French Open:Emporgestiegen im Sport der Großen

2018 French Open - Day Nine

Inspiriert von David gegen Goliath: Der Argentinier Diego Schwartzman trifft im Viertelfinale der French Open jetzt auf Rafael Nadal.

(Foto: Clive Brunskill/Getty Images)
  • Der argentinische Tennisspieler Diego Schwartzman ist Nummer zwölf der Welt - obwohl er seinen Traum von einer Sportkarriere wegen seiner Körpergröße fast abgehakt hätte.
  • In Argentinien schätzen die Menschen an Schwartzman seine Passion und seinen erfrischenden Mut.
  • Im Viertelfinale der French Open tritt er nun gegen Rafael Nadal an.

Von Gerald Kleffmann, Paris

Wie um Himmels willen er diesen Rückstand aufgeholt habe, wurde Diego Schwartzman gefragt. Er hatte 1:6, 2:6, 3:5 zurückgelegen. Bei jeweils 5:4 im dritten und vierten Satz konnte sein Gegner Kevin Anderson mit eigenem Aufschlag zum Matchgewinn servieren. "Haben Sie 'David gegen Goliath' gelesen?", antwortete da Schwartzman. Er lächelte. "Darum habe ich gewonnen. Darum. Ich habe es als Kind in der Schule gelesen, und ich versuche, daran zu denken, wenn ich Kerle wie Kevin oder andere sehe, die zwei Meter groß sind." Profis, die ihn überragen wie Türme.

Schwartzman ist das Gegenteil davon. Mit 1,70 Metern ist er der kleinste Profi im Männertennis. Als Anderson nach seiner 6:1, 6:2, 5:7, 6:7 (0), 2:6-Achtelfinalniederlage zum Netz schritt und dem Argentinier die Hand gab, sah das aus, als habe ein Vater dem Sohn gratuliert. Anderson ist 33 Zentimeter größer, mit 2,03 Metern. Spektakulär war Schwartzmans Sieg, aber auch keine Sensation. Er hat es ja schon weit gebracht. Der 25-Jährige aus Buenos Aires ist die Nummer zwölf der Weltrangliste, ein Kämpfer und, das hebt ihn hervor, einer der wenigen, die Rafael Nadal vielleicht ärgern können. Im Januar bei den Australian Open haben sie sich in vier intensiven Sätzen aufgerieben. Und kürzlich haben die zwei in Mallorca trainiert. Im Viertelfinale in Paris treffen die beiden Freunde an diesem Mittwoch aufeinander.

French Open - Roland Garros

Argentiniens Diego Schwartzman (vorne): Besiegte Kevin Anderson aus Südafrika, der 33 Zentimeter größer ist als er

(Foto: REUTERS)

Ob er an seine Chance glaube? "Immer", entfuhr es Schwartzman sofort, "ich glaube immer, dass ich es kann. Wenn es nicht so wäre, würde ich nicht mehr spielen."

Im Tennis gibt es Überfiguren wie Nadal, Roger Federer, Maria Scharapowa, die weltweit bekannt sind. Das ist Schwartzman nicht, in vielen Gegenden ist er nur Experten und Tennisinteressierten vertraut. Aber in seiner Heimat wird er allmählich immer prominenter. Vor allem auch in jüdischen Gemeinden. Er ist Jude. Seine Vorfahren kamen aus Deutschland, Polen und Russland, ehe sie in Zeiten des Zweiten Weltkrieges auswanderten. Einem Reporter der Bild am Sonntag erzählte Schwartzman in Paris, dass seine Uroma mütterlicherseits im Waggon ins Konzentrationslager nach Auschwitz war und entkommen konnte. Viel mehr wisse er aber nicht.

Die anderen waren immer größer

So gesehen ist es ein Wunder, dass es Schwartzman überhaupt gibt, auf andere Weise ist es außergewöhnlich, dass aus ihm ein Profi wurde. Mit 13 hatten ihm Ärzte mitgeteilt, er werde nicht größer als 1,70 Meter. "Ich werde nie mehr Tennis spielen", das hat er zu Hause Mutter Silvana gesagt. Seine Enttäuschung war umso heftiger, da die drei älteren Geschwister größer sind als er, aber nur er im Sport sein Glück versuchen wollte. Im letzten Jahr hat Silvana die Geschichte auf der Internetseite der ATP Tour erzählt. Sie ist, klänge es nicht so klischeehaft, tatsächlich eine David-Story.

Was auch immer Schwartzman machte, er war der Kleinste. Fußball war seine Passion, seinen Vornamen hatte er zu Ehren Maradonas erhalten (der gar nur 1,65 Meter groß ist). Er kickte im Club Social Parque, wo einst Riquelme anfing. Als Ballverteiler zeigte Schwartzman Talent, doch er tat sich schwer, körperlich. "Er hat mir gesagt, er würde nichts gut machen im Leben, wenn die Ärzte recht behalten sollten", berichtete Silvana, "ich habe ihm gesagt, er liege falsch und seine Größe solle nicht seine Träume beeinflussen." Sie habe ihn bestärkt, an sich zu glauben. So fokussierte sich Schwartzman aufs Tennis. Aber auch das war ein Kampf - ein finanzieller.

Charmant ist er auch noch

Zu klein, nicht vermögend, das waren die Voraussetzungen. Mutter und Vater Ricardo waren selbständig, hatten ein Modegeschäft, gingen pleite, sparten, um über die Runden zu kommen. Sie versuchten es mit dem Verkauf von Armbändern, verziert mit inspirierenden Sprüchen, später auch bestückten sie diese mit Namen von Fußballklubs. Sie schafften es, mehr zu verdienen. Jeder Peso, versicherte Silvana, wurde in Diegos Weg investiert. In Hotelzimmer, die sie sich lange teilten. In Reisen. Sie suchten sich erste Sponsoren. Eines war ihnen auch klar, zumindest hofften sie es: Der Jüngste und Kleinste der Familie hatte eine Begabung, das Tennisspielen. Da konnten Trainer noch so oft sagen: "Wärst du nur einige Zentimeter größer."

"Er hatte ein unglaubliches Timing, schon als er klein war", sagte Silvana. Diese Stärke, die Raumaufteilung, die Antizipation des herannahenden Balles, ist das, was ihm hilft, seinen körperlichen Nachteil auszugleichen. Verblüffend ist, dass Schwartzman es zwar weit nach oben schaffte in der Weltrangliste, lange aber einer dieser vielen guten argentinischen Spieler war, die nicht aus der zweiten Reihe ausbrechen konnten. Über allen schwebt in Argentinien ohnehin Juan Martín del Potro. 2016 dann der erste Ausschlag, er holte den Titel in Istanbul. 2017 erreichte Schwartzman das Viertelfinale der US Open; er war der kleinste Profi in der Runde der letzten acht dort seit 23 Jahren gewesen (damals Jaime Yzaga aus Peru). In diesem Februar in Rio de Janeiro gewann Schwartzman erstmals ein ATP-Turnier der 500er-Kategorie. Sein größter Triumph bislang.

Ein argentinischer Reporter erzählt in Paris, in Argentinien schätzen die Menschen an Schwartzman seine Passion, seinen erfrischenden Mut. Er gebe alles für Argentinien im Davis Cup. Er sei ein netter Junge. Gerne für Späßchen zu haben. Im Duell mit Anderson hatte er indes einen Ausbruch, er hatte sich über Zwischenrufe aus der Box des Gegners geärgert. Er polterte, hielt der Schiedsrichterin einen Vortrag, um am Ende zu sagen: "Du lässt mich wieder lächeln." Charmant ist er auch noch, der Kleine mit dem David'schen Herz.

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