11 Freunde:25 Dinge über die Schweiz

Im Juni lädt die Schweiz zur Europameisterschaft. Höchste Zeit also für launige Geschichten aus der putzigen Alpenrepublik mit halbdirekter Konkordanzdemokratie. Ein 11-Freunde-Artikel von Philipp Köster

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Schweiz

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Im Juni lädt die Schweiz zur Europameisterschaft. Höchste Zeit also für launige Geschichten aus der putzigen Alpenrepublik mit halbdirekter Konkordanzdemokratie. Wir erzählen von gefährlichen Gleiswechseln, Palindromen als Namensgeber, Kartoffelplantagen in Wankdorf und einem Schweizer, der Herberger nach Spiez brachte. Ein 11-Freunde-Artikel von Philipp Köster

Collage: Vera Thiessat, sueddeutsche.de

Günther Netzer

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1. Fangen wir mit dem Titel an. Einmal ist die Schweiz tatsächlich schon Europameister geworden, allerdings ein wenig inoffiziell. Im Fußballturnier der Olympischen Spiele 1924 verlor die Schweizer Elf erst im Endspiel gegen Uruguay mit 0:3 und wurde trotz des verlorenen Finales mit einem inoffiziellen Titel geehrt: dem des Europameisters.

2. Der englische Einfluss auf den Schweizer Fußball hat sich vielfach verewigt. Die Young Boys Bern und Grasshopper Zürich sind ebenso Beispiele wie zahlreiche Begriffe aus der Schweizer Fußballsprache. Die Ecke heißt in der Schweiz noch immer Corner, das Tor Goal und der Elfer Penalty.

3. Am 15. Mai 1967 demonstrierten die Kicker von Lausanne im Berner Wankdorfstadion gewaltlosen Widerstand. Als der FC Basel in der 88. Minute des Cupfinales einen zweifelhaften Elfmeter zugesprochen bekam, setzte sich die vollständige Mannschaft von Lausanne aus Protest auf den Rasen. Es folgten lang anhaltende Diskussionen, ohne Ergebnis. Das Spiel wurde abgebrochen, Basel gewann am grünen Tisch mit 3:0.

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Auch Günter Netzer spielte ab 1976 noch eine Saison für die Grasshoppers aus Zürich.

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Schweizer Nationalteam

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4. Courage zeigten die Schweizer Nationalspieler 1995 beim Länderspiel gegen Schweden in Göteborg. Mit dem Transparent "Stop it Chirac" protestierten sie gegen französische Atomtests. Die Funktionäre schäumten. "Man darf den Sport nicht für Politik missbrauchen", gab Verbandspräsident Marcel Mathier damals erzürnt zu Protokoll.

5. Schweizer waren auch international als Vereinsgründer tätig. Dass der FC Barcelona in blau-roten Trikots kickt, ist zum Beispiel dem Schweizer Hans Gamper zu verdanken, der 1899 an der Gründung des Klubs beteiligt war und dem FCB kurzerhand die Farben seines Lieblingsklubs FC Basel verpasste.

6. Der älteste Schweizer Klub ist jedoch weder der FC Basel noch Xamax Neuchâtel, sondern der 1860 von englischen Studenten gegründete "Lausanne Football and Cricket Club". Damit geht der Verein als erster Klub Kontinentaleuropas durch, der erste Verein wurde in Sheffield drei Jahre zuvor aus der Taufe gehoben.

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Politik auf dem Fußballplatz: Die Schweizer Nationalelf protestiert 1995 gegen französische Atomtests.

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Ottmar Hitzfeld

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7. Eine taktische Innovation ersten Ranges ersann der Österreicher Karl Rappan mit dem sogenannten Schweizer Riegel. 1930 entwickelt, ließ Rappan seine Mannschaften kollektiv stürmen und verteidigen, eine für damalige Verhältnisse nahezu revolutionäre Mixtur aus Mann- und Raumdeckung, eine Urform des späteren italienischen Catenaccio.

8. Servette Genf hätte in der Saison 1931 mehr auf die Bildung seiner Spieler achten sollen. Im Achtelfinale des Schweizer Cups hatten die Genfer Lausanne mit 2:1 geschlagen, dabei aber mehr als die erlaubten drei Ausländer eingesetzt. Dabei durften zusätzlich ausländische Spieler eingesetzt werden, die an einer Hochschule immatrikulierte Studenten waren. Eine Immatrikulationsbescheinigung konnte jedoch keiner der Spieler vorweisen, das Spiel wurde für Lausanne gewertet.

9. Das längste eidgenössische Pokalfinale aller Zeiten wurde am 29. März 1948 ausgetragen. Im Endspiel standen sich im Wankdorf La Chaux-de-Fonds und Grenchen gegenüber. Nach regulärer Spielzeit und Verlängerung stand es immer noch 2:2, ein Wiederholungsspiel wurde nötig. Das fand drei Wochen später ebenfalls in Bern statt und fand fatalerweise wieder keinen Sieger, das Ergebnis, man ahnt es schon, lautete 2:2. Das stürzte nun Klubs und Verband in terminliche Kalamitäten, erst knapp drei Monate später konnte das zweite Wiederholungsspiel stattfinden, in Lausanne siegte La Chaux-de-Fonds locker mit 4:0.

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Der zukünftige Nationaltrainer der Eidgenossen, Ottmar Hitzfeld, guckte schon 2004 gerne Fußball in der Schweiz, hier als Zuschauer beim Spiel der Schweizer Fußball-Super-League, FC Aarau gegen Servette Genf.

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Sepp Herberger

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10. Den Geist von Spiez hätte es ohne einen Schweizer nicht gegeben. Albert Sing, etatmäßiger Coach von Young Boys Bern und guter Freund des deutschen Bundestrainers Herberger, hatte die Liste der Hotels gesehen, in denen die deutsche Nationalelf während der WM 1954 wohnen sollte. "Die waren alles andere als optimal", fand Sing und schlug Herberger das idyllische Hotel Belvedere in Spiez am Thunersee vor. Keine schlechte Wahl.

11. Für die deutsche Nationalelf spielte die Schweiz gleich dreimal den Geburtshelfer. Das erste deutsche Länderspiel, damals "freundschaftlicher Länderkampf" genannt, fand vor genau 100 Jahren auf einem Landhof in Basel statt. Vor damals schon respektablen 4.000 Zuschauern gewannen die Schweizer mit 5:3. Nach dem Ersten Weltkrieg durchbrach die Schweiz den europaweiten Sportboykott mit einem Länderspiel in Zürich im Juni 1920, das Spiel endete 4:1 für die Eidgenossen. Beinahe schon traditionell war es nach dem Zweiten Weltkrieg wiederum die Schweiz, die der Bundesrepublik den Weg aus der sportlichen Isolation ebnete. Am 22. November 1950 sahen 100.000 Zuschauer im Stuttgarter Neckarstadion das erste deutsche Nachkriegsländerspiel. Der Schweizer Verbandspräsident Gustav Wiederkehr hatte schon 1949 erklärt: "Einmal muss doch eine Bresche in die Mauer geschlagen werden."

12. Als einziger Klub der Schweizer Super League besitzt Young Boys Bern eine nach dem Klub benannte Wurst. Weil sich bei jedem Spiel im Wankdorfstadion lange Schlangen vor den Wurstbuden gebildet hatten, hatten die Verkäufer über eine größere und damit sättigendere Wurst nachgedacht. Ein in Lausanne entwickeltes Rezept für eine längere Wurst wurde daraufhin adaptiert und fortan als "YB-Wurst" verkauft.

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Vielleicht hat auch die Hotelauswahl zum Titelgewinn 1954 beigetragen: Trainer Sepp Herberger (rechts) und sein Mannschafts-Kapitän Fritz Walter (links) lassen sich von den Fans feiern.

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FC Wil

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13. Wo wir gerade bei Berner Spezialitäten sind. Das Wankdorfstadion wurde 1979 kurzfristig zur landwirtschaftlichen Nutzfläche. Empörte Anhänger hatten auf dem Rasen Kartoffeln angepflanzt, die der Platzwart mühselig wieder ausbuddeln musste. Immerhin wurden die Pflanzen hinterher einer sinngemäßen Nutzung zugeführt, der Platzwart ließ seine Gattin die Kartoffeln zu einer Rösti verwerten.

14. Auch in der beschaulichen Super League sind Finanzskandale keine Seltenheit. Anno 2002, die Liga hieß damals noch NLA, wurde der plötzlich sehr erfolgreiche FC Wil von seinem Präsidenten Andreas Hafen finanziell unterstützt. Journalisten und Fans, die sich fragten, woher Hafen das Geld habe, wurden mit dem Hinweis versorgt, das Geld sei von "nicht genannt werden wollenden Investoren". Der nicht genannt werden wollende Investor war allerdings sein Arbeitgeber UBS, den Hafen um rund 51 Millionen erleichtert hatte.

15. Rekordmeister der Schweiz ist der Grasshopper Club Zürich. 27 Titel, da muss sogar der FC Bayern noch lange für stricken.

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Im Schweizer Pokalfinale 2004 setzte sich der FC Wil mit 3:2 gegen die Grashopper aus Zürich durch.

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Jakob Kuhn

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16. "Wir wollen sein ein einig Volk von Brüdern, in keiner Not uns trennen und Gefahr", deklamieren die Schweizer im Wilhelm Tell. Beim Fußball ist es schnell vorbei mit der Brüderlichkeit, schon die beiden Zürcher Stadtklubs Grass- hopper und FCZ verabscheuen sich leidenschaftlich. Da nun die Stadien der beiden Klubs, hier der Hardtturm, dort der Letzigrund, sehr nahe beieinander liegen und nur von den Gleisen der Schweizer Bahn SBB getrennt werden, wird ein Vereinswechsel innerhalb der Stadt als Marsch "über die Geleise" bezeichnet und als Todsünde betrachtet. Jahrzehntelang verzichteten Spieler aus Pietätsgründen auf einen solchen Transfer, andere wurden aus Schaden klug. Der aktuelle Schweizer Coach Jakob Kuhn etwa wechselte einst vom FCZ zu den Grasshoppers und kehrte nach zwei Monaten reumütig zurück, so heftig waren die innerstädtischen Proteste gewesen.

17. Madeleine Boll wurde 1965 die erste lizenzierte Spielerin der Schweiz. Irrtümlich hatte der Verband der jungen Fußballerin eine Lizenz ausgestellt, mit der Boll im Knabenteam des FC Sion mitkickte. Alsbald spielte sie dort so erfolgreich, dass sie im Spiel einer Regionalauswahl im Berner Wankdorfstadion zum Einsatz kam. Der Inkognito-Auftritt sorgte für Schlagzeilen, mit weitreichenden Folgen für die Akteurin, der die Lizenz wieder entzogen wurde. Was Boll aber verkraften konnte, sie wechselte nach Italien und spielte dort in der frisch eingerichteten Profiliga der Frauen.

18. Zeitgleich hatten die Spielerinnen Monika und Silvia Stahel in Murgenthal einen Fußballklub namens FC Goitschel gegründet und den Verband gebeten, offiziell anerkannt zu werden. Diese Bitte wurde abgeschmettert, allerdings ein Kompromissvorschlag unterbreitet: Die fußballbgeisterten Frauen könnten doch Schiedsrichterinnen werden. Was skurril und wenig emanzipativ klingt, vielen Frauen aber den Weg in den Fußball ebnete.

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Jakob "Köbi" Kuhn ist seit 2001 Nationaltrainer der Schweiz. Im Sommer läuft sein Vertrag aus und er wird sein Amt an Ottmar Hitzfeld übergeben.

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Liechtenstein

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19. Ein Palindrom ist eine Zeichenkette, die von vorne wie von hinten gelesen das Gleiche ergibt. Also: Anna. Oder: Erika feuert nur untreue Fakire. Oder: Ein Neger mit Gazelle zagt im Regen nie. Oder: Xamax. Denn der ruhmreiche Klub aus Neuchâtel bekam das Palindrom seines Mitgründers Max Abegglen als Vornamen verpasst.

20. Weil im heimischen Fürstentum kein rechter Ligabetrieb zustande kommt, kickt der FC Vaduz aus Liechtenstein seit 1932 im Schweizer Ligabetrieb mit, derzeit in der Challenge League, der zweithöchsten Spielklasse. Einen Heiterkeitserfolg erzielten die Liechtensteiner, als sie vor einigen Jahren, erbost über die Klecksereien auswärtiger Fans, den Senfausschank im heimischen Rheinparkstadion einstellten. Worauf die Anhänger des FC Winterthur anlässlich ihres Besuches ein majestätsbeleidigendes Transparent enthüllten: "Der Fürst ist eine Senfnase". Die Anhänger konnten froh sein, nicht gleich in Festungshaft genommen zu werden.

21. Bei Regelverstößen kennt man in der Schweiz keinen Spaß. Dem FC Bern wurde 1923 der Meistertitel aberkannt, der Klub hatte einen nicht einsatzberechtigten Spieler aufgestellt.

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Der Rhein dient als Grenze zwischen der Schweiz und dem Fürstentum Liechtenstein

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Marco Streller

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22. Auch wenn es nie zu einem Titel reichte, einige WM-Rekorde konnten die Schweizer für sich verbuchen. 1954 bestritten sie bei der 5:7-Niederlage gegen Österreich das torreichste Spiel der WM-Geschichte. Außerdem ist die Schweiz seit der WM 2006 die einzige Mannschaft der Turniergeschichte, die ohne einen einzigen Gegentreffer in der regulären Spielzeit ausschied. Und damit nicht genug: Sie ist auch noch das einzige Team, das in einem Elferschießen kein Tor erzielen konnte.

23. Der FC Bern existiert immerhin noch, im Gegensatz zum "Anglo-American Club Zürich". Die Zürcher hatten mit zehn anderen Klubs 1895 den Schweizerischen Fussballverband aus der Taufe gehoben und waren 1898/99 sogar durch einen 7:0-Sieg im Finale gegen die BSC Old Boys Basel Meister geworden. Um sich nur ein Jahr später schon wieder aufzulösen.

24. Der FC Sion startete 2003/04 mit beeindruckenden drei Monaten Verspätung in die Saison der 2. Liga. Der Grund: Der Verein war zunächst in die 3. Liga zwangsrelegiert worden, hatte dann aber gegen die Swiss Football League prozessiert und gewonnen. Die Liga musste darauf auf 19 Vereine aufgestockt werden, für den FC Sion war die Entwicklung ein Segen: Heute spielt der Klub sogar in der 1. Liga.

25. Jeder Klub der Super League kann Meister werden, außer dem vorhin erwähnten FC Vaduz und anderen Teams aus Liechtenstein. Steht eine liechtensteinische Mannschaft am Ende ganz oben, so wird das beste nicht-liechtensteinische Team Schweizer Meister.

Die Schweiz und ihr Pech beim Elfmeterschießen: Auch bei der WM 2006 kam Marco Streller (rechts) nicht am starken Torwart der Ukraine vorbei, die Eidgenossen verlieren 0:3

sueddeutsche.de/www.11freunde.de

Foto: dpa

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