French Open:Monster frisst Murray

2017 French Open - Day Thirteen

Auf dem Vormarsch: Stan Wawrinka bestreitet nach seinem Erfolg gegen Andy Murray sein viertes Grand-Slam-Finale.

(Foto: Clive Brunskill/Getty)

Spezialist für große Momente: Der Schweizer Stan Wawrinka ringt den Weltranglisten-Ersten Andy Murray im Halbfinale der French Open nieder. Im Finale trifft er auf Rafael Nadal.

Von Gerald Kleffmann, Paris

Der Auftakt war noch recht gemütlich, um 12.45 Uhr standen Andy Murray und Stan Wawrinka im Durchgang, der zum größten Stadion dieser French Open führt. Geduldig warteten sie die Ansage des Sprechers ab, sie betraten der Reihe nach den Court Philippe Chatrier, spielten sich ein, die Zuschauer nahmen in überschaubarem Tempo Platz, viele Sitze blieben anfangs unbesetzt - so war es bereits 13 Uhr, als das erste Halbfinalduell an diesem Freitag aufgenommen wurde. Es war wie beim Einchecken eines Langstreckenfluges, diese Momente ziehen sich auch gerne ewig hin, weil alle wissen: Wir sitzen noch lange genug! Es sollte dann jedenfalls tatsächlich ein besonders zähes, intensives, ausdauerndes Match werden, das sich mehr und mehr zur besten Partie dieses Grand-Slam-Turniers entwickelte.

Die Uhr zeigte schließlich eine Spielzeit von 4:34 Stunden an, als Wawrinka zum Netz schritt und sich die Gratulation seines Gegners abholte. 6:7 (6), 6:3, 5:7, 7:6 (3), 6:1 stand auf den Videowänden, die oben fast im blauen Himmel hingen. Die Organisatoren hätten auch einblenden können: "Formidable, quel spectacle! Merci!"

Roland Garros, das stand nach diesem Verlauf fest, kann jetzt doch noch mit einem epischen Match aufwarten. Es hatte viele herausragende Duelle gegeben, das schon, jede Partie von Kristina Mladenovic glich einem Volksfest. Leider versagten der Französin Kräfte und Nerven im Viertelfinale gegen die Schweizerin Timea Bacsinszky, die Party aus Sicht der Einheimischen war vorbei. Die eine alles überstrahlende Vorführung hatte es indes nicht gegeben, wenngleich natürlich sehr, sehr guter Sport aufgeführt wurde, etwa von der Lettin Jelena Ostapenko, 20, die sich kess ins Finale kämpfte (gegen die Rumänin Simona Halep). Qualitativ glänzten aber Murray, der Weltranglisten-Erste, und Wawrinka, der Dritte, in ihrer boxerhaften Auseinandersetzung wie kein zweites Duo. Sie verpassten sich wahrlich Punch auf Punch.

Die Voraussetzungen für ein enges Match waren ohnehin gut gewesen, beide sind Typen wie geschaffen für große Momente. Drei Grand-Slam-Titel hat jeder bislang vorzuweisen, wobei Wawrinka bereits in Paris triumphierte, 2015. Nun kämpft der Schweizer aus Lausanne an diesem Sonntag ab 15 Uhr um den zweiten Coupe des Mousquetaires. Sein Gegner wird erwartungsgemäß Rafael Nadal sein. Der Spanier setzte sich in 2:07 Stunden souverän gegen den Österreicher Dominik Thiem, 23 durch und avisiert nun tatsächlich seinen sage und schreibe zehnten Roland-Garros-Titel. Und doch dürfte Wawrinka in der Form vom Freitag alles zuzutrauen sein. Wenn er eines kann, dann im richtigen Moment über sich hinauswachsen. Das belegt auch eine Statistik: 21 Mal hat Wawrinka gegen eine Nummer eins gespielt. Viermal nur gewann er. Aber er schaffte die Erfolge in drei Grand-Slam-Finals: 2014 in Melbourne gegen Nadal, 2015 in Paris gegen Novak Djokovic, 2016 in New York gegen Djokovic - und jetzt gegen den Schotten. "Stan ist ein Monster", das sagte der Franzose Gaël Monfils. Er war auch in Paris gefressen worden vom Ungeheuer - das nicht mehr das jüngste ist.

Wawrinka ist mit 32 Jahren und 75 Tagen der älteres Finalist bei den French Open seit Niki Pilic 1973 (33 Jahre und 280 Tage)

. Paris 2017 erzählt also mal wieder diese verblüffende Geschichte, die die Tenniswelt schon dreimal erlebt hat und doch aus unerfindlichen Gründen zu gerne bei Grand Slams erst mal beiseite schiebt. Knapp zwei Wochen lang dreht sich meist alles um die Großen Vier, von denen diesmal Roger Federer gefehlt hat. Oder neue Trainer sind im Fokus, wie Andre Agassi, der dem kriselnden Djokovic nun bei den wichtigen Turnieren helfen will. Wawrinka fliegt derweil unter dem Radar. Bis er dann wieder im Halbfinale auftaucht.

Gegen Murray zeigte er alle seine Fähigkeiten, er, einer der besten Offensivspieler, zwang den wohl besten Defensivstrategen mit Bullenenergie in die Knie. "Ich war nur einen Tie-Break vom Finale weg", tröstete sich Murray, erkannte aber an: "Stan spielte zu gut am Ende." Wawrinka besiegelte es mit einem typischen Schuss. Mit seiner famosen einhändigen Rückhand platzierte er den Ball wie einen Dartpfeil im linken Eck.

Nadal machte es im Anschluss weniger spannend gegen Thiem, der im Viertelfinale noch Novak Djokovic in drei Sätzen beherrscht hatte. Der 31-Jährige aus Mallorca hatte nur einen Wackler, als er sein erstes Aufschlagspiel zum 0:1 abgab. Er schaffte sofort das Re-Break. Dann war er nicht mehr zu stoppen. Break im ersten Satz zum 3:1 - 6:3. Break im zweiten Satz zum 2:1 - 6:4. Im dritten Satz wirkte Thiem, 23, gebrochen. Nadal ließ sich entspannt feiern. Nur 29 Spiele gab er bislang ab und damit nur zwei mehr als Björn Borg 1978 bei dessen Weg ins Finale. "Ich bin glücklich mit meiner Leistung bisher", sagte Nadal. "Es läuft sehr gut, aber jetzt steht noch ein schwieriges Finale an." Eines gegen ein Monster.

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