Fußball-EM:Frankreichs großes Versprechen

France training - EURO2016

Aufsteiger der Stunde: Der für die EM nachgerückte Innenverteidiger Samuel Umtiti, gerade mal 22, steht vor dem Wechsel zum FC Barcelona.

(Foto: REUTERS)

Debüt auf der größten denkbaren Bühne: Der Franzose Samuel Umtiti wird im Viertelfinale gegen Island sein erstes Länderspiel bestreiten.

Von Claudio Catuogno, Paris

Vielleicht entscheidet sich Didier Deschamps ja doch für die internationale Erfahrung. Für 2503 Minuten Champions League, für 48 Einsätze in der Premier League. Für all das steht Eliaquim Mangala, 25, von Manchester City. Der französische Nationaltrainer Deschamps braucht einen neuen Innenverteidiger für das Viertelfinale am Sonntag gegen Island, weil Adil Rami, 30, vom FC Sevilla gelbgesperrt ausfällt. Mangala wäre der logische Ersatz.

Dass er tatsächlich auflaufen wird an der Seite von Laurent Koscielny, 30, vom FC Arsenal, das glaubt allerdings kaum jemand im Gastgeberland der EM. Deschamps, so erwarten es alle Experten, die zu diesem Thema rund um die Uhr befragt werden, wird wohl die natürliche Hierarchie seines Kaders außer Kraft setzen und Samuel Umtiti den Vorzug geben. Für den 22-Jährigen von Olympique Lyon wäre es das erste Länderspiel, eine Art Von-Null-auf-Hundert-Mission.

"Wir vertrauen jedem", sagt Patrice Evra

Mangala? Umtiti? Der Linksverteidiger-Senior Patrice Evra, 35, von Juventus Turin hat in dieser Sache natürlich keine Präferenz erkennen lassen, als er am Donnerstag im Quartier der Franzosen in Clairefontaine vor die Presse trat. "Ich bin nicht der Trainer", verriet er, was auch so alle wussten: "Und ich habe von Anfang an gesagt, dass alle Spieler, die hier dabei sind, es verdienen. Wir vertrauen jedem."

Aber eine Nachfrage hat Evra dann doch noch beantworten müssen: Wäre das nicht ein bisschen zu viel des Guten, sein Debüt gleich auf der ganz großen Bühne zu geben? Aber warum denn, fragte Evra zurück. "Ob Elia oder Big Sam, ich weiß, dass sie ihre Arbeit machen werden. Sie werden sich wohlfühlen, weil wir für sie da sein werden. Sie müssen ja nur das tun, was sie in ihren Klubs auch tun."

Ganz so einfach wird es sicher nicht werden. Schon die Innenverteidigung Koscielny/Rami war für Deschamps ja nur die Notlösung der Notlösung gewesen. Mamadou Sakho, 26, vom FC Liverpool: ist wegen eines positiven Dopingtests gesperrt; er gibt an, einen verbotenen Fatburner zu sich genommen zu haben. Raphaël Varane, 23, von Real Madrid: Oberschenkelprobleme; kurz vor dem Turnier musste er passen, für ihn rückte Rami in den Kader. Mathieu Debuchy, 30, von Girondins Bordeaux: ebenfalls Probleme am Oberschenkel. Und schließlich Jérémy Mathieu, 32, vom FC Barcelona: Meniskusriss. Seinen Platz übernahm Umtiti, ohne zuvor je ein Spiel gemacht zu haben für Les Bleus.

Alle wollen Umtiti

Dafür, dass sie noch vor wenigen Wochen keiner auf der Rechnung hatte, haben Koscielny und Rami ihre Sache bisher gut gemacht, zwei Gegentore mussten die Franzosen erst hinnehmen, beide resultierten aus einem Elfmeter. Aber dass die Innenverteidigung einer verletzlichen Elf Stabilität geben muss, die in allen Teilen noch nach der Balance sucht, das ist schon auch deutlich geworden gegen Rumänien (2:1), Albanien (2:0), die Schweiz (0:0) und Irland (2:1). Wie passt das zusammen: eine nach Gleichgewicht suchende Mannschaft - und ein Frischling in einer Schlüsselrolle?

Es ist wohl vor allem eine Frage der Alternativen. Mangala hat auch erst sieben Länderspiele vorzuweisen, und im Training, ist zu hören, sei er gerade nicht der Engagierteste. Deschamps, ist zu hören, zweifele an seiner Abgeklärtheit. Und selbst wenn das nicht zusammenpasst mit Evras Versicherung, wonach jeder für alles bereit sei: Dass Mangala vor einer ungewissen Zukunft steht, wenn jetzt der Trainer Pep Guardiola in Manchester zum großen Revirement ansetzt, ist unbestritten.

Barcelona bekommt viel Potenzial für die Zukunft

Umtiti ist der Spieler der Stunde. Alle wollen ihn. Kamerun, das Land seiner Eltern, hat ihn noch kurzfristig abzuwerben versucht - vergeblich. Seit Umtiti acht Jahre alt ist, spielt er für Lyon, er hat die Nachwuchs-Teams des französischen Verbandes durchlaufen, und das Hemd mit dem Hahn auf der Brust ist ihm so fremd auch nicht: 2013 gewann er darin die U20-WM in der Türkei. Und jetzt will ihn auch noch sein Lieblingsklub: der FC Barcelona.

Am Mittwoch hat Jean-Michel Aulas, der Besitzer von Olympique Lyon, Nicolas N'Koulou, 26, von Olympique Marseille bereits als Umtitis Nachfolger vorgestellt und dabei auch kundgetan, dass er Umtiti trotz Vertrags bis 2019 nach Spanien ziehen lassen wird. Barça-Präsident Josep Maria Bartomeu bestätigte am Donnerstag, dass sich die Klubs bereits geeinigt hätten. Die Katalanen haben gerade den Verteidiger Marc Bartra für acht Millionen Euro an Borussia Dortmund verkauft; für Umtiti müssen sie nun 25 Millionen nach Lyon überweisen, diverse Bonuszahlungen kommen noch dazu. Nur die Vereinbarung mit dem Profi selbst steht noch aus.

Der FC Barcelona wird für das Geld wohl einen Nationalspieler bekommen. Einen abgeklärten jungen Mann mit wenigstens einem Länderspiel - und viel Potenzial für die Zukunft.

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