French Open:Raus beim Lieblingsturnier

2016 French Open - Day Five

Aus in Runde zwei: Andreas Petkovic scheitert früh bei den French Open. "Da werde ich mich jetzt wieder rausarbeiten", sagt sie.

(Foto: Getty Images)

Andrea Petkovic war einmal die Nummer neun der Welt. Ihr neuer Trainer Jan de Witt will ihr Spiel verändern - doch in Paris scheitert die ehemalige French-Open-Halbfinalistin bereits in der zweiten Runde.

Von Philipp Schneider, Paris

Eine "verrückte Nudel" sei Julia Putinzewa aus Kasachstan, hat Andrea Petkov am Dienstag über ihre Zweitrunden-Gegnerin bei den French Open erzählt. "Ich mag sie unheimlich gerne, weil sie sehr energetisch ist und die große Bühne liebt", sagte Petkovic noch. Das klang ein bisschen so, als beschreibe sie sich selbst. Oder zumindest jene Andrea Petkovic, die vor Jahren freudetaumelnd auf der Tour unterwegs gewesen war, die mancherorts Tänzchen des Glücks in den Sand gesteppt hatte. 48 Stunden später hatte Putinzewa, die 21-jährige Nummer 60 der Welt, Petkovic aus dem Turnier geworfen. Mit 6:2, 6:2, nach 96 Minuten. In der zweiten Runde war Petkovic in Paris zuletzt 2010 ausgeschieden. Alles okay, alles halb so wild, sagte Petkovic nach der Niederlage, sie habe in ihrer Karriere schon viel Schlimmeres erlebt als ein paar schlechte Ergebnisse nacheinander. "Da werde ich mich jetzt wieder rausarbeiten", sagte sie.

Und doch stellt sich nun die Frage: Sollte sich nicht alles zum Guten wenden nach dem Trainerwechsel im Dezember?

Ein Treffen mit Jan de Witt. Dem Mann, der seit sechs Monaten versucht, Petkovic in den Griff zu bekommen. Am Tag vor der Niederlage sitzt der 51-jährige Trainer im Spielerrestaurant, vor sich ein Salat mit Hühnchen. Eine halbe Stunde hat er Zeit, dann muss er wieder los. De Witt schaut so viele Matches wie möglich, er muss in Paris auch die Männerkonkurrenz im Blick haben, weil er zudem den Franzosen Gilles Simon betreut. De Witt sagt: "Die Sache ist komplex. Andrea ist eine starke, eine sehr eigene Persönlichkeit. In manchen Bereichen des Profilebens macht das die Arbeit schwieriger. Schwierig ist vor allem der Bereich: Geduld mit sich selber zu haben."

Andrea Petkovic ist 28 Jahre alt, sie war mal die Nummer neun der Welt, fünf Jahre ist das nun her. Und deshalb hatte sie im November die Geduld verloren, sie stand kurz davor, ihre Karriere zu beenden. Jedenfalls hat sie das so gesagt. Bei Petkovic weiß man ja nie so genau, wie ernst sie ihre Ankündigungen selber nimmt. Die Sache ist tatsächlich sehr komplex. Nach einer 0:6, 0:6-Niederlage gegen Carla Suárez Navarro in Zhuhai beschrieb sie einen sehr finsteren Gemütszustand. "Ich hasse derzeit mehr Teile meines Jobs, als ich andere mag. Als ich zu Hause war, habe ich mich wirklich glücklich gefühlt. Aber ab jener Minute, als ich wieder auf die Tour zurückgekehrt bin, war ich irgendwie deprimiert. So deprimiert, dass ich eigentlich überhaupt nicht aus dem Bett kommen wollte."

Ihr Wechsel zu de Witt in die Breakpoint-Base in Halle, Westfallen war wie eine Flucht. Wer, wenn nicht de Witt, der sich in der Szene einen blendenden Ruf erworben hat, würde Petkovic in den Griff bekommen? De Witt ist ein Tüftler, ein Statistik-Freak, einer, der seit Jahren riesige Datenmengen auswertet. Informationen von über 400 Spielern hat er archiviert, und ehe er Andrea Petkovic als Spielerin übernahm, hatte er auf der Profiebene nur Männer betreut. Nun muss er die Arbeit mit Simon und Petkovic gut koordinieren, de Witt verschickt regelmäßig Mails an die Spielerorganisationen WTA und ATP, damit bei keinem großen Turnier ein Match seiner Spieler parallel angesetzt wird.

Petkovic sei "nicht so eindimensional wie viele Profisportler"

De Witt wollte Petkovic nicht nur trainieren, weil er ihr noch immer einen Grand-Slam-Erfolg zutraut und auch eine dauerhafte Präsenz in der Top 10. Er wollte Petkovic trainieren, weil sie "nicht so eindimensional ist wie sehr viele Profisportler", das hat sie gemeinsam mit dem feingeistigen Simon. Und dann sagt de Witt diesen schönen Satz: "Andrea hat sehr viele Facetten. Ich finde es sehr reizvoll, sich mit den unterschiedlichen Teilen ihrer Persönlichkeit auseinanderzusetzen, die bei ihr fast immer mit rein spielen in den Sport." Eine tiefenscharfen Analyse war das, ein feines Psychogramm.

In den vergangenen Monaten setzte de Witt die unterschiedlichen Teile ihrer Persönlichkeit wieder zusammen. Zu einer Andrea Petkovic, die wieder Freude am Tennis empfinden konnte. "Er hat schon ein gutes Gefühl für Menschen", hat Petkovic nach ihrem Auftaktsieg in Paris erzählt. "Er weiß, dass bei mir die Lockerheit dazu kommen muss zu der Disziplin, die ich auch so in mir habe."

Vor zwei Jahren stand Petkovic in Paris noch im Halbfinale

Wenn diese Lockerheit fehlt, führt Petkovic' extreme Neigung zur permanenten Selbstreflexion, zur Selbstblockade. Insofern ist de Witt davon überzeugt, dass Angelique Kerbers überraschender Titelgewinn bei den Australian-Open auch Petkovic beflügeln wird. Irgendwann zumindest. "Andrea hat Angie oft genug geschlagen. Sie weiß, dass sie dieses Niveau auch spielen kann." Nur warten Petkovic und de Witt seit Beginn ihrer Zusammenarbeit noch auf einen großen Erfolg.

Elf Turniere hat Petkovic in diesem Jahr gespielt, sechs Mal schied sie in der ersten Runde aus, zuletzt auch bei den Vorbereitungswettbewerben in Madrid und Rom. Nur im Februar erlebte sie ein kleines Zwischenhoch, in Doha erreichte sie das Halbfinale, in Dubai das Viertelfinale. Und jetzt also: raus nach der zweiten Runde French Open, ihrem geliebten Major, wo sie 2014 noch im Halbfinale gestanden hatte.

De Witt hat in den vergangenen Monaten auch Petkovic' Spiel verändert. Er mahnt zur Geduld, langfristig wird ihr das helfen, auch wenn gegen Putinzewa der Matchplan nicht aufging. Eine Idee von de Witt ist, dass Petkovic mutiger und schneller serviert. Mehr freie Punkte soll sie so erhalten, das schont Kraft, auch wenn darunter die Aufschlagquote leidet. "Irgendwas muss man geben dafür", sagt de Witt. Sie serviere inzwischen "drei, vier, fünf Asse" in den Matches, hat Petkovic Anfang der Woche selbst zufrieden festgestellt. Gegen Putinzewa schlug sie null Asse und drei Doppelfehler. Aber daran lag es nicht, schon eher am Stellungsspiel. "Meine Beine waren nicht da", sagte Petkovic. "Und als sie dann endlich eintrafen, war es längst zu spät."

Petkovic soll "simpel spielen", fordert de Witt, "die Wucht ihrer Schläge nutzen". Simpel kann aber auch heißen, "dass sie mit Wucht auf Ziele spielt, die kürzer entfernt sind". Sie solle sich mehr zutrauen, mehr schwierige Schläge und direkte Punktgewinne suchen. Doch all diese Pläne gingen diesmal nicht auf. Gegen Putinzewa unterliefen ihr 32 unerzwungene Fehler, nur zwei von zehn Aufschlagspielen brachte sie ins Ziel.

"Ich bin schon zufrieden, dass wir seit sechs Monaten eine relative Stabilität haben", sagt de Witt. Und so darf man das ja wirklich sehen. Petkovic ist relativ stabil.

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