Frauenfußball-WM:Nigeria rettet Afrikas Ehre

Frauenfußball-WM: Jubel für Nigeria: Francisca Ordega (Nummer 17) und Asisat Oshoala (Nummer 8).

Jubel für Nigeria: Francisca Ordega (Nummer 17) und Asisat Oshoala (Nummer 8).

(Foto: AP)

Nach dem 0:10 der Elfenbeinküste währt der Spott über den afrikanischen Frauenfußball nur kurz: Nigerias Spielerinnen schrecken beim 3:3 gegen Schweden die WM-Konkurrenz auf. Das Team ist extrem jung.

Von Kathrin Steinbichler, Winnipeg/Ottawa

Pia Sundhage wollte weg hier, schnell weg, doch Edwin Okon war noch nicht fertig. Mit dem Schlusspfiff hatte sich die schwedische Trainerin auf den Weg zur gegnerischen Bank gemacht, um dem ihr noch unbekannten Kollegen aus Nigeria zu gratulieren. Doch die mit Olympia- und WM-Trophäen geadelte Sundhage musste mit ihrem Handschlag auf dem Kunstrasen von Winnipeg warten: Okon war noch ins Gebet versunken.

Wer von seiner Mannschaft nicht im Jubel durch das Stadion sprang oder Mitspielerinnen umarmte, sank ebenfalls für einen Moment der Besinnung auf die Knie. Dieses aufwühlende 3:3 nach einem 0:2-Rückstand von Nigeria zum Auftakt der Vorrundengruppe D ist die erste vermeintliche Überraschung dieser Frauenfußball-Weltmeisterschaft. Allerdings weniger, weil Nigeria ein Unentschieden geschafft hat, sondern eher, weil die Schwedinnen am Ende glücklich sein konnten, nicht komplett leer ausgegangen zu sein.

"Ich bin zufrieden, weil wir gegen einen großen Gegner einen Punkt mitgenommen haben", resümierte Okon, "aber Schweden hat billige Tore erzielt, wir haben sie ihnen durch Fehler geschenkt." Schon nach 21 Minuten durfte Schweden jubeln, nachdem Desire Oparanozie nach einer Ecke ein unglückliches Eigentor unterlief, Wolfsburgs Nilla Fischer nutzte kurz darauf einen weiteren unsortierten Moment und erhöhte aus kürzester Distanz zum Pausenstand von 2:0 (31.).

In der zweiten Halbzeit aber begann das, was Okon "unser Spiel" nannte: Seine im Durchschnitt gerade erst 23,11 Jahre alte Mannschaft zeigte technische Finesse, taktische Reife, Schnelligkeit und Durchsetzungsvermögen - und glich durch Ngozi Okobi (50.) und Asisat Oshoala (53.) aus, bevor Francisca Ordega (87.) auch den dritten Rückstand durch Linda Sembrant (60.) ausglich. Weitere Chancen ließ Nigeria ungenutzt. Anschließend meinte Okon: "Ich kenne nicht die Kriterien, wie man gegen diese großen Teams zu spielen hat. Aber ich weiß, was meine Mannschaft kann, und das wollen wir hier zeigen. Wir werden aus den Fehlern lernen."

Am Vortag noch hatten sich die Medien über das 0:10 von WM-Debütant Elfenbeinküste gegen Deutschland ereifert. Am Tag darauf aber brachten erst der zweite afrikanische WM-Debütant Kamerun (6:0 über Ecuador) und vor allem Nigeria die internationalen Kritiker zum Schweigen. Dabei hatte Okon die Gegner im Dezember noch vor seiner Mannschaft gewarnt.

Nigeria, die einzige Konstante

Damals, bei der Auslosung der WM-Spiele, war im Canadian Museum of History in Ottawa mehrmals ein Raunen zu hören gewesen, als nach und nach die Kugeln für die Gruppe D geöffnet wurden. Olympiasieger USA, der Weltranglisten-5. Schweden, der Weltranglisten-10. Australien und eben Nigeria bilden in dieser WM-Vorrunde das, was im Turniersport mit dem hässlichen Wort "Todesgruppe" betitelt wird - weil mindestens eine dieser Topmannschaften den Kampf um den Achtelfinaleinzug nicht überstehen wird. Immer wieder sollte sich Okon dazu äußern, wie er sich mit Nigeria in dieser exquisit besetzten Gruppe behaupten will. Der 44-Jährige antwortete knapp und selbstbewusst: "Wir treten hier als Afrikameister an, und das sollte die anderen Teams sorgen."

Wer die Entwicklung des afrikanischen Frauenfußballs verfolgt, wird dabei eine Konstante entdecken: Nigeria, den neunmaligen Kontinentalmeister, der nicht nur bei allen sieben Weltmeisterschaften am Start war, sondern auch eine bemerkenswerte Jugendarbeit etabliert hat im Verband. Nigerias weiblicher Nachwuchs ist fast regelmäßig zumindest im Halbfinale der U20-WM vertreten. Im vergangenen Jahr holte die deutsche U20-Auswahl in Kanada nur deshalb noch in der Verlängerung den Titel, weil ein regulärer Treffer Nigerias nicht anerkannt wurde.

Dass Nigerias Fußballerinnen es bislang nicht geschafft hatten, eine ebenso starke A-Nationalmannschaft zu formen, liegt an den gesellschaftlichen Umständen: Anders als in Europa, Amerika oder Asien ist eine Perspektive als Profifußballerin in Afrika selten, die Sorge um die persönliche Zukunft überwiegt die Aussicht auf einen vielleicht nur kurzen sportlichen Erfolg. Spätestens mit Mitte 20 konzentrieren die Spielerinnen sich auf ihr berufliches und privates Fortkommen. Inzwischen aber haben einige nachwachsende Talente den Schritt in die internationalen Profiligen gewagt. Der verläuft aber mangels guter Berater oft noch nicht rund.

Stürmerin Oparanozie etwa beeindruckte 2010 als 16-Jährige bei der U20-WM derart, dass sie anschließend ein europäisches Angebot annahm - und seitdem eine Odyssee durch verschiedene Länder und Ligen durchmacht. Das erste Engagement in der Türkei war nach wenigen Monaten beendet, 2012 wechselte sie zum russischen Champions-League-Teilnehmer FK Rossijanka. Dort wurde sie vom VfL Wolfsburg entdeckt, auch dort blieb sie nur eine Halbserie. Über einen zweiten Versuch in der Türkei ist Oparanozie nun beim französischen Erstligisten EA Guingamp gelandet. Auch andere sind begehrt: Die ebenfalls erst 20 Jahre alte Oshoala, Afrikas Fußballerin des Jahres, gehört seit dieser Saison beim FC Liverpool zu den Besten, die 21-jährige Ordega ist über Russland und Schweden inzwischen bei Washington Spirit in den USA gelandet.

Das US-Team gewann sein Gruppenspiel gegen Australien im Übrigen 3:1. Nigerias Trainer Okon sagte danach nur eines: "Auf dem Rasen werden wir sehen, wer besser ist."

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