French Open - Match des Tages:Den Hühnerjäger gefangen

Jeremy Chardy stand schon fast in Runde zwei der French Open, da schlich sich sein Gegner Lu Yen-Hsun erst in Chardys Kopf und dann auch noch zurück in das Match. Leidtragender bei dem folgenden stundenlangen Kampf um den Sieg: Tommy Haas.

Milan Pavlovic, Paris

Match des Tages (3): Jeremy Chardy (Frankreich) - Lu Yen-Hsun (Taiwan) 6:4, 6:1, 6:7 (3), 3:6, 11:9

Chardy of France returns the ball to Lu of Taiwan during the French Open tennis tournament at the Roland Garros stadium in Paris

"Ich spielte schlechter, er wurde immer besser, ich dachte zuviel nach und stellte mir ständig Fragen": Jeremy Chardy über Gegner Lu Yen-Hsun.

(Foto: REUTERS)

Auf dem Tagesprogramm stand für Court 3 vor der Fortsetzung der am Vorabend wegen Dunkelheit abgebrochenen Partie zwischen Tommy Haas und Filippo Volandri der Zusatz: "Nicht vor 12.30 Uhr" - obwohl davor ein Best-of-5-Match anstand. Diese Form des Appendix stammt aus längst vergangenen Zeiten, als Spielerinnen wie Steffi Graf oder Monica Seles mit ihren Blitzsiegen Programme aus dem Takt brachten, dass die Turnier-Veranstalter den Zuschauern und Aktiven zur besseren Orientierung einen Anhaltspunkt liefern wollten. Aber heutzutage, wo schon viele Frauenspiele über zwei Stunden dauern, ganz zu schweigen von den Männern?

Der Witz war, dass der Zusatz diesmal gar nicht so unberechtigt zu sein schien. Jeremy Chardy (Nr. 54 der Weltrangliste) führte gegen Lu Yen-Hsun in Windeseile mit 6:4, 6:1 und 5:2. Nach nicht einmal 100 Minuten hatte der Franzose einen Matchball. "Bis dahin habe ich klug und gut gespielt", sagte Chardy, das war viele Minuten später, weil er den Matchball vergab und fortan "immer mehr Druck verspürte. Ich spielte schlechter, er wurde immer besser, ich dachte zuviel nach und stellte mir ständig Fragen."

Die Zuschauer auch. Moment mal, Lu Yen-Hsun, war da nicht was? Genau, der legendäre "Hühnerjäger" hatte 2010 für eine der kuriosesten Geschichten in Wimbledon gesorgt. Damals brachte der Taiwanese den mehrfachen Finalisten Andy Roddick im Achtelfinale mit seinem Wieseltennis zur Verzweiflung. Er besiegte den Amerikaner in fünf spektakulären, oft haarsträubenden Sätzen mit 4:6, 7:6 (3), 7:6 (4), 6:7 (5), 9:7, verlor in viereinhalb Stunden bloß einmal seinen Aufschlag (und wehrte sieben Breakbälle ab), brauchte seinerseits nur zwei Breakchancen für sein einziges Break - und erklärte dann das Geheimnis seiner Schnelligkeit.

Auch diesmal schlich er sich ins Match und in den Kopf des Gegners.

Lu Yen-Hsun rückt fortan ein bisschen weiter ins Feld und übernimmt die Kontrolle. Er gewinnt Satz drei im Tie-Break, Satz vier nach schneller 3:0- und 5:1-Führung mit 6:3. Und während Chardy sich offenbar noch immer mit seinem vergebenen Matchball beschäftigt, gelingt Lu das erste Break im entscheidenden Durchgang, zum 3:2. War das die Entscheidung? Ach was. Yu schenkt den Vorteil mit drei Doppelfehlern gleich wieder her. 3:3. Und Chardy, plötzlich wie von einer schweren Last befreit, fängt wieder an, richtig gut zu spielen. Da auch der Taiwanese kaum schwächer wird, steigert sich die Partie zum spektakulären Erstrundenduell.

Chardy kommt zurück

Bei 5:4 für Chardy wackelt Yu erstmals, serviert einen Doppelfehler zum Einstand, doch dann gleicht er mit Mühe zum 5:5 aus. Der Franzose ist bei eigenem Service unantastbar (28:5 Punkte ab dem 3:3) und belästigt Yu immer häufiger. Bei 8:7 kommt er zum zweiten Matchball - zwei Stunden nach Nummer eins -, doch Lu bleibt cool. Bei 8:9 gerät der Taiwanese gar mit 0:40 in Rückstand, doch die Matchbälle drei, vier und fünf wehrt er mit beherzten Offensivaktionen ab.

Wird Chardy jetzt unruhig? Mitnichten. Bei 10:9-Führung gelingt ihm in totaler Defensivposition ein herrlicher Vorhandpassierball cross. Danach zwingt er Lu zu zwei Fehlern, und diesmal ist er nicht zu stoppen: Einen mäßig vorbereiteten Netzangriff des Gegners kontert er mit einem nicht mehr zu kontrollierenden Rückhand-Passierball cross. Lus Volley landet im Netz, und so geht die Partie nach vier Stunden und zehn Minuten im gleißenden Sonnenschein doch noch an Chardy.

Boshafte Beobachter sagen, das hätten die beiden auch einfacher haben können, aber wirklich ärgern dürfen sich nur Tommy Haas und Filippo Volandri. "Wir haben uns vier- oder fünfmal warm gemacht", schildert der 34-jährige Deutsche, der den Platz um 15:33 Uhr betritt, gut drei Stunden später als erhofft. Um 15.40 Uhr setzt er sein Spiel gegen den Italiener fort. Nur 20 Minuten später hat er seine Partie gewonnen.

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