Freestyle:"Selbst meine Oma weiß noch immer nicht, was ich da eigentlich mache"

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Freeskierin Sabrina Cakmakli sieht noch viel Steigerungspotenzial bei sich. (Foto: REUTERS)
  • Es ist nicht gerade einfach, in diesen Tagen ein deutscher Freeskier zu sein.
  • In Pyeongchang wird es vermutlich keine Medaillen für deutsche Athleten geben.
  • Die Fördermaßnahmen sind zu gering, um mit der internationalen Konkurrenz mitzuhalten.

Von Johannes Knuth, Pyeongchang

Es beginnt immer rückwärts, auch in diesem olympischen Finale. Sabrina Cakmakli rutscht zum oberen Rand der Halfpipe, sie singt sich noch ein bisschen Mut an, klatscht in die Hände. Dann hüpft sie in die Pipe, mit den Ski-Enden zuerst, als würde sie sich rückwärts aus dem Starthaus einer alpinen Abfahrt schieben. Kostet ein bisschen Überwindung, sieht aber besser aus. Und Cakmakli scheut keine Dinge, die schwer sind.

Eineinhalb Stunden später steht Sabrina Cakmakli im Zielraum des Freestyle-Parks von Bokwang, pinke Jacke, schwarze Hose, umgeben von einem Mantel der Enttäuschung. Ihr erster Lauf war okay, der zweite weniger, beim dritten und letzten hat sie alles riskiert - erstmals auch den Flaire, eine Rolle, bei der sie sich überkopf dreht. Der Sprung ist ihre Kreation, das Publikum johlt anerkennend, doch nach diesem kleinen Trickgewitter ist die Luft raus. Ein Sturz, es bleibt bei Platz acht. Passt schon, sagt Cakmakli nach kurzer Bedenkzeit, auch wenn ihr Gesichtsausdruck sie da etwas im Stich lässt. Sie hat sich im vergangenen August im Training das Schlüsselbein gebrochen, sie wurde gerade so für ihre zweiten Spiele fit. "Die letzte Zeit war echt anstrengend", sagt Cakmakli. Und das kann man auch auf die vergangenen Jahre beziehen.

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Es ist nicht gerade einfach, in diesen Tagen ein deutscher Freeskier zu sein. In Pyeongchang wird die Bilanz erneut mager ausfallen, obwohl der Deutsche Skiverband (DSV) rund um die Spiele in Sotschi vor vier Jahren versucht hatte, dem Wintersport mit den Freestylern eine neue Perspektive zu verschaffen. Tatsächlich, sagt Heli Herdt, im DSV zuständig für Halfpipe und Slopestyle, habe man Mühe, den Anschluss zu halten. Bei der Konkurrenz "steckt ein Plan dahinter". Da werde seit zehn Jahren Geld in die Nachwuchsgenese geleitet, in Nordamerika, der Schweiz, "selbst bei den Neuseeländern". Die Deutschen? Ihre starken Skicrosser hegten am Mittwoch zarte Medaillenchancen, aber die Skicrosser sind eher mit der alpinen Kultur verwandt. Bei den Freigeistern koche vieles auf "Minimalflamme", sagt Herdt, Cakmaklis achter Platz sei eher ein Glückstreffer. Und das, findet er, kann es doch auch nicht sein.

Keine Gemeinde will sich eine Anlage für 400 000 Euro leisten

Cakmakli ist ein Kind des Slopestyles, wo die Fahrer über große Kicker springen. Nach einem Kreuzbandriss übte sie in der Halfpipe, die Landungen an den steileren Wänden drücken weniger aufs Knie. Irgendwann hatte sie so viel Spaß daran, dass dieser Sog an Freude sie zu den Winterspielen 2014 riss. Sie ist mittlerweile in der Sportfördergruppe der Bundeswehr, der DSV bettete sie in ein kleines Fördersystem. Aber eigentlich, sagt Herdt, brauche er noch mehr Trainer, die 12- und 13-Jährige sichten, auf dem Trampolin schulen und in den Parks. Wie die anderen Nationen auch. Und natürlich bräuchten sie eine Halfpipe in Deutschland, das Gelände ist ja die beste Förderung, wie in Colorado mit seinen unzähligen Trampolinhallen und Schneeparks. Es gibt Pläne für eine Anlage in Berchtesgaden, aber derartige Projekte sind in Deutschland eine Sache der Gemeinden. 400 000 Euro pro Jahr für eine Spielweise und 20 Freestyle-Sportler mag sich derzeit keine Gemeinde leisten.

Cakmakli trainiert oft mit den Schweizern, die Halfpipe in Laax liegt am nächsten zu ihrem Wohnort, drei Stunden dauert die Anreise mit dem Auto. Sie watete die vergangenen Jahre durch Zweifel und Schmerzen, drei Kreuzbandrisse hat sie mittlerweile hinter sich. Aber sie sei auch ein "Sonnenschein", sagt Herdt; niemand, der Furcht vor schweren Dingen hat.

An Ideen mangelt es nicht, allzu freigeistig klingen sie allerdings nicht mehr. Er könne sich vorstellen, sagt Herdt, Talente an der Eliteschule des Sports in Berchtesgaden auch mal für vier Wochen in den besten Park in Österreich zu schicken, mit Apartment und Lehrer. Oder für sechs Wochen nach Park City, USA, oder halt dorthin, wo die Bedingungen am besten seien. Lindsey Vonn, Shaun White, Chloe Kim, sagt Herdt, "da haben die Eltern ihren Lebensraum ganz nach den Kindern ausgerichtet (auch wenn die spätere Slopestyle-Olympiasiegerin Kim das oft als "lebendigen Albtraum" empfand und sich lieber mit Freunden treffen wollte, anstatt dreifache Drehungen einzustudieren). Sie hatten die Förderung im DSV bis 2016 an eine Agentur ausgelagert, die den Sportlern mehr Freiheiten ließ, doch das war dem DSV dann irgendwann doch etwas zu freizügig. Was (der kreuzbandverletzten) Lisa Zimmermann, die 2015 WM-Gold im Slopestyle gewann, wiederum bedingt gefällt.

650 000 Euro müssten sie für eine Sparte wie Halfpipe und Slopestyle mittlerweile aufwenden, um international konkurrenzfähig zu sein, sagt Herdt. Pro Jahr. Der Bund schoss zuletzt 180 000 zu. Der DSV verfügt zwar über ein großes Budget, aber das ist nicht üppig genug, um neben den klassischen Sportarten die jüngeren durchzubringen. Das bekamen die Buckelpistenfahrer zu spüren, die nach Sotschi ihre Förderung verloren. "Das ging nicht gegen die Sportler, es war finanziell nicht mehr darstellbar", sagt Alpindirektor Wolfgang Maier. Man habe damals 340 Firmen angeschrieben, es fand sich niemand, der eine kleine Gruppe von Hochbegabten unterstützen wollte. Lea Bouard und Katharina Förster, die deutschen Starter in Pyeongchang, hatten ihren Sport zuletzt selbst finanziert, mit 25 000 Euro pro Jahr. Wenn der Bund die Förderung nicht erhöht, hatte Maier zuletzt gesagt, drohe den anderen Freestyle-Sparten ein ähnliches Schicksal.

So richtig lässt sich die Bob-, Rodel- und Biathlon-Nation nicht auf die kreativen Geister ein. "Selbst meine Oma weiß noch immer nicht, was ich da eigentlich mache", hat Cakmakli einmal gesagt. Dabei bauen die Schneeakrobaten bei Olympia nicht nur eine Brücke zwischen der älteren und jüngeren Generation, sie sind auch ein Hingucker auf dem Fernsehmarkt, zumindest dem nordamerikanischen. Ein Fünftel der Olympiasieger werden heute in den Freestyle-Parks gekürt, ab 2022 wird der Big Air, ein Sprung über einen großen Kicker, wohl auch bei den Freestyle-Skiern olympisch. Bis zu fünf Medaillen könnte man erwirtschaften, glaubt Herdt, wenn man den Nachwuchs in den kommenden acht Jahren aufbaue, für die Spiele in Peking 2022 ist das schon zu spät. Und jetzt?

In Peking will Cakmakli noch dabei sein. Olympiasiegerin Cassie Sharpe aus Kanada fahre derzeit in "einer anderen Liga", sagt sie, aber "mit viel Arbeit und viel Training ist vieles möglich". Überhaupt: Die älteste Finalistin in Pyeongchang war 34, "da habe ich schon noch ein bisschen Zeit", sagt Cakmakli. Die Allgäuerin aus Immenstadt ist im vergangenen November erst 23 Jahre alt geworden.

© SZ vom 21.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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