French Open:Der Monstermacher

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Magnus Norman während der ersten Runde der diesjährigen French Open, dort wo er sich am wohlsten fühlt: Auf der Trainerbank, abseits des Rampenlichts. (Foto: Frédéric Dubuis/imago)
  • Stan Wawrinka hat sein Talent unter seinem Trainer Magnus Norman veredelt und steht im Finale der French Open.
  • Sein Coach scheut das Rampenlicht und ist sogar nach den größten Erfolgen bescheiden.
  • Hier geht es zum Finale der French Open im Liveticker.

Von Gerald Kleffmann, Paris

Um die beste einhändige Rückhand der Welt in Schwung zu halten, braucht es nicht viel. Zwei leere Balldosen, die in den Ecken des Platzes stehen. Als Ziele. Eine Leinentasche, auf der Roland Garros steht und in der 40 Bälle liegen. Und jemanden, der fünf Bälle in der linken Hand hält und sie mit rechts zuspielt. Magnus Norman könnte auch Trainer im Club Med sein, wie er die gelben Filzkugeln verteilt. Er macht das in aller Ruhe. Sagt nicht viel. Manchmal lobt er, nickt. Eine entspannte Szenerie. Wäre da nicht dieses Zischen.

Stan Wawrinka drischt die Bälle gnadenlos hart zurück. Minutenlang. Als sich beide setzen, etwas trinken, recken die Zuschauer ihre Handys zum Foto hoch. An die 100 stehen am Court. "Stan the Man" wird verewigt. Der Schweizer, der vor zwei Jahren hier in Paris erstmals auch die French Open gewann, ist beliebt in Paris. Drei Grand-Slam-Titel hat er bislang geholt, es könnten nun vier werden. Norman, der Trainer, wird komplett missachtet. Aber das stört ihn nicht, er mag das sogar so. Er sei gerne im Hintergrund, sagt er. "Wenn sieben Leute im Raum stehen, bin ich nicht der, der im Fokus ist." Er überlässt anderen das Rampenlicht.

Coach des Jahres? "Ich war sehr überrascht"

Dort, unter prallen Scheinwerfern, steht jetzt mal wieder sein Mann. Stan the Man. Stanimal. Der 32-Jährige aus Lausanne hat wieder zugeschlagen. Ohne Satzverlust pirschte er ins Halbfinale. Dort erdrückte er den Weltranglisten-Ersten Andy Murray mit so viel Energie, in einer Schlacht über 4:34 Stunden, dass er tags darauf als all dieses betitelt wurde: Bison, Bulldozer, Stier, Monster, einhändiger Champion. Magnus Norman ist der Mann, der Wawrinka zu diesem Wesen gemacht hat. Denn zuvor war Wawrinka zwar ein sehr, sehr guter Profi. Aber in den ganz großen Momenten war er eben auch eher: ein Mäuschen, ein Schäufelchen, ein Lämmchen, Hui Buh. Er erschreckte die ganz Großen ein bisschen, mehr nicht.

Das änderte sich, als Norman 2013 sein Trainer wurde. Und genau deshalb hat der Schwede aus Filipstad, der selbst ein exzellenter Profi war und auch vor Wawrinka kleine Wunderdinge als Trainer vollbrachte, Ende 2016 einen speziellen Preis gewonnen. Er wurde von den Trainerkollegen zum "ATP Coach des Jahres" gewählt, der erstmals vergeben wurde. Und es war nicht so, dass es an namhafter Konkurrenz gefehlt hätte. Nominiert war etwa Ivan Lendl, der Murray betreut. Oder der grandiose Günter Bresnik, der den Österreicher Dominic Thiem nun zum zweiten Mal in Paris ins Halbfinale geführt hat. Und doch gab es nirgends Widerspruch, als Norman gekürt wurde. Die Experten wissen, was er leistet. "Ich war sehr überrascht", gestand der Schwede bei der Ehrung.

Wie wichtig Norman für Wawrinka ist, verriet der Profi Anfang des Jahres in Melbourne: "Er kam und hat das letzte Puzzlestück zusammengefügt. Er kam, als ich bereit dafür war, die Ziele anzugehen, die ich dann erreicht habe. Er zeigte mir den Weg."

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Ein Gespräch mit Norman, vor den French Open. Das Erste, was aufällt: Wie höflich er ist, wie er vor jeder Antwort überlegt. Sein Vater, erzählt er, sei sein erster Coach gewesen, sie hätten nie viel geredet. "Aber wenn er etwas sagte, hatte das Hand und Fuß", sagt Norman. Wie bei ihm jetzt? Wawrinka lobt immer, Norman kenne ihn und lese in ihm. "Ja, ich sehe, wie es ihm auf dem Platz geht, sofort." Er sagt: "Ein Coach zu sein, bedeutet vor allem: ein Individuum zu kennen." Denn: "Man trainiert eine Person. Man trainiert nicht einen Tennisspieler." Nur wenn er wisse, wie der Mensch tickt, könne er ihm als Sportler helfen.

Norman sagt, er habe immer schon wie ein Coach gedacht. Er wurde ein guter Profi, er lernte von erfahrenen Trainern, wurde die Nummer zwei der Welt, stand 2000 gar im Finale der French Open, aber verlor gegen den Brasilianer Gustavo Kuerten. Verständlich, dass er findet: "Meine Karriere war toll, aber sie fühlte sich auch unvollständig an."

Zwei Jahre nach seiner Laufbahn fasste er keinen Schläger an, studierte Marketing und Wirtschaft und arbeitete für eine Fondsgesellschaft. Doch als ihn Profi Thomas Johansson bat, kurz als Trainer zu helfen, war seine Leidenschaft entfacht. Er kehrte in die Branche zurück und coachte 2009 den Schweden Robin Söderling zum Sieg gegen den damals in Paris als unbesiegbar geltenden Nadal.

Ein Jahr lang klopfte Wawrinka bei Norman an, er wollte ihn unbedingt anheuern. Aber Norman ist loyal. Er kam erst, als Söderling aufhören musste, weil der wegen Pfeifferschen Drüsenfiebers seine Karriere aussetzte (und später ganz beendete). Er wählte Wawrinka vor allem auch, weil er ihn mag, der Ranglistenplatz war ihm egal. Und er sah Wawrinkas Potenzial. Parallel zur Arbeit mit Wawrinka baute Norman in der Nähe von Stockholm eine heute sehr anerkannte Tennis-Akademie für Talente und gestandene Profis auf, sie heißt "Good to Great": aus gut mach großartig. Mit Wawrinka gelang ihm schon Anfang 2014 exakt dieser Zug, als der in Melbourne die Australian Open gewann. Er hatte dabei Djokovic (Viertelfinale) und Nadal (im Finale) besiegt. Stanimal war geboren.

"Es geht darum, in den wichtigen Phasen die Punkte ein bisschen anders zu spielen"

Wie wird man ein Champion? "Zunächst mal muss man daran glauben, dass man die Besten wirklich besiegen kann. Es geht darum, in den wichtigen Phasen die Punkte ein bisschen anders zu spielen", sagt Norman. Mal müsse man attackieren. Mal abwarten und "den Gegner erst den Abzug ziehen lassen". Im Halbfinale der French Open 2017 war es Wawrinka, der als Erster zog. Er hatte das Selbstvertrauen dafür. Die Urkraft aus dem Arm hat er sowieso.

Natürlich haben beide auch hin und wieder Rückschläge zu verkraften. Wawrinka ist zu unkonstant, gerade bei Turnieren außerhalb der vier Grand-Slam-Events. Dann reden sie wieder viel, Norman und Wawrinka. Kommunikation sei die größte Herausforderung, sagt Norman. Jede Situation ist neu. Mal müsse man Vorgaben machen, mal nur Vorschläge, mal den anderen Dinge bestimmen lassen, oder auch mal nichts unternehmen.

Norman würde sich nie mit Legenden wie Boris Becker, Lendl, Stefan Edberg vergleichen, betont er auch. Man spürt, dass er das genau so meint. Er gehört als Trainer zu den Größten. Wahrscheinlich gerade deshalb, weil er das Rampenlicht nicht braucht. Als Wawrinka 2015 in Paris zuletzt den Titel holte, twitterte Norman am nächsten Morgen. Er erinnerte daran, dass jeder Erfolg eines Champions nur zustande kommt, weil in seiner Jugend andere Trainer die Basis für alles gelegt haben. Dass er selbst es war, der diese Basis verdelt hat, das twitterte er nicht.

© SZ vom 11.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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