French Open:Der Mann, der den Nadal-Code kennt

French Open: Robin Söderling in seinem Spiel gegen Rafael Nadal im Jahr 2011.

Robin Söderling in seinem Spiel gegen Rafael Nadal im Jahr 2011.

(Foto: Patrick Kovarik/AFP)
  • Tennisprofi Rafael Nadal spielt an diesem Sonntag gegen Dominic Thiem um seinen elften Titel bei den French Open.
  • Nadal hat erst zwei Matches bei dem Turnier verloren - sein erster Bezwinger war der Schwede Robin Söderling im Jahr 2009.
  • Wie Söderling das gelungen ist? Er erinnert sich an eine dreigeteilte Strategie: aggressiv spielen, keine Schwäche zeigen, nicht zermürben lassen.

Von Gerald Kleffmann, Paris

Roger Federer muss sich bedanken. Dringend. Findet Robin Söderling. "Er sollte das tun", sagt er und lacht. "Ich warte immer noch darauf."

Söderling, 33, ist der Mann, ohne den Federer, der wohl größte Tennisspieler der Geschichte, niemals die French Open in Paris gewonnen hätte. Söderling ist der Mann, der weiß, wie man Rafael Nadal besiegt.

Er hat Nadal für Federer 2009 aus dem Weg geräumt. Der Schweizer holte dann ja seinen einzigen Titel auf dem Court Philippe-Chatrier, im Finale gegen Söderling. In den drei Endspielen zuvor in Paris hatte Federer gegen Nadal verloren, 2011 noch einmal. Für ihn gab es offenbar kein Vorbeikommen an Nadal. So half ihm Söderling, indirekt.

Pfeiffersches Drüsenfieber warf ihn aus der Bahn

Söderling hat somit zu Recht seinen Platz in der Tennishistorie. Am 31. Mai 2009, im Achtelfinale, war ihm diese Überraschung gelungen mit dem nicht für möglich gehaltenen 6:2, 6:7, 6:4, 7:6-Erfolg. Nachdem Nadal 31 Matches in Paris in Serie gewonnen hatte. Als erstem Menschen, seit Nadal dieses wichtigste Sandplatzturnier bestritten hatte. 2005, 2006, 2007, 2008, 2010, 2011, 2012, 2013, 2014 hat der Spanier jedes Mal den Titel gewonnen. In diesen zehn Jahren gab es nur Söderling, der diese unfassbare Serie unterbrach: der Schwede aus Tibro, der heute in Monte-Carlo lebt. Der später zu einer tragischen Figur wurde: Pfeiffersches Drüsenfieber, Depressionen, Comeback-Versuche, Rückschläge, Karriere-Ende mit 31 Jahren. Heute trainiert er den jungen schwedischen Profi Elias Ymer. Und er hat eine Firma, die Tennisprodukte herstellt. Er sei happy, sagt er.

Was der Tenniswelt verloren ging, wird dennoch klar, als Söderling nun in Paris auf einer Pressekonferenz von damals erzählt. Er ist ja immer noch erst 33 Jahre. Nur ein Jahr älter als Nadal. Seit 2011 war er nicht mehr auf der Anlage in Paris, sagt er. Es hätte zu viele Anfragen gegeben. Da dachte er: lieber ein Termin mit allen Reportern auf einmal. So viele wollten vor dem Männerfinale an diesem Sonntag (15 Uhr/Eurosport), zwischen Nadal und dem Österreicher Dominic Thiem, 24, der sein erstes Grand-Slam-Finale bestreitet, wissen: Wie lautet der Nadal-Code? Wie knackt man den gefürchtetsten, erbarmungslosesten, kraftvollsten Sandplatzspieler?

"Ich würde sagen, die einzige Chance, die ein Spieler auf Sand hat, ist, wenn er wirklich aggressiv spielt", sagt Söderling. Er konnte das damals, mit 1,93 Metern Größe hatte er Reichweite, einen krachenden Aufschlag, eine Vorhandschleuder, und er hatte eine Begabung, sich auf Sand zu bewegen. Richtig zu grätschen, zu rutschen, aus dem Handgelenk, trotz offener Körperstellung, Schüsse abzufeuern. "Es ist eine extrem schwere Aufgabe", sagt Söderling. "Du musst permanent Risiko eingehen."

Eine ausgefuchste, dreigeteilte Strategie für den Coup

Auch wenn es neun Jahre her und so viel passiert ist im Leben von Söderling, so vieles, das ihn die Lust am Tennis eigentlich hätte nehmen können, weil er einfach nicht mehr auf die Tennisbeine kam: Seine Freude an diesem Sport ist zu spüren. Analytisch zerlegt er die Bauteile seines Coups. In der Summe wird klar: Auf den Mond zu fliegen kann nicht weniger schwierig sein.

Mit seinem Trainer hatte Söderling einen detaillierten Matchplan ausgearbeitet. Natürlich war völlig ungewiss, inwieweit er diesen würde umsetzen können. Aber er und der stille, schlaue Magnus Norman - der später Stan Wawrinka zu gleich drei Grand-Slam-Titeln coachte - wussten: Es geht nur mit einer dreigeteilten Strategie.

Seine Taktik lautete: in den Ballwechsel kommen, nah an der Grundlinie stehen, die Bälle früh nehmen, jede Chance nutzen, um die Schlaghärte zu erhöhen. Durchziehen. Immer wieder mal gegen die Laufrichtung spielen. Rhythmus unterbrechen. Mit viel Topspin, um die Fehlerquote zu minimieren. Mit Topspin fliegen die Bälle höher übers Netz. "Manchmal kann man sehen", sagt Söderling, "wenn Rafa ein bisschen zögerlich wird." In diesem Moment musste er bereit sein zum entschlossenen Angriff.

Devise zwei: Nicht zermürben lassen!

Von seinem Sieg gibt es im Internet eine 15-minütige Zusammenfassung. So komprimiert geschnitten wirkt es noch eindrucksvoller, wie Söderling mit Courage und Stringenz seine Attacken durchgezogen hatte. Natürlich muss man diese Waffen erst mal haben. Aber Söderling hatte sie ja, grundsätzlich. Der Argentinier Diego Schwartzman war im Viertelfinale der Einzige, der Nadal bislang einen Satz abnehmen konnte. Weil er aggressiv wie einst Söderling operiert hatte. Nach einer Regenpause verlor er diesen Zug.

Der zweite Aspekt von Söderlings Erfolg betraf die innere Einstellung. Er präzisiert: "Wenn du denkst, oh, ich muss drei Sätze gegen Rafa gewinnen, wird es echt schwer." Weil es jeden Gegner so zermürbt, dieses peitschenhafte Spiel des Mallorquiners, der nun seinen elften Titel holen kann in Paris. Im Halbfinale konnte man sehen, wie Juan Martín del Potro regelrecht zerbrach, nachdem er im ersten Satz drei Breakbälle bei 4:4 nicht nutzen konnte und den Satz umgehend 4:6 verlor. "Das war meine Chance", hatte der Argentinier danach erkannt.

Punkt drei: Keine Schwäche zeigen!

Man stelle sich vor, man will einen 6000er in den Anden besteigen. Aber nach 2000 Höhenmetern merkt man, man hat etwas vergessen und muss zurück. Und wieder von vorne anfangen. Die Moral sinkt. So fühlt sich das für die Gegner Nadals an.

Del Potro verfiel dann in eine negative Haltung, die er - so erklärt es Söderling, und es klingt so klar und doch so schwer - nie hätte Nadal offenbaren dürfen: "Es ist wichtig, dass man sich und Rafa und jedem anderen zeigt, dass man auf dem Platz ist, um zu gewinnen." Söderling hat festgestellt: "Manchmal sehe ich viele, viele Spieler, auch Topspieler, die gegen Rafa auf Sand oder Roger auf Hartplatz antreten - und du kannst regelrecht sehen, wie sie nicht zu 100 Prozent an einen Sieg glauben." Er kommt zu dem Schluss: "Die Topspieler gewinnen die Hälfte ihrer Matches, noch bevor das Match begonnen hat. Weil ihre Gegner nicht an ihre Chance glauben."

Bei der Revanche 2010 hatte Söderling gegen Nadal keine Chance

Söderling hat sich Nadal auch in Paris angesehen. Generell hat er eine winzige Schwäche ausgemacht: "Vielleicht bewegt er sich nicht mehr so gut wie vor fünf, sechs, zehn Jahren." Aber: "Es ist nur ein kleiner Unterschied. Er ist immer noch so gut wie früher. Wenn er fit bleibt, gibt es keinen Grund, warum er nicht zwei, drei, vier weitere Male hier gewinnt. Er ist unglaublich."

2010 stand Söderling nochmals in Paris im Finale. Was für ihn sicher nicht einfach war: Im Viertelfinale hatte er diesmal nicht in drei Sätzen gegen Federer verloren. Sondern in vier Sätzen gewonnen. Ein Jahr zu spät also. Denn im Endspiel revanchierte sich dann Nadal. Söderlings Plan funktionierte kein zweites Mal, es war eine klare Sache: 4:6, 2:6, 4:6. Ob er den verpassten Chancen nachtrauere? "Ich denke, dass ich immer noch eine gute Karriere hatte", findet Söderling. Er ist dankbar. Er sagt sich auch: Die Krankheit "hätte mir auch mit 18 passieren können".

Dann wäre er ja niemals der Mann geworden, der heute noch weiß, wie man gegen Rafael Nadal gewinnen kann. Die Bilanz des Spaniers in Roland Garros lautet inzwischen 85:2. Nur Novak Djokovic schaffte noch einen Sieg in Paris gegen Nadal (2015). Aber Söderling wird immer der Erste bleiben.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: