French Open:Kiki Bertens schüttelt die Sorgen ab

2016 French Open - Day Eleven

Elfter Sieg in Serie: Kiki Bertens nach ihrem erstaunlich glatten Achtelfinal-Erfolg gegen die Amerikanerin Madison Keys.

(Foto: Getty Images)

Von Philipp Schneider, Paris

Da sitzt sie. Nicht einmal zehn Minuten nach ihrem Matchball. Kiki Bertens hat sich ein Handtuch über die Schultern geworfen, wenn sie schon geduscht haben sollte, dann auch dies: mit viel Schwung. Viel Zeit hat Bertens nicht, sie muss gleich weiter zur Massage, am Nachmittag spielt sie ja schon wieder Doppel. "Nun", sagt Bertens, sie lächelt. "Die zwei Tage Regen haben ganz gut getan, mein Körper war ganz wund vom vielen Tennis in den letzten Tagen." Das war eine Untertreibung. Bertens hatte nicht viel gespielt. Sie hatte immer gespielt. Seit Wochen. Und immer gewonnen.

Bei jedem Grand-Slam-Turnier gibt es Überraschungen, Favoriten scheiden aus, Außenseiter kommen weit. Aber war Kiki Bertens, diese 24-jährige Holländerin aus Wateringen das überhaupt? Eine Außenseiterin? Oder ist sie einfach nur erstmals sorgenfrei und fit, gewissermaßen: sie selbst?

Ein ganzes Jahr lang war Bertens überzeugt, an Krebs erkrankt zu sein

Am Mittwoch ist Bertens, die Nummer 58 der Welt, im bereits 49. Einzel ihrer Saison ins Viertelfinale der French Open gestürmt. Nach einem erstaunlich mühelosen 7:6 (4), 6:3 gegen Madison Keys. Die 21-Jährige ist 41 Plätze weiter vorne zu finden in der Rangliste und gilt seit ihrem Halbfinal-Einzug bei den Australian Open im Januar als riesiges Talent in den USA. Aber Kiki Bertens räumt in Roland Garros gerade ständig Spielerinnen aus dem Weg, gegen die sie früher verloren hätte.

In der ersten Runde hat Bertens die Australian-Open-Siegerin Angelique Kerber aus dem Turnier befördert. Nachdem sie in der Woche vor den French Open bereits den Wettbewerb in Nürnberg gewonnen hatte, bei dem Kerber in letzter Sekunde abgesagt hatte, weil sie sich nicht rundum fit gefühlt hat. Bertens gewann in Nürnberg nicht nur im Einzel, sondern auch noch im Doppel. Auch in Paris spielt sie Doppel, mit der Schwedin Johanna Larsson verlor sie erst im Viertelfinale, nachdem sie die Williams-Schwestern Venus und Serena geschlagen hatten - mit 6:0 im dritten Satz. Ihr Sieg gegen Keys war der elfte in Serie. "Ich weiß nicht, vielleicht tun sie in Nürnberg etwas Spezielles ins Essen?", fragt Bertens, dann lacht sie wieder.

Ob sie überhaupt noch wisse, wie sich Niederlagen anfühlen? Ach, sagt Bertens. Es gehe halt "immer weiter irgendwie". Nach der Woche in Nürnberg sei sie schon müde gewesen, aber in Paris "fühle ich die Bälle richtig gut. Und auch der Körper fühlt sich gut an". Das war lange Zeit nicht so.

Bertens weinte vor Glück

100 Millionen geknackt- Novak Djokovic stellt Preisgeld-Rekord auf

Am Tag, als Novak Djokovic den nächsten Rekord in seiner an Bestmarken nicht armen Karriere aufgestellt hatte, erzählte er von Nicolas Kiefer. Gegen den Holzmindener hatte der Weltranglistenerste aus Serbien 2007 in der dritten Wimbledon-Runde das längste Match seines Lebens gespielt, das sich wegen einiger Regenunterbrechungen über fünf Tage zog. Auch an das Match, mit dem sich nun Djokovic als erster Profi in der Geschichte des Tennis ein summiertes Preisgeld von mehr als 100 Millionen Dollar erspielte, wird er sich lange erinnern. Es sei das zweitlängste gewesen, sagte Djokovic über die am Dienstag wegen Regens unterbrochene Partie gegen den Spanier Roberto Bautista Agut. Nach 3:12 Stunden verwandelte Djokovic auf dem Court Philippe Chatrier seinen zweiten Matchball zum 3:6, 6:4, 6:1, 7:5. Vor Beginn des Turniers hatte Djokovic 99 673 404 Dollar erspielt, für den Sprung ins Viertelfinale kassiert er etwa 328 280 Dollar. Eine wichtigere Zahl: Drei Siege ist er nur entfernt vom einzigen Grand-Slam-Titel, der ihm fehlt. Phlipp Schneider

Kiki Bertens hat düstere Tage erlebt, und ausgerechnet in Paris wendet sich nun alles wieder zum Guten. Vor zwei Jahren, kurz vor Beginn der French Open, war Bertens noch die Nummer 148 der Welt, als bei ihr ein Tumor an der Schilddrüse diagnostiziert wurde. In der Woche von Paris lag ein dunkler Schatten auf ihrem Leben. Und doch spielte sie sich bis in die vierte Runde, verlor erst gegen die spätere Halbfinalistin Andrea Petkovic.

Es folgten schlimme Wochen und Monate, Bertens litt unter Depressionen, sie war niedergeschlagen und hatte in der Nacht Schwierigkeiten, in den Schlaf zu finden. Sie eilte von Arzt zu Arzt. Ein ganzes Jahr lang war sie davon überzeugt, an Krebs erkrankt zu sein. Schließlich suchte sie einen Spezialisten auf in den USA. Es war schon wieder kurz vor Beginn der French Open, als Bertens eine Diagnose erhielt. Sie erfuhr, dass ihr Tumor gutartig war, nicht bösartig.

Bertens kam nach der guten Nachricht nicht so weit wie nach der schlimmen, nach einer Erstrundenniederlage saß sie vor den Journalisten und fing plötzlich an zu weinen. Vor Glück. In der Öffentlichkeit hatte sie ihre Geschichte nie zuvor erzählt. Und all diese Erinnerungen stiegen ihr nun wieder in den Sinn, als sie ein Jahr später mit dem Einzug ins Achtelfinale den größten Erfolg ihrer Karriere erlebte: Beim 6:2, 3:6, 10:8 gegen Daria Kasatkina vergab Bertens beim Stand von 5:3 im dritten Satz fünf Matchbälle.

Ein neuer Trainer brachte sie weiter

Das war's schon wieder, dachte sie zunächst. Dann aber gewann sie dieses Match doch noch, sie brach noch auf dem Platz in Tränen aus und gab trotzdem ein Interview. Sie habe Krämpfe gehabt, Schmerzen, sie sei völlig fertig. Auch weil dieser sehr spezielle Film vorgeführt worden war in ihrem Kopf: Paris, Paris, Paris. Schlimme Diagnose, gute Diagnose, Triumph. Dass sie sich in diesem Moment auch noch für Olympia in Rio qualifiziert hatte, war fast nebensächlich.

In 2015 war Bertens noch bei keinem Grand-Slam-Turnier weiter gekommen als in die zweite Runde. Und auch bei den Australian Open in diesem Januar verlor sie noch zum Auftakt. Die Grundlage für ihren sportlichen Aufschwung legte sie im vergangenen Oktober, sie wechselte ihren Trainer und Physio. Raemon Sluiter trainiert sie seither in einer Tennisschule bei Rotterdam; er war einst die Nummer 46 der Welt und berühmt dafür, dass er als einer von wenigen Spielern in der Geschichte die Bälle auf beiden Seiten beidhändig schlug.

Das macht Bertens nicht. Sie hat einen guten Aufschlag und eine druckvolle Vorhand. Gemeinsam mit Sluiter verbesserte sie vor allem ihre Fitness, 10 Kilo trainierte sie sich ab. Dabei halfen ihr auch die vielen Matches. Weil sie so weit in der Weltrangliste abgerutscht war, musste sie sich allein in diesem Jahr bei acht Turnieren durch die Qualifikation quälen. An diesem Donnerstag trifft Bertens im Viertelfinale auf die Vorjahres-Halbfinalistin Timea Bacsinszky. "Eine großartige Spielerin", lobt Bertens. Ängstlich klingt sie nicht. Sie weiß ja, es geht immer weiter irgendwie.

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