Frankreich:Patriotismus als Verbandszeug

ZLATAN IBRAHIMOVIC psg Jessy PI estac FOOTBALL Paris St Germain vs ES Troyes AC Ligue 1 20

Ein normaler Sieg, aber kein normales Spiel: Paris St. Germain (hinten Zlatan Ibrahimovic) bei der ersten Heimpartie nach den Terroranschlägen.

(Foto: imago)

Nach den Terroranschlägen in Paris pilgern 46 000 Zuschauer zum Hauptstadtklub St. Germain in den Parc des Princes, um der Angst und Resignation zu trotzen.

Von Oliver Meiler

Für einmal verzichtete man auf Phil Collins, auf die Hymne des Vereins. "Who said I would" schmettert der Sänger an normalen Tagen vom Band, wenn die Spieler von Paris Saint Germain den Rasen des Parc des Princes betreten - beschwingt, dynamisch. Nur, normal ist gerade nichts. Und so dachte sich der Klub aus der getroffenen Hauptstadt für das erste Heimspiel nach den Terroranschlägen vom 13. November ein ganz anderes Protokoll aus, eine lange und emotionale Hommage an die Opfer, an Paris, an den Geist des Widerstands, die den kühlen Samstagabend eigentlich schon reichlich wärmte. Da hätte es danach gar keinen Fußball mehr gebraucht.

Eine Fanfare stimmte zunächst den Schlachtchor der Fans an, "Ô ville lumière", da heißt es:

"Oh Stadt des Lichts

Spür' die Wärme/unseres Herzens

Siehst du unsere Inbrunst/wenn wir an deiner Seite marschieren

Mit diesem Drang/den Feind zu jagen

Damit unsere Farben/am Ende wieder glänzen."

Zur Marseillaise wurde dann eine Trikolore über das Fußballfeld gezogen, die dieses fast ganz bedeckte. Wie immer, wenn nun die Nationalhymne erklingt, sang viel Volk mit: Der Patriotismus dient in diesen Tagen als Verbandszeug. Auf den Sitzen erwartete die Zuschauer Farbpapier, blaues, weißes und rotes, für eine weitere Trikolore auf den Rängen. Und Fähnchen, Nationalfähnchen. Über die Großbildschirme des Stadions liefen die Grüße von Sportlern aus aller Welt, die mal auf Französisch, mal auf Englisch, Spanisch, Italienisch, Schwedisch zu Klavierklängen ihre Solidarität kundtaten. Der Klub hatte den Film montiert, ohne dass jemand davon erfuhr. Lionel Messi sagt darauf "Estamos juntos", "wir halten zusammen". Die beiden Ronaldos treten auf, der Brasilianer und der Portugiese. Rooney, Totti, Paolo Maldini und Kevin Keegan. André Agassi, Pete Sampras, Martina Navratilova. Handballer auch, Leichtathleten. "Je suis Paris", sagen die meisten.

Die Söldner Luiz und Cavani überlegten tatsächlich, nicht nach Paris zurückzukehren

Man sieht in dem Film auch zwei Starspieler von PSG, zwei Großverdiener des Klubs, die nach den Attentaten eigentlich gar nicht mehr nach Paris hätten zurückkehren wollen. Der brasilianische Innenverteidiger David Luiz und der uruguayische Stürmer Edinson Cavani zogen mit ihren jeweiligen Nationalmannschaften durch Südamerika, als es dunkel wurde in der Stadt des Lichts. Luiz war offenbar schon öfters mal im Bataclan gewesen, dem Konzertsaal, den die Terroristen heimsuchten. Als ihn das brasilianische Fernsehen nach seinen Gefühlen fragte, sagte er: "Es gibt nichts Traurigeres, als Menschen sterben zu sehen. Ich habe sofort nach Paris telefoniert. Meine Freundin ist da, Verwandte, Freunde. Sie waren alle traurig und entsetzt, tief verängstigt. Ich weiß noch nicht, was ich machen soll, ob ich nach Paris zurückgehen werde oder nicht. Ich habe dort meine Arbeit. Doch wenn es nur an mir hinge, bliebe ich hier." Kamerad Cavani ließ ausrichten, er würde lieber auch daheim bleiben, in Uruguay.

Natürlich war die Angst der beiden legitim, so sehr, wie sie es bei allen ist. Nur, die beiden Herren mit dem auffälligen Haarstil hatten schon davor als Söldner des Fußballs gegolten. Cavani war für sagenhaft überrissene 64 Millionen Euro von Neapel zu Paris gestoßen, während Luiz für 62 Millionen vom FC Chelsea zu PSG gewechselt war. Nicht etwa, weil sie der französische Fußball besonders gelockt hätte: Von den fünf größten nationalen Meisterschaften Europas ist die Ligue 1 wahrscheinlich noch immer die schwächste. Sie kamen wohl vor allem wegen des Geldes. Und das fließt in Paris, seit dort der katarische Emir bezahlt, in reißenden Strömen, schier unversiegbar. Nun also spielten die Söldner auch noch mit dem Gedanken, im schwierigen Moment zu desertieren.

Es blieb beim Gedanken. Luiz und Cavani waren pünktlich zurück und standen gegen den Tabellenletzten Troyes in der Startelf, mit ergriffener Miene, auf der Trikotbrust anstelle eines Sponsors der Spruch "Je suis Paris". Dem Stürmer gelang der Treffer zum 1:0 in der 20. Minute, der Auftakt zum finalen 4:1. Als ihn der Trainer frühzeitig auf die Bank bat, war Cavani richtig sauer, er hätte gegen den schwachen Gegner gerne seine Statistik etwas aufgebessert. Acht Tore in 15 Meisterschaftsspielen sind einfach zu wenig, findet die Pariser Presse, die Ausbeute stehe in keinem Verhältnis zu Gehalt und Ruhm. Freilich, der PSG ist der gesamten Konkurrenz bereits wieder entrückt, hat noch nie verloren und erst zweimal unentschieden gespielt, ist schon jetzt Herbstmeister mit 41 Punkten. Der erste Verfolger bringt es nicht einmal auf 30 Punkte. Und wieder legt sich eine große Langeweile auf die Ligue 1.

Das Stadion war trotzdem voll. Getrotzt hatten die 46 000 ja auch vor allem der Angst, der Resignation. Die Zeitung Le Parisien hatte vor dem Spiel gegen Troyes einige Anhänger von PSG gefragt, ob sie denn nicht ein mulmiges Gefühl hätten. Die Befragten sagten, sie kämpften mit ihrer Angst - Angst etwa vor der langen Fahrt mit der Metro raus, an den Rand des XVI. Arrondissement, bei der Ringstraße im Südosten der Stadt. Die meisten überwanden die Angst. Im Stadion saßen auch wieder Frankreichs Premierminister Manuel Valls und der ehemalige Staatspräsident Nicolas Sarkozy, beide sind oft Gäste im Prinzenpark. Sie umrahmten den Emir von Katar, Scheich Tamim bin Hamad al-Thani, den Besitzer des Vereins, der nicht ganz so oft da ist, den Moment für einen Besuch aber wohl auch aus politischen Überlegungen für angebracht hielt.

Verwünscht wurde nur die Terrormiliz mit eindeutigen Schmährufen

Die Harmonie vor dem Spiel war so groß, dass die Fans von PSG selbst klatschten, als der Stadionsprecher die Liste der gegnerischen Spieler verlas. Verwünscht wurde nur die Terrormiliz Islamischer Staat, die man in Frankreich gemeinhin Daech nennt: "Daech, Daech", skandierten die Kurven, "on t' encule!" Vornehm übersetzt heißt das: "IS, IS, wir nehmen dich von hinten!" Da wünscht man sich, dass der Fußball bald wieder ganz dem Fußball gehören möge, samt Pfiffen und dumpfen Schmährufen gegen die Spielgegner.

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