French Open - Match des Tages (8):0:2 in Rückstand? Kein Problem!

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Der Sieger am Ende seiner Kräfte: Tommy Robredo. (Foto: REUTERS)

Jahrelang waren Sandplatzduelle zwischen Spaniern die Höchststrafe für den Betrachter. Das Match zwischen Tommy Robredo und Nicolas Almagro ist ein anderes Kaliber. Zum dritten Mal nacheinander dreht Robredo einen 0:2-Satzrückstand - als erster Spieler seit 86 Jahren.

Von Milan Pavlovic, Paris

Match des Tages (8): Tommy Robredo (Spanien/32) - Nicolas Almagro (Spanien/11) 6:7 (5:7), 3:6, 6:4, 6:4, 6:4

Jahrelang kam es einer Höchststrafe gleich, die Sandplatzduelle spanischer Tennisspieler zu beobachten. Ganz schlimm: die French Open 1998 mit den Halbfinalisten Carlos Moya, Alex Corretja, Felix Mantilla und - als Gast - Cédric Pioline. Die Spanier schossen ihre Gegner nicht vom Platz, sie buddelten sie ein! Damals war ich froh, dass mich die Redaktion vor der Runde nach Hause beorderte (noch nicht die SZ, die würde so etwas nie tun!).

Seitdem hat sich die Lage ein bisschen gebessert, weil die meisten Iberer inzwischen auch mal offensiver agieren und sogar manchmal freiwillig ans Netz vorrücken. "Völlig egal", raunzte mein Nachbar im Pressezentrum, "es sind Spanier, die kann man nicht angucken." Der nette, extrem unterhaltsame Mann ist Österreicher und nimmt deshalb nie ein Blatt vor den Mund. Ich entgegnete, die Geschichte von Tommy Robredo sei aber doch nett. "Hmmm", antwortete der Mann. Ein Jammer, dass ich es versäumte, ein Tonband mitlaufen zu lassen, denn die Ausführungen des Kollegen waren nahezu kabarettreif. Er ließ sich nicht überzeugen, dass er die Partie anschauen sollte. "Nah!", sagte er, "das bringe ich nicht über mich."

Schade um die schöne Geschichte. Jahrelang ein grundsolider Mann für die Weltranglistenplätze 7 bis 20, mühte sich Robredo vergeblich gegen Federer & Co. und musste obendrein mit ansehen, wie der blutjunge Rafael Nadal nicht bloß an ihm vorbeizog, sondern die Titel einsackte, von denen er nur träumen konnte. 2006 rückte Robredo sogar bis auf Platz 5 vor, aber nur weil er ultraviel spielte, immer ein paar Partien gewann und auch mal ein semiwichtiges Turnier wie in Hamburg gewann. Bei Grand-Slam-Turnier war dann aber regelmäßig spätestens im Viertelfinale Schluss, was natürlich passt, weil er ja nie unter den Top 4 der Welt stand.

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Diese Partie muss erst einmal verarbeitet werden: Tommy Haas schlägt John Isner nach über fünf Stunden und 13 Matchbällen. Gab es sowas schon mal? Nach dem Spiel berichten beide Spieler aus ihrem aufgewühlten Gefühlsleben. Isner klagt, er hätte das Match lieber in drei Sätzen verloren.

Von Milan Pavlovic, Paris

Eineinhalb Jahre war Robredo Top-10-Spieler. Danach ging es langsam abwärts - bis 2012 der verletzungsbedingte Absturz folgte. Er wurde an den Adduktoren des linken Beines operiert. Fünf Monate lang hinderte ihn die Verletzung am Tennis, und als er Ende Mai 2012 zurückkam, stand er nur noch auf Platz 470 der Welt. Er begann mit Turnieren der zweiten Klasse, Challengern in Caltanisetta (Italien) und Mailand, die er beide gewann, reiste nach Braunschweig (Niederlage in Runde eins), kassierte auf der Haupttour einige Erstrunden-Niederlagen und beendete das Jahr schon Ende Oktober.

Auch 2013 begann für Robredo mit etlichen Niederlagen, doch Mitte Februar erreichte er in Buenos Aires das Halbfinale und verlor erst gegen den Top-5-Spieler David Ferrer. Dann gewann er das Turnier in Casablanca, und spätestens nach seinen Siegen gegen Stanislas Wawrinka und Kevin Anderson war klar, dass wieder mit ihm zu rechnen sein würde.

In Paris startete er mit einem klaren Sieg, doch schon in der zweiten Runde war das Ende nah. Da lag er gegen den Niederländer Igor Sijsling 6:7 (2), 4:6 zurück - ehe seinen Rhythmus fand und die Sätze drei bis fünf 6:3, 6:1, 6:1 gewann. Anschließend traf er auf einen der Pariser Helden, Gael Monfils und war erneut in höchster Not: Der Franzose führte 6:2, 7:6 (5), 2:6, 5:3 und hatte nicht weniger als vier Matchbälle.

Bei einem Matchball hatte der Spanier Glück, aber bei den anderen agierte er mutig und entschlossen. Er qualifizierte sich danach nicht bloß fürs Achtelfinale, sondern schaffte es sogar, dass die Franzosen ihm fair applaudierten, obwohl er den Lokalmatador aus dem Turnier befördert hatte. Sie fanden es eindrucksvoll, dass dieser renitente Spanier zum zweiten Mal in Serie einen 0:2-Satzrückstand umgedreht hatte.

Nun also Nicolas Almagro, gegen den Robredos Bilanz bislang 0:5 lautete. "Ich hatte vor dem Match von den Anstrengungen der ersten Runden überall extreme Schmerzen", sagte Robredo: "Ich hoffte bloß, den ersten Satz gewinnen zu können, weil ich bezweifelte, sonst gegen ihn gewinnen zu können." Das ging schon mal schief, Almagro gewann den breakfreien Durchgang im Tiebreak. Robredo ging es zusehends schlechter. "Eine Weile lang konnte ich den Schläger kaum halten, so fies war der Schmerz."

Fast folgerichtig gewann der höher gesetzte Spanier Satz zwei mit 6:3 (Breaks zum 2:1 und 6:3) und führte rasch mit 4:1. "Doch plötzlich ging es wieder", erzählte Robredo später, "ich verwickelte ihn in längere Ballwechsel", die der 31-Jährige immer häufiger gewann, weshalb "Nicolas anfing zu zweifeln". Robredo gewann fünf Spiele in Serie und verkürzte damit nach Sätzen auf 1:2.

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Ähnliches Bild im vierten Satz. Break für Almagro zum 4:2 - und plötzlich vier Spiele für Robredo zum Satzausgleich. Er animierte die Zuschauer, erzielte spektakuläre Punkte und erhielt enorm viel Applaus für einen Ball, der ins Aus ging: Nach einem Lob von Almagro spielte er, mit dem Rücken zum Netz stehend, einen harten Unterarmpassierball weit hinter der Grundlinie an dem am Netz stehenden Almagro vorbei - circa fünf Zentimeter zu lang.

Im fünften Satz ging es kurios los: Almagro gelang das erste Break zum 2:0, Robredo konterte mit zwei Breaks zur 3:2-Führung, was Almagro mit zwei Spielgewinnen zum 4:3 beantwortete. Doch wer nun dachte, Robredo wäre geschlagen, wurde überraschte. Er machte das 4:4, schaffte in einem langen Aufschlagspiel das Break zum 5:4 - und gab im letzten Service-Spiel gegen den nun fast willenlos wirkenden Almagro nicht einen Punkt ab. Robredo, der am Ende vier Punkte mehr erzielt hatte als sein Landsmann (169:165) badete im Applaus der Menge, bevor er von seinen Gefühlen überwältigt wurde und heulend kniete.

Nebenbei hatte er einen Rekord eingestellt, den niemand in Gefahr wähnte: Er hatte zum dritten Mal in Serie einen 0:2-Rückstand gedreht - eine Leistung, die bei Grand-Slam-Turnieren seit Henri Cochet im Jahre 1927 (!) niemand mehr vollbracht hatte. "Das ist nett", sagte der Co-Rekordhalter, "aber mir ist das nicht so wichtig wie die Tatsache, dass ich heute gegen einen Mann gewonnen habe, gegen den ich bisher nur verloren hatte."

Wie die Geschichte weiter geht? Mit einer weiteren Steigerung, die eigentlich zu hoch für Robredo sein müsste: Im Viertelfinale trifft er auf seinen guten Freund David Ferrer. "Ach, das ist mir egal", sagte der Spanier: "Ich bin sehr froh für ihn, dass er da oben steht, und er ist froh, dass ich zurück gekommen bin." Den Rest sieht man dann am Dienstag. Dann wird auch der Nachbar aus Österreich zugucken. "Hast du gehört? Henri Cochet!", sagte er mit einem Augenzwinkern. Er meinte es wirklich anerkennend.

P.S.: Das intensivste, seltsamste, phasenweise beste Spiel des Tages war die Partie zwischen Roger Federer und Gilles Simon, die der Schweizer nach mehreren Schreckminuten 6:1, 4:6, 2:6, 6:2, 6:3 gewann. Da aber Federer letztlich doch noch gewann, nach einem Zwischenspurt von 2:2 im vierten bis 3:0 im fünften Satz, blieb die Sensation aus. Und die Robredo-Geschichte gefiel uns besser.

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