Frauen-WM 2011: Deutschland - Kanada:Start gelungen, Fans gewonnen

Mehr als 73.000 Zuschauer, strahlender Sonnenschein und ein Hauch von Sommermärchen: Ein frühes Tor durch Garefrekes erleichtert den DFB-Frauen gegen Kanada den Weg zum knappen Sieg - am Ende aber wird gezittert.

Claudio Catuogno, Berlin

Das Olympiastadion lag in der Abendsonne, ein paar Minuten nur noch bis zur Eröffnungszeremonie dieser ersten Frauenfußball-WM in Deutschland, gerade wurden die Aufstellungen verlesen. Und endlich ging es: um Fußball. Nur noch um Fußball, sogar um die große, die eine Frage dieses Spiels: Wer soll die Tore schießen?

Frauen-WM 2011 - Deutschland - Kanada

So sehen Siegerinnen aus: Deutschlands Fußballfrauen feiern den 2:1-Sieg zum WM-Auftakt gegen Kanada.

(Foto: dpa)

In den Wochen vor dem Turnier ist der Frauenfußball ja auch ein Gefäß gewesen, in das je nach Bedarf eine Menge Themen hineingefüllt werden konnten, es ging um gesellschaftliche Teilhabe, um Rollenbilder und Klischees, um Lippenstift und hochhackige Schuhe, um die Grenzen einer nachhaltigen Vermarktung. Und nun ging es: los. Und zwar mit einer Überraschung.

Wen die Bundestrainerin Silvia Neid im Sturm aufbieten würde, das hatte allenfalls eine kleine Fachdebatte im Lande entfacht vor diesem WM-Auftakt gegen Kanada, die routinierte Inka Grings, 32, oder die ungestüme Alexandra Popp, 20. Und nun, das war die Überraschung, saßen sie beide auf der Bank.

Stattdessen durfte Célia Okoyino da Mbabi, 22, die Hymne mitsingen und sich dann dort in die deutsche Elf eingruppieren, wo sonst Birgit Prinz ihre Kreise zieht: als hängende Spitze. Prinz wiederum, die Spielführerin, rückte auf jene Position, auf der das Publikum Grings oder Popp erwartet hatte: ganz nach vorne. Und das, obwohl Prinz schon eine Weile kein Tor mehr geschossen hatte im deutschen Dress.

Wer spielt wo und warum? Die angeregten Debatten, die über derlei fachliche Details nun auf den Rängen begannen, legten den Schluss nahe, dass von dieser WM am Ende beim Publikum doch mehr bleiben könnte als bloß die nächste Auflage einer schwarz-rot-goldenen Seligkeit. Dann begann die Partie. Und die Frage, wer die Tore schießen soll, wenn die Stürmerinnen auf der Bank sitzen, wurde recht zügig beantwortet.

Die 42. Minute, ein bisschen Gestocher im Mittelfeld, dann ist der Ball plötzlich auf dem Weg Richtung kanadisches Tor. Dahinter: Célia Okoyino da Mbabi. Davor: eine kanadische Torfrau Erin McLeod, die bereits beim 1:0 durch Kerstin Garefrekes (10. Minute) etwas orientierungslos gewirkt hat, die sich auch jetzt nicht entscheiden kann, ob sie dem Ball entgegenlaufen soll oder nicht - und die auch deshalb keine Abwehrchance hat.

Célia Okoyino da Mbabi hat ihre Aufstellung da längst gerechtfertigt durch eine abgeklärte Leistung als Ballverteilerin. Jetzt erzielt sie auch noch dieses Tor: das 2:0 für Deutschland, die Vorentscheidung. "Weil es bei uns nach dem Leistungsprinzip geht, musste ich sie einfach aufstellen", wird Silvia Neid später erklären. Keine Dreiviertelstunde ist ihre WM erst alt - da haben die Gastgeberinnen einige offene Fragen bereits im Paket beantwortet. Die Form? Ausgezeichnet. Nervös? Sieht nicht so aus.

Rädchen greifen ineinander

2:1 haben die Deutschen die wuchtigen, aber zunehmend verstörten Kanadierinnen am Ende besiegt. Ein später Freistoßtreffer der Spielführerin Christine Sinclair (82.) beendete zwar die Serie der deutschen Torfrau Nadine Angerer, die nach 622 Minuten ihr erstes Gegentor in einem WM-Spiel hinnehmen musste. "Man hat auch gespürt, dass es noch mal eng werden kann", fand Neid.

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Da wurde es noch einmal spannend: Torhüterin Nadine Angerer kann Christine Sinclairs Freistoß nur noch hinterherschauen - es war das 1:2 für die Kanadierinnen.

(Foto: AFP)

Was allerdings nichts am vorherrschenden Eindruck änderte, dass in dieser WM-Elf die wesentlichen Rädchen ineinandergreifen. Und weil nach der Pause auch Alexandra Popp, Inka Grings und Lira Bajramaj noch mitspielen durften, nimmt das Team nicht mal einen Mini-Konflikt zwischen Stamm- und Ersatzbesetzung als Ballast mit in die kommenden Wochen.

Nicht zuletzt hatte sich ja auch diese nicht ganz unmaßgebliche Frage gestellt: Wie würde sich das anfühlen, Fußball spielen vor 73.680 Leuten? Oft hatten die Spielerinnen in der Vorbereitung bereits die Frage beantworten müssen, wie sich das "wohl" anfühlen werde, meistens hatten sie darauf eine recht schlüssig klingende Antwort gegeben: keine Ahnung. Woher auch?

Der Frauenfußball kennt solche Kulissen bisher nicht. Die junge Kim Kulig hatte manchmal auch noch berichtet, dass sie überhaupt noch nie in diesem Stadion gewesen ist, noch nicht mal bei einem Heimspiel von Hertha BSC, obwohl es da wirklich selten ein Problem ist, an Karten zu kommen. Sie habe aber gehört, "dass es sehr groß sein soll".

Das stimmt: Von den oberen Rängen aus betrachtet sind die Fußballerinnen im Olympiastadion kleine Punkte auf einem grünen Rechteck. Das kann man unten, wenn man selbst einer der Punkte ist, zwar nicht wissen. Aber erahnen. Das reicht manchmal schon.

Von allzu großer Nervosität war von Anfang an allerdings wenig zu spüren, abgesehen vielleicht von einem Aussetzer der Abwehrchefin Annike Krahn, der Christine Sinclair eine frühe Torchance ermöglichte (6.). Danach spielten die Deutschen routiniert Angriff um Angriff vors kanadische Tor, der frühe Kopfballtreffer von Kerstin Garefrekes - von links hatte Babett Peter geflankt - löste die letzten kleinen Verkrampfungen.

Fast alle hatten anschließend ihre Gelegenheiten: Kim Kulig versuchte es nach einer Ecke mit dem Kopf, Okoyino da Mbabi wurde von Prinz bedient und vergab - noch. Alexandra Popp schickte nach ihrer Einwechslung den Ball auf die Latte (65.), kurz darauf traf auch Simone Laudehr das Aluminium (66.). Christine Sinclair spielte inzwischen in dem Wissen, sich gerade das Nasenbein gebrochen zu haben, was sie aber nicht von ihrem raffinierten Freistoß abhielt. Nach dem Abpfiff musste sie ins Krankenhaus.

Das leichtfertige Herschenken der Torgelegenheiten wird nun eines der Themen sein, die Silvia Neid mit ihrem Team besprechen muss. Außerdem die Lücken zwischen Abwehrreihe und Mittelfeld, "da standen wir oft zu weit weg". Nicht zuletzt wegen dieser Mängel zog das Berliner Publikum am Abend in dem Bewusstsein von dannen, dass es einen Automatismus zum Titel nicht geben wird - auch diese Erkenntnis kann noch hilfreich werden.

Die Nationalelf reist jetzt erst mal weiter nach Frankfurt, wo am Donnerstag Nigeria der zweite Gegner sein wird. Célia Okoyino da Mbabi wird diesen Montag ihren 23. Geburtstag feiern. Was sie sich gewünscht habe, wurde sie gefragt, und auch darauf gab es eine Antwort. Von Birgit Prinz, kurz und knapp: "Du kriegst ein Ständchen, wie jede andere auch."

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