Freeskierin Lisa Zimmermann:Alleinstellungsmerkmal: Double Cork 1260

Weil Lisa Zimmermann Kunstsprünge steht, die andere nicht stehen, ist sie Deutschlands populärste Ski-Freestylerin - obwohl sie eigentlich keine Wettbewerbe mag, hat sie ein großes Ziel.

Von Matthias Schmid

Einen festen Wohnsitz hat Lisa Zimmermann nicht mehr. Ihre Wohnung in Innsbruck stand die meiste Zeit über leer, weil sie irgendwo auf dem Planeten den Koffer aus- und wieder eingepackt hat. Vor allem in den Wintermonaten ist sie ständig unterwegs und hetzt um den Globus. Wie in diesen Tagen auch, am liebsten aber pendelt sie zwischen den österreichischen Skigebieten Stubaital und Flachauwinkl. "Da kann ich mir die Miete dann auch gleich sparen", erzählt die 20-Jährige.

Ihre durchaus eigenwillige Wohnsituation passt zu ihrem durchaus eigenwilligen Charakter, sie ist ein Freigeist, der sich nicht so einfach einfangen lässt. Obwohl sie mit Abstand die weltbeste Freeskierin in den Disziplinen Slopestyle und Big Air ist, mag sie keine Wettkämpfe. "Viel lieber fahre ich mit meinen Kumpels abseits im Tiefschnee oder in den Funparks Ski und lerne neue Tricks", sagt Zimmermann.

Doch den Abstecher nach Nordrhein-Westfalen an diesem Freitag macht die gebürtige Nürnbergerin gerne mit. In Mönchengladbach steht der zweite Big-Air-Wettbewerb in dieser Saison an und der dritte erst in der Weltcup-Geschichte. "Das wird schon geil, weil man so etwas vor so vielen Zuschauern nicht jeden Tag hat", sagt die Slopestyle-Weltmeisterin. Sie sieht schon ein, dass sie sich nicht gegen solche Events wehren kann.

Um die junge Sportart voranzubringen und einem breiteren Publikum bekannter zu machen, müssen die Freeskier eben zu den Leuten in die Städte kommen und wie in Mönchengladbach über 50 Meter hohe und 120 Meter lange Rampen springen oder über Geländer fahren. "Wer will sich schon bei Minus 20 Grad auf den Berg stellen und uns zuschauen?", fragt Zimmermann und kennt die Antwort: "Fast niemand."

Freeskierin Lisa Zimmermann: Die Nürnbergerin Lisa Zimmermann, 20, ist die aktuelle Weltmeisterin im Slopestyle und gehört zum Nationalkader des Deutschen Skiverbandes im Freestyle.

Die Nürnbergerin Lisa Zimmermann, 20, ist die aktuelle Weltmeisterin im Slopestyle und gehört zum Nationalkader des Deutschen Skiverbandes im Freestyle.

(Foto: Antonio Calanni/AP)

In Mailand hatte sie zuletzt auf der großen Schanze mit großem Vorsprung gewonnen, sie steht bei den Frauen Kunstsprünge, die andere nicht stehen. Zum Beispiel beherrscht sie als einzige Athletin des Planeten den sogenannten "Double Cork 1260", eine doppelte Überkopfdrehung mit dreieinhalbfacher Schraube. Im Wettkampf hat sie diese waghalsige Figur noch nicht gezeigt. Aber nicht, weil sie es sich nicht zutraute, sondern weil sie es nicht wollte. "Ich hatte bisher einfach keine Lust", sagt sie lapidar.

Die Stimmung, das ganze Drumherum muss dafür einfach passen. Für Zimmermann passt es vor allem dann, wenn sie mit ihren Freunden in den Bergen unterwegs ist und Spaß hat. Erst einmal hat sie den "Double Cork 1260" einem größeren Fachpublikum präsentiert, beim "Nine Queens Competition" im Tiroler Serfaus. "Da hat es sich richtig angefühlt", sagt Zimmermann, "weil viele Freunde da waren und gefilmt haben."

Als im Frühjahr 2013 die ersten Bilder von ihrem Sprung im Netz zu sehen waren, war die Aufregung in der Freestyle-Szene groß. Wer ist bloß dieses 16-jährige Mädchen aus Deutschland, das so schwierige Flugeinlagen beherrscht?, fragten sie sich. Zimmermann zuckt nur mit den Schultern, wenn sie schildern soll, warum ihr so etwas so leicht fällt. "Das ist eine gute Frage" entgegnet sie dann. "Vielleicht zögere ich nicht so wie die anderen und ziehe das einfach durch."

Das Schwierige sieht bei ihr einfach aus

Mutiger finde sie sich nämlich nicht. Aber so manche Mitbewerberin, die sich an dem "Double Cork 1260" schon versucht hat, landete nicht auf den Füßen, sondern im Krankenhaus. Zimmermann lässt alles Schwierige so einfach aussehen, so schwerelos.

Für sie selbst ist das keine große Sache, schon gar kein Projekt, sie übt neue Tricks nicht irgendwo im Trockenen in der Halle und landet dann weich in der mit Schaumstoffwürfeln gefüllten Schnitzelgrube. "Ich lasse mich einfach von meinen vor mir fahrenden Kumpels inspirieren und probiere es dann im Schnee aus", erklärt Zimmermann. Das klingt bei ihr so unspektakulär, als würde sie über Inlineskaten oder Einradfahren reden.

Vielleicht ist es ihr natürliches Bewegungstalent, das sie abhebt von der Konkurrenz, ihr besonderes Körpergefühl. Bis zu ihrem 14. Lebensjahr war sie Eiskunstläuferin, sie war so gut, dass sie kurz davor stand, in die deutsche Nationalmannschaft berufen zu werden. Doch eines Tages nahm sie ihr Bruder in einen Funpark mit, der sie so begeisterte, dass sie fortan ihre Schlittschuhe in der Ecke verstauben ließ.

Ihre Abneigung gegenüber Wettbewerben hat nichts mit ihrer vorigen Karriere zu tun. Sie habe nicht grundsätzlich etwas dagegen, versichert Lisa Zimmermann. Aber im freien Gelände mit den Freunden sei es halt viel schöner, sie liebt die Abgeschiedenheit, die Ruhe in den Bergen. Dass sie überhaupt noch an Wettbewerben teilnimmt, liegt vor allem an der finanziellen Unterstützung durch die Deutsche Sporthilfe und die Bundeswehr, die ihr ein monatliches Salär überweisen.

"Die legen großen Wert darauf, dass ich da mitmache", sagt Zimmermann und überrascht dann noch mit der Aussage, dass sie die Winterspiele in Sotschi "richtig cool" fand. Deshalb will sie unbedingt zu den nächsten Spielen 2018 nach Pyeongchang. Sie war schon bei vorolympischen Wettkämpfen in Korea. "Die Leute sind so megafreundlich dort." Es sieht ganz danach aus, als ob Lisa Zimmermann einen festen Wohnsitz so schnell nicht brauchen wird.

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