Als sie um die Ecke bog, wäre beinahe das Malheur passiert, aber im letzten Moment konnte Angelique Kerber reagieren. Eine Fernsehkamera auf dem Court Philippe Chatrier hätte ihr sicher eine Beule verpasst, hätte sie nicht den Kopf noch eingezogen, als sie den Hauptplatz scheinbar abwesend betrat an diesem Sonntag. Im Rückblick eignete sich diese Szene natürlich aber als erstes Indiz dafür, dass dieser Auftritt der 29-jährigen Deutschen einer zum Vergessen war.
Nur dürfte das nicht einfach sein. Ihr 2:6, 2:6 in der ersten Runde der French Open gegen die Russin Ekaterina Makarowa steht nun in den Geschichtsbüchern dieses renommierten Sandplatz-Turnieres. Noch nie flog eine an Nummer eins Gesetzte in Paris gleich raus, seit es Profitennis gibt - seit 1968.
Wie sehr Kerber ihre 13. Saisonniederlage nahe ging, zeigte sich rasch. Sie kam und kam nicht zum Pressegespräch. Als sie 90 Minuten später erschien, fiel sofort auf: Sie hatte wieder ihre 2017er Augen. Sie waren gerötet. Vor Frust. Denn so wahr Kerbers "Traumjahr" 2016 gewesen war, mit zwei Grand-Slam-Triumphen und dem Aufstieg zur Nummer eins, so wahr ist: 2017 "ist ein ganz anderes Jahr" - erkannte Kerber selbst.
Die Dinge gehen ihr nicht mehr leicht von der Hand. Nicht die Freude auf einen Sieg, sondern die Furcht vor einer Niederlage scheint sie zu lenken. Kerber agierte schon eigentlich immer lieber aus dem Hinterhalt, die neue Rolle als Frontrunnerin fordert sie. Das wusste sie - aber sie überfordert sie auch zusehends.
Das Match gegen Makarowa belegte schonungslos gewisse Blockaden: Ihr fehlt der Punch. 25 Fehler (Makarowa: 11) unterliefen ihr, nur zehn Winner (Makarowa: 27) glückten. Musste sie den zweiten Aufschlag verwenden, gelangen ihr nur acht Pünktchen. Sechsmal gab sie ihr Service-Spiel ab. Sie hatte ein paar Momente, aber von 16 Breakchancen nutzte sie: zwei.
Kerber, die vor ihrem letzten Sandplatzturnier dieser Saison noch aufgeräumt und wieder zuversichtlicher geklungen hatte, analysierte sich trotz der Enttäuschung durchaus richtig. Ihre Bewegung sei gerade die größte Schwäche: "Ich bin immer einen Schritt zu spät." So fehlt ihr beim Angriff die Aggressivität, bei der Verteidigung die Galligkeit zum Konter. Kerber gab zu, dass sie "im Tief" sei, in einem "Prozess", sie müsse schauen, "wie ich da rauskomme".
Boris Becker kritisiert
Eines steht aber für sie fest: "Irgendwas wird sich auf jeden Fall ändern müssen." Dass sie eine Justierung vornehmen sollte, hatte bereits Boris Becker, der frühere Weltranglisten-Erste, Ex-Trainer von Novak Djokovic und heutige Eurosport-Kommentator, zuvor im Fernsehen gefordert, als er sprach: "So kann es nicht weitergehen, das weiß sie am besten."
Unweigerlich stieß Kerber mit ihrer Ankündigung aber auch eine Tür auf, die bisher unantastbar zu sein schien. Ihr Trainer Torben Beltz wurde jedenfalls auch bei einer expliziten Nachfrage nicht von ihr in Schutz genommen. Sie habe sich "voll und ganz auf Paris vorbereitet", daher könne sie nicht sagen, ob sie etwas in ihrem Umfeld ändern werde. Nun habe sie Zeit und müsse "in den nächsten Wochen schauen", wie die Planung ist. In München bei einem Termin hatte sie immerhin schon angedeutet, dass sie der Idee, einen "Champion" mal beratend ins Team zu holen, nicht abgeneigt sei.
Nur: Sie habe "keine Ahnung, was ich jetzt mache", sie wisse nur: "Auf Rasen starte ich neu." In Birmingham wird sie Mitte Juni ihr nächstes Turnier bestreiten. Irgendwie scheint sie in der Zwickmühle zu stecken. 2017 wirkt immer mehr wie der Fluch des Erfolges von 2016.
Auch eine zweite Deutsche musste eine schmerzhafte Niederlage verkraften, Julia Görges verlor gegen Madison Brengle aus den USA mit 6:1, 3:6, 11:13. Die 28-Jährige war schwer erkältet gewesen. Wie Kerber kann sich Fed-Cup-Kollegin Görges nun um sich kümmern - und sich kurieren.