Frauen-Bundesliga:Bleibt alles in der Familie

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Ein starkes Kollektiv: Anja Maike Hegenauer (links), Hasret Kayikci (Nr. 11), Giulia Gwinn (7) und Klara Bühl (rechts) bejubeln das Tor gegen Wolfsburg, das dem SC Freiburg die Tabellenführung einbrachte.

(Foto: foto2press/imago)

Während die Männer des SC Freiburg gerade leiden, führen die Frauen die Tabelle ihrer Bundesliga an - vor den etablierten Teams aus München, Wolfsburg und Frankfurt.

Von Anna Dreher

Er weiß noch nicht, wann er wieder ganz von vorne anfangen muss. Vielleicht schon nächstes Jahr, vielleicht auch erst ein Jahr später. Darüber will er sich jetzt keine Gedanken machen, aber Jens Scheuer ist bewusst, dass dieser Moment kommen wird. In seinem Vertrag stand wahrscheinlich nichts davon, aber als Fußballtrainer des SC Freiburg gehören Neustarts nach größeren Kaderumbrüchen zum Berufsprofil - auch bei den Frauen in der Bundesliga. "Genau das", sagt Jens Scheuer, "macht aber besonders Spaß." Gerade macht ihm sein Job noch mehr Spaß als ohnehin, was wiederum damit zusammenhängt, dass er diese Saison mal nicht ganz von vorne beginnen musste.

Die Fußballerinnen des SC Freiburg sind Tabellenführer der Bundesliga, so gut waren sie noch nie. Das 1:0 gegen den mehrmaligen deutschen Meister, Pokal- und Champions-League-Sieger VfL Wolfsburg am vorigen Samstag markiert den bisherigen Höhepunkt kontinuierlicher Arbeit, wenn nicht sogar einen Wendepunkt. Aber weil sie beim SC Freiburg sehr genau wissen, dass sie der SC Freiburg sind, halten sie sich mit solchen Einschätzungen lieber zurück. Es ist eben erst November, noch nicht einmal die Hälfte der Saison ist vorbei. "Natürlich macht uns das stolz, aber eigentlich haben wir noch nichts erreicht", sagt Scheuer. "Im Fußball geht es auch um Glück. Davon brauchen wir mehr als andere, weil die bessere Voraussetzungen haben."

Der SC Freiburg hat nie zu den Vereinen gehört, die im Fußball mit viel Geld argumentieren können. Wenn gute Spieler überzeugt werden sollen, geht es um andere Dinge: die familiäre Atmosphäre, größere Gestaltungsmöglichkeiten oder frühere Einsätze in der Bundesliga. Meistens wird versucht, Spieler zu halten, anstatt sie von anderen Vereinen zu kaufen. Der SC Freiburg ist einer der besten Ausbildungsvereine in Deutschland: Die A-Junioren sind hinter Hoffenheim und vor Bayern München gerade Zweiter in der Bundesliga, die Juniorinnen in der Bundesliga Süd Tabellenführer. Freiburg entdeckt Talente, entwickelt sie - und muss dann doch oft zuschauen, wie sie zu anderen Klubs mit mehr Geld und größeren Titelchancen wechseln. Davon profitieren viele. Der SC aber wird für sein aufwendiges Konzept nicht immer belohnt.

Frauentrainer Scheuer durchlief unter Männertrainer Streich die SC-Jugendabteilung

Bei den Frauen ist das nicht anders. Seit 16 Jahren spielen die Freiburgerinnen in der Bundesliga, einen Titel gewonnen haben sie noch nie. Vor jeder Saison stand die Hoffnung, nicht abzusteigen und später dann, sich einen Platz im Mittelfeld zu erkämpfen. Nationalspielerinnen wie Melanie Behringer, Sara Däbritz, Verena Faißt und Melanie Leupolz wechselten nach Frankfurt, München oder Wolfsburg, und in Freiburg fing alles immer wieder von vorne an. Bis 2015 Jens Scheuer kam - der übrigens unter dem heutigen Männertrainer Christian Streich die Jugendabteilung des Sportclubs durchlief.

Und während sich Streich mit seinen Männern erstmals seit längerer Zeit wieder im Abstiegskampf befindet und nach Verletzungen zahlreicher Spieler die Nachteile des Freiburger Konzepts zu spüren bekommt, zahlt sich bei den Frauen die Arbeit an der Basis allmählich aus.

Schon 2016 und 2017 wurde Freiburg Vierter - mit, wie Scheuer sagt, für sein Team astronomischen 47 Punkten. Ihm gelang es, zusammen mit der langjährigen Abteilungsleiterin Birgit Bauer, eigene Talente wie Giulia Gwinn zu halten, erfahrene und leistungsstarke Spielerinnen wie Lina Magull und Carolin Simon zu verpflichten und so ein Mannschaftsgefüge zu schaffen, das emotional harmoniert und spielerisch funktioniert. "Der Zusammenhalt ist außergewöhnlich gut, das überträgt sich auch auf unser Selbstbewusstsein auf dem Platz", sagt Simon. "Alle sind engagiert, weil wir wissen, dass wir nur als Team bestehen können." Internationale Topspielerinnen wird es in Freiburg auch künftig eher nicht geben.

Scheuer hat vor allem die Defensive verbessert: Bevor der 39-Jährige kam, hatte der SC 62 Gegentore kassiert. In seiner ersten Saison waren es 24, aktuell sind es nach sieben Spieltagen drei. Nur der FC Bayern ist besser. Das Trainerteam wurde erweitert, die Einheiten dank intensiverer Leistungsdiagnostik verbessert. Alles ist professioneller geworden, im Rahmen der Möglichkeiten eben. "Niemand kommt zu uns wegen des Geldes, sondern weil man gerne dem Verein helfen möchte", sagt Scheuer. "Wir haben aus wenig viel gemacht. Wir sind wie eine Familie."

Vor ungefähr zehn Jahren fing die Freiburger Nachwuchsabteilung an, sich auch intensiver um weibliche Talente zu bemühen, dank engagierter Scouts, die noch heute die Talente sichten. Zudem wurde Freiburg damals zur ersten Eliteschule des Fußballs für Jungen und Mädchen und bot seinen Spielerinnen damit die Möglichkeit, Ausbildung und Fußballambitionen am Ort zu vereinen. "Wir haben schon immer sehr auf die Jugendarbeit geachtet, und mit der Schule ist es dann aufwärts gegangen bei uns", sagt Bauer. "Laura Benkarth ist ein Paradebeispiel für unseren Weg." Die Torhüterin spielt seit der Jugend für den SC, 2009 wechselte sie zu den Profis. Dort wurde sie Nationalspielerin, Olympiasiegerin - und ist immer in Freiburg geblieben. Überhaupt stellt Freiburg mit Wolfsburg inzwischen die meisten Spielerinnen der Auswahl, neben Magull, Simon und Benkarth gehört auch Hasret Kayikci dazu. Bei der EM stand zudem Lena Petermann im Kader von Bundestrainerin Steffi Jones.

Es sei, sagen sie in Freiburg, eigentlich ganz einfach: Sie wollen guten Fußball spielen und Spaß dabei haben. Und das noch möglichst lange, ohne grundlegend vom Konzept abzuweichen. Sie finden es wichtig, Talente aufzubauen und den Frauenfußball im Land mit zu entwickeln. "Wir sehen ja, dass man auch auf diese Weise Erfolg haben kann", sagt Birgit Bauer. "Wir sind gespannt, was noch passiert."

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