Frauen-Finale:Der Lob ihres Lebens

Frauen-Finale: Freunde: Garbine Muguruza und der Pokal von Roland Garros.

Freunde: Garbine Muguruza und der Pokal von Roland Garros.

(Foto: Corinne Dubreuil/AP)

Garbiñe Muguruza gewinnt mit den French Open erstmals ein großes Turnier - und verhindert wie schon Angelique Kerber in Melbourne die Krönung der Karriere von Serena Williams.

Von Philipp Schneider, Paris

Serena Williams verstand als erste, dass dieser Schlag von Garbiñe Muguruza das Finale beendet hatte. Williams stand eine Weile da, sie blickte hinab in den Sand des Court Philippe Chatrier und begriff: Der Ball hatte keinen richtigen Abdruck hinterlassen, weil er genau auf der Linie eingeschlagen war. Williams begriff auch, dass sie den Einschlag hätte verhindern können, sie hätte einfach nur Muguruzas frechen Lob zurück auf die Seite der Spanierin schmettern müssen, als sich der Ball noch in der Luft befand. Williams begriff also vor allem, dass sie sich verschätzt hatte. Im entscheidenden Moment ihres 28. Endspiels bei einem Major.

Als Serena Williams all dies begriff, hob sie langsam die Hände. Und dann applaudierte sie Muguruza, der nächsten Grand-Slam-Siegerin im Frauentennis. Sie applaudierte der 22-Jährigen am Ende dieser French Open genau so, wie sie Angelique Kerber applaudiert hatte vor etwas über vier Monaten, am Ende der Australian Open.

"Ich dachte, der Ball geht ins Aus", sagte Williams später, als sie zumindest den ersten Schmerz dieser Niederlage überwunden zu haben schien. Ob das einer der besten Matchbälle war, der jemals gegen sie gespielt worden sei? "Ich denke schon", sagte Williams. "Ganz sicher."

Serena Williams hat alles gewonnen - und wirkt doch unvollendet

Es passiert nicht oft im Sport, dass es am Ende eines Finales zwei Geschichten gibt, die gleich groß sind. Selten ist die Geschichte des Verlierers größer als die des Gewinners. Dann zum Beispiel, wenn sich die Unterlegene im Moment der Niederlage das fast inflationär verwendete Attribut "unvollendet" verdient. Die Weltranglisten-Erste Serena Williams ist allerdings so vollendet wie eine Sportlerin nur sein kann. Schon vor 13 Jahren hatte die nun 34-Jährige die Pokale aller Grand-Slam-Turniere gesammelt, 2012 kam auch noch Olympisches Gold dazu. Warum also berührte ihre Geschichte nun so sehr?

Vermutlich, weil ihre Fallhöhe noch immer so enorm ist, jedenfalls größer als bei gewöhnlichen Sportlern. Weil Williams von der Weltranglisten-Vierten auf so eindeutige Weise entthront worden war, mit 5:7, 4:6. Nach 103 Minuten. Und natürlich, weil sie nun ihrem großen Ziel noch weiter hinterherlaufen muss, einem der letzten Rekorde, die Williams noch aufstellen möchte. Es fehlt ihr weiter der verdammte 22. Major-Sieg, der sie auf eine Stufe heben würde mit Steffi Graf. Bei den US Open 2015 hatte sie erstmals die Chance verpasst und war - auf dem Weg zu einem möglichen Grand Slam - schon im Halbfinale ausgeschieden. Dann verlor sie in Melbourne gegen Kerber. Und nun vergab sie die nächste Gelegenheit, 2014 hatte sie zuletzt drei Grand-Slam-Wettbewerbe nacheinander nicht gewonnen.

Ob sie sich bei diesem Turnier, in dem sie endlich mit Graf gleichziehen wollte und auch in den zwei Matches zuvor schon merkwürdig gestrauchelt war, zu viel Druck auferlegt habe, wurde Williams gefragt. "Wisst ihr, ich bin einfach auf zwei Spielerinnen getroffen, die ...", antwortete sie, dann dachte sie kurz nach. "Ich meine: Kerber hat in Australien 16 Fehler gemacht, in drei Sätzen! Was willst du in so einem Moment machen? Und Garbiñe hat heute einfach unglaublich gespielt. Ich kann es einfach nur weiter versuchen!" Dann stand Williams auf und verließ den Saal.

Muguruza weint nicht vor Freude

Sonderlich überraschend kam dieser Sieg von Muguruza, einer in Venezuela geborenen Spanierin, allerdings nicht. Schon bei den French Open 2014 hatte sie Williams geschlagen, mit 6:2, 6:2 in der zweiten Runde. Obwohl Sand ihr Lieblingsbelag ist, zog Muguruza im Vorjahr sogar in das Finale von Wimbledon ein, verlor dort allerdings gegen Williams. Und nun ist sie die erste Spanierin seit Arantxa Sánchez Vicario 1998, die das Lieblingsturnier aller Iberer gewann. "Ich bin auf Sand aufgewachsen. Für Spanien und mich ist das einfach unfassbar schön", sagte Muguruza.

Am Samstag hatte sie die Partie zu jeder Zeit unter Kontrolle, ging schnell mit 4:2 in Führung und nahm der Amerikanerin nach deren Re-Break wieder den Aufschlag auf. Nach 56 Minuten verwandelte sie ihren dritten Satzball. Nicht einmal eine bedenkliche Aufschlagbilanz mit neun Doppelfehlern brachte Muguruza noch vom Kurs ab, sie nahm Williams auch im zweiten Satz gleich wieder ihr erstes Aufschlagspiel und nervte sie immer wieder mit ihren druckvollen Schlägen von der Grundlinie.

Wäre das nicht fast unmöglich, man hätte meinen können, Muguruza schlug so hart wie Williams. In jedem Fall unterliefen ihr dabei viel weniger Fehler. Und je länger die Ballwechsel andauerten, umso wahrscheinlicher wurde der nächste Fehler der Amerikanerin. Williams probierte das Tempo zu variieren, streute Stopps ein, doch die gerieten immer wieder kurz und landeten im Netz. Ab dem fünften Spiel im zweiten Satz begleitete Williams fast jeden Punktgewinn mit einem Schrei. Beim Stand von 3:5 wehrte sie vier Matchbälle ab, doch selbst davon ließ sich Muguruza nicht mehr beirren. Sie schlug einfach auf und spielte schließlich den Lob ihres Lebens.

Muguruza erinnert an Kerber

Am Abend stand auf einem Tisch vor Muguruza die Coupe Suzanne Lenglen, der Pokal, den Williams gerne zum vierten Mal überreicht bekommen hätte. Muguruza erinnerte nun also an Flavia Penetta nach dem Gewinn der US Open. Und natürlich auch an Angelique Kerber in Melbourne. Ein schönes Bild war das mal wieder: Eine glückliche Frau sitzt hinter ihrem ersten wichtigen Pokal. Und irgendwann sagt Muguruza diesen Satz: "Für lange, lange Zeit gab es immer die gleichen Spielerinnen, die in allen Grand Slams gespielt haben. Und jetzt ist es doch großartig, all die neuen Gesichter zu sehen, die wissen, dass es möglich ist, gegen Serena zu gewinnen." Muguruza lächelt. Vor Freude geweint hatte sie bisher nicht. "Es ist, als würde man frische Luft atmen!"

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