiegskampf der zweiten Liga: "Da kam ein Trainer, der in sich ruhte, der nicht aus der Emotion entschied oder aus Aktionismus, das war ein einschneidendes Erlebnis. Sachen, die vorher bei uns nicht funktionierten, klappten auf einmal. Plötzlich hatten wir das nötige Ballglück, 50:50-Situationen gingen zu unseren Gunsten aus." Das war für Fink erst mal unerklärlich, auf Dauer aber nicht: "Es gibt ja jetzt für alles im Fußball neue Statistiken, Packing-Raten, Verwissenschaftlichung und und und - aber der Faktor Mensch ist einfach entscheidend", sagt er. "Anstand, Höflichkeit, Respekt: Da kann man von Funkel viel lernen." Und auch dies: "Es gilt immer gleiches Recht für alle."

Kein exzentrisches Genie, aber auch nicht verrückt

All diese Merkmale gehören nicht zu den Eigenheiten, die ein exzentrisches Genie auszeichnen, aber das ist ja eine der Besonderheiten an Friedhelm Funkel: Dass er in diesen bald 50 Jahren Profifußball nicht beruflich deformiert worden ist wie so viele andere, die systematisch ausbrennen, an manischer Arbeitswut erkranken oder sich verbittert in Despoten verwandeln. Oliver Fink stimmt der These vom nicht-verrückten Friedhelm Funkel lebhaft zu: "Auf jeden Fall, und ich finde es erstaunlich, denn man lebt im Fußball in einer Blase und in einer Mühle." Funkel erklärt die Absenz von geistigen Beschädigungen auf die gleiche Weise wie seine robuste Gesundheit: mit einem Schulterzucken. "Ich bin, wie ich bin. Ich bin keiner, der sich besonders gesund ernährt, esse, was mir schmeckt, trinke ein Bier und einen Wein dazu, das gehört alles zusammen. Vielleicht liegt es daran, dass ich immer an der frischen Luft bin, immer noch Sport mache." Tennis spielt er, die Saison in der Herrenmannschaft 55+ beim CHTC Krefeld hat gerade angefangen.

Fink ist seinem Trainer natürlich dankbar dafür, dass er ihm in so späten Jahren noch zum Höhepunkt der Karriere verholfen hat, doch Aufhören will er trotzdem nicht. Den Vertrag hat er schon verlängert, und auch Friedhelm Funkel freut sich schon aufs nächste Jahr Bundesliga: "Viele sagen jetzt zu mir: Hör auf! Besser kann es nicht werden", erzählt er. Die Leute meinten es gut mit ihm und hätten wahrscheinlich sogar recht, "normalerweise muss es schlechter werden, weil wir einige unserer Spieler nicht werden halten können". Andererseits: "Dass ich aufhören soll, weil es schlechter wird, das haben sie schon letztes Jahr nach dem Aufstieg gesagt - aber es ist noch besser geworden."

© SZ vom 13.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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