Frankreich spielt nur 1:1 gegen England:Biedere Briten, passive Franzosen

Viele Experten haben Frankreich zum Geheimfavoriten der EM erklärt. Zum Auftakt gegen England wird das Team um Franck Ribéry diesem Anspruch nicht gerecht. England geht sogar in Führung, Samir Nasri schafft nur noch den Ausgleich - am Ende sind beide Mannschaften trotzdem zufrieden.

Johannes Aumüller

Spätestens kurz vor dem Anpfiff mussten manche Zuschauer im schicken Donezker Stadion glauben, es habe eine kurzfristige Änderung am Spielplan gegeben. Als Frankreich gegen England war diese Partie angekündigt worden, doch als die Teams einliefen, schallte von der Tribüne: "Ros-si-ja", "Ros-si-ja".

France v England - Group D: UEFA EURO 2012

Wieder kein Tor: Englands Keeper Joe Hart blockt Samir Nasri.

(Foto: Getty Images)

Donezk zählt ohnehin zum russophilen Teil der Ukraine, zudem waren viele Fans direkt aus Russland angereist: Weil dort am Dienstag Nationalfeiertag ist, schob die Regierung wie üblich einen Brückentag ein, den viele "Ros-si-ja", "Ros-si-ja" rufend in Donezk verbrachten. Sie sahen ein mäßiges Spiel, ein 1:1 eben zwischen Frankreich und England.

Frankreichs Trainer Laurent Blanc hatte vor nicht allzu langer Zeit die Spielweise der deutschen Nationalmannschaft als Vorbild für seine eigene Elf genannt; allerdings hatte er nicht dazu gesagt, auf welches Jahrzehnt er sich dabei bezog. Seine Elf, nach 21 Spielen ohne Niederlage favorisiert, begann jedenfalls sehr passiv, ohne Tempo und mit viel Quergeschiebe. "Wir haben zu ängstlich gespielt", stellte Blanc hinterher fest. In der ersten Viertelstunde ergab sich so lediglich eine Halbchance: Samir Nasri schoss knapp am Tor vorbei (11.).

Natürlich dauerte es nicht lange, bis die Engländer, denen mit Wayne Rooney, Frank Lampard, Gareth Barry und Gary Cahill gleich vier wichtige Spieler fehlten, diese Passivität bemerkten - und zunehmend die Partie prägten. Sie waren aktiver und energischer als der Gegner, und nach einem schönen Diagonalpass von Ashley Young durch die französische Viererkette hatte James Milner sogar das, was im Branchenjargon eine Hundertprozentige heißt: Er umkurvte Torwart Hugo Lloris und stand halblinks vor dem leeren Tor, aber aus spitzem Winkel traf er mit seinem schwachen linken Fuß nur das Außennetz (15.).

Eine Viertelstunde später jedoch schlug Steven Gerrard von der rechten Seite einen Freistoß weit auf den zweiten Pfosten, wo sich Alou Diarra völlig falsch postierte und so Joleon Lescott zum Kopfball kam - und in der 30. Minute das 1:0 erzielte.

Prompt fällt der Ausgleich

Ein Kopfballduell zu verlieren, das ist beinahe unverzeihlich in der Welt des 1,90 Meter großen Diarra. Und so kam es dem Sechser der Franzosen sehr gelegen, dass er kurz darauf gleich zwei Mal in einer Szene seine Kopfballstärke zeigen durfte: Den ersten Versuch parierte Englands Torwart Joe Hart mit einer glänzenden Parade, der zweite ging knapp am Tor vorbei. Es war die beste Phase der Partie, und es war die Phase, in der sich der hohe Ballbesitzanteil der Franzosen nicht mehr nur in Quergeschiebe niederschlug, sondern auch in gelegentlichen Tempoverschärfungen.

Paradoxerweise haben wir ein Gegentor gebraucht, um initiativ zu werden", wunderte sich Laurent Blanc. In der 39. Minute fiel schließlich der Ausgleich: Samir Nasri schoss aus ziemlich genau jener Position, aus der er in der elften Minute noch knapp vorbeigeschossen hatte - diesmal landete der Ball im Netz. Es war ein platzierter Schuss, so dass Torwart Joe Hart nur noch mit den Fingerspitzen an den Ball kam.

Nach der Pause hatten die Engländer zunächst Glück, dass ein riskanter Rückpass von Milner auf Hart folgenlos blieb (49.). Doch das war für längere Zeit der einzige kritische Moment, den sie zu überstehen hatten. England stand gut organisiert, und Frankreich verfiel schnell wieder in die Spielweise der Anfangsminuten. Nasri und Franck Ribéry rochierten zwar viel, konnten daraus jedoch keine Gelegenheiten konstruieren. Und Frankreichs Top-Stürmer Benzema spielte so, als täte ihm der Ausfall des englischen Top-Stürmers Rooney so leid, dass Frankreich lieber auch ohne Top-Stürmer spielte.

In der 66. Minute hatte er seine erste kleine Szene - ein Fernschuss, den Hart leicht parieren konnte. Es entwickelte sich eine Situation, wie sie typisch ist, wenn am ersten Spieltag die beiden am höchsten eingeschätzten Teams einer Gruppe aufeinander treffen: Hauptsache nicht verlieren, hieß das Motto. "Frankreich hat eine fantastische Mannschaft, die uns das Leben sehr schwer gemacht hat", sagte der englische Kapitän Steven Gerrard, "das Unentschieden ist okay. Und auch Laurent Blanc war letztlich zufrieden:

"Das 1:1 geht in Ordnung", befand Frankreichs Trainer. Zwischenzeitlich verflachte die Partie so weit, dass die russischen Fans ihr "Ros-si-ja", "Ros-si-ja" wieder anstimmten.

Erst in der Schlussphase stieg das Tempo noch einmal ein wenig. Das führte zwar noch zu vereinzelten Torschüssen, zu mehr aber nicht.

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