Frauen-Finale:Ungläubiges Raunen

***BESTPIX***  Day Twelve: The Championships - Wimbledon 2015

Da war allen klar, dass sie gewonnen hatte: Serena Williams posiert geübt mit der Wimbledon-Trophäe.

(Foto: Julian Finney/Getty Images)

Serena Williams gewinnt ihren sechsten Einzel-Titel in Wimbledon, ihren 21. bei Grand-Slam-Turnieren. Die 33-jährige Amerikanerin nähert sich damit rasch zwei Bestmarken von Steffi Graf.

Von Lisa Sonnabend, Wimbledon

Es war der vielleicht merkwürdigste Matchball in der langen Geschichte der Lawn Tennis Championships. Garbiñe Muguruza spielte eine mutige Vorhand longline, der Linienrichter rief zu Recht Aus - allerdings zaghaft. Statt Jubel machte sich nun eine gespenstige Stille auf dem Centre Court breit. Serena Williams verharrte regungslos, sie verstand nicht: Hatte sie nun Wimbledon gewonnen? Da sprach die Schiedsrichterin endlich ins Mikrophon: "Spiel, Satz und Sieg Serena Williams."

Die Weltranglistenerste lachte, sie schrie auf, sie hüpfte. Die verwirrten Zuschauer klatschten zunächst nur verhalten. Doch als Williams noch einmal von ihrem Stuhl aufstand, ein Tänzchen auf dem Platz aufführte, erhob sich endlich das Publikum. "Ich wusste gar nicht, dass ich gewonnen hatte", schilderte Williams bei der Siegerehrung diesen ungewöhnlichen Moment. Die 33-Jährige gluckste, als habe sie gerade ein Gläschen Pimm's zu viel getrunken.

Die Favoritin beginnt nervös, Außenseiterin Muguruza geht 4:2 in Führung

6:4 und 6:4 gewann Williams am Samstagnachmittag das Finale, nur eine Stunde und 23 Minuten benötigte sie dafür. Der Sieg war für sie mehr als nur ein weiterer Titel in ihrer großen Sammlung. Denn zum zweiten Mal nach 2002/2003 holte die Amerikanerin den "Serena Slam", also alle vier großen Tennisturniere hintereinander, wenngleich nicht in einem Kalender-Jahr. Nur ein Sieg bei den US Open fehlt ihr, dann hat sie sogar den richtigen Grand Slam sicher. Seit Steffi Graf im Jahre 1988 ist das keiner Spielerin mehr gelungen.

Williams demonstrierte im Endspiel einmal mehr eindrucksvoll, wie sehr sie ihre Sportart dominiert. Es gibt keine Spielerin auf der Tour, die ihrer Power, ihrer Kraft und ihrem Willen etwas entgegensetzen kann. So stand schon vor dem Finale fest: Die Einzige, die sie an diesem Sonntagnachmittag hätte schlagen können, wäre sie selbst gewesen. Danach sah es tatsächlich zunächst aus. Die Weltranglistenerste eröffnete das Match mit einem Doppelfehler. Da rasch zwei weitere folgten, gelang der Außenseiterin Muguruza sofort ein Break. Von den Rängen dröhnte ein ungläubiges Raunen, als stünde großes Unheil bevor. Muguruza tänzelte selbstbewusst, ihr weißer Faltenrock hüpfte wie der Tutu einer Balletttänzerin. Williams dagegen fand nicht in ihren Rhythmus, sie stand oft falsch, traf den Ball nicht richtig. Es hatte den Anschein, als stünde die nervöse Amerikanerin erstmals in einem Grand-Slam-Finale - und nicht ihre 21-jährige Gegnerin.

4:2 ging Muguruza in Führung, ihr Aufschlag kam sicher, die langen Grundlinienduelle gewann sie überwiegend, weil Williams irgendwann den Ball ins Aus oder ins Netz spielte. Doch dann fand die Weltranglistenerste zu sich selbst. Unerzwungene Fehler passierten ihr fortan kaum mehr, sie knallte viele Returns unerreichbar über das Netz. Und drehte die Partie. Nun unterlief Muguruza ein fataler Doppelfehler, die Folge lautete: Satzball Williams. Die Amerikanerin verwandelte ihn mit einem Vorhand-Winner.

Das Niveau des Endspiels blieb überschaubar

Im zweiten Satz zog Williams schnell davon. Doch beim Stand von 5:1 meldete sich wieder ihr größter Gegner: das eigene Ich. Die Zuschauer trieben Muguruza an - und die kämpfte. Die Spanierin kam heran, wehrte mutig einen Matchball ab, plötzlich hieß es nur noch 5:4. Doch dann war es wieder Muguruza, die in diesem ungeordneten Finale einen Doppelfehler servierte. Williams kam zu drei weiteren Matchbälle. Es folgte der zaghafte Ruf des Linienrichters, die unangenehme Stille und schließlich der ausgelassene Jubel von Williams. Es war kein spektakuläres Endspiel, lange Ballwechsel gab es nur wenige. Beide Spielerinnen versuchten, sofort Druck zu erzeugen, um die Gegnerin zu einem Fehler zu verleiten. Williams gelang dies konsequenter.

Bei der Siegerehrung kamen Muguruza die Tränen, sie weinte vor Enttäuschung, aber auch vor Rührung. Immer wieder brach sie ab, als sie etwas ins Mikrofon sagen sollte. "Ich kann kaum sprechen", meinte die 21-Jährige, die in der Weltrangliste auf Rang neun vorrückt, und musste nun doch wieder lachen.

In den Rekordbüchern überflügelt die Siegerin Martina Navratilova

Williams dagegen war die Erfahrung bei Siegerehrungen anzumerken. Mit forschen Schritten ging sie zum Herzog von Kent, lobte die Gegnerin und hielt zum sechsten Mal in ihrer Karriere die Schale in den Himmel von London. Mit 33 Jahren und 289 Tagen ist sie nun die älteste Grand-Slam-Gewinnerin der Geschichte, sie überflügelt damit Martina Navratilova, die 1990, bei ihrem letzten Wimbledon-Titel, 26 Tage jünger war. Williams' erster Triumph in Wimbledon liegt bereits 13 Jahre zurück, der erste Triumph bei einem Major (US Open 1999) sogar noch drei Jahre länger. "Ich fühle mich nicht alt", sagte Williams dazu nur. Sie sei sogar fitter als vor einigen Jahren. Es ist nun sehr wahrscheinlich, dass sie schon bald mit Steffi Graf gleichziehen wird, der bislang einzigen Spielerin, die es in der Profi-Ära (seit 1968) auf 22 große Einzel-Titel brachte.

Bei der Pressekonferenz nach ihrem Triumph hielt sich die gut gelaunte Williams noch einmal artig an die strenge Kleiderordnung in Wimbledon. In ihrem weißen bauchfreien Top und dem weißen kurzen Rock hätte sie danach sogleich auf eine Sommerparty im East End weiterziehen können. Sie kaufe sich vor einem Grand-Slam-Turnier immer ein Dress, sagte sie, für den Fall der Fälle. Dass sie den Serena Slam nun tatsächlich geholt hat, habe sie jedoch selbst überrascht. "Ich hätte im vergangenen Jahr bei den US Open nicht gedacht, dass ich es schaffe", meinte sie. Doch sie gab auch zu: "Ich habe den Druck gefühlt." Muguruza sei nicht nur angetreten, um ein Finale zu spielen, sondern um zu gewinnen. "Das habe ich zu spüren bekommen."

Als Williams noch auf dem Centre Court stand, wurde sie gefragt, ob sie nun auch den richtigen Grand Slam holen werde. Sie drehte sich weg und hielt sich die Ohren zu. Doch sie grinste dabei verschmitzt.

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