Frankreich:Mit Kopf und Meisterparaden

Frankreichs Torwart Lloris entscheidet jetzt auch Spiele - vorne assistieren Griezmann und Verteidiger Varane.

Von Claudio Catuogno, Nischni Nowgorod

Am Freitagnachmittag standen in Nischni Nowgorod zwei Torhüter ungefähr 90 Meter voneinander entfernt, die sich auf gewisse Weise ähnlich waren, auf gewisse Weise aber auch nicht. Hugo Lloris, der Torhüter der Franzosen, machte im Viertelfinale gegen Uruguay sein 102. Länderspiel, und Fernando Muslera, der Keeper der Uruguayer, machte ebenfalls sein 102. Länderspiel. So viel zu den Gemeinsamkeiten. Es handelte sich um einen Zufall, aber manchmal ist es ja so: Was vor dem Spiel noch wie ein belangloser Zufall aussieht, trieft nach dem Spiel vor Symbolik. Dieses Spiel wurde nämlich zu einem Torwart-Spiel.

Dass das Viertelfinale in Nischni Nowgorod nicht zuletzt von den Abwehrreihen entschieden werden würde, war zu erwarten gewesen: Die Verteidigung der Südamerikaner um den Eisenfuß Diego Godín galt bislang als schier unüberwindbar mit nur einem Gegentor in vier Spielen. Aber dann kam in der 40. Minute ein französischer Innenverteidiger herangeflogen, Raphaël Varane, und setzte nach einem Freistoß von Antoine Griezmann einen brillanten Kopfball ins Netz, zum 1:0 für Frankreich.

Aber schon kurz darauf wurde es doch wieder ein Spiel, das nicht nur mit den Füßen entschieden wurde, sondern auch mit den Fäusten. Die 44. Minute, kurz vor der Pause, psychologisch wichtiger Zeitpunkt, wie Fachleute wissen. Noch unter dem Eindruck von Varanes Führungstor versuchten die Uruguayer es mit einer Art Raubkopie: Diesmal flog ein hoher Freistoß in den französischen Strafraum, diesmal kam Martín Cáceres mit dem Kopf an den Ball. Nicht nur Kylian Mbappé, Frankreichs Offensivjüngling mit seinen gerade 19 Jahren, sah den Ball "schon in den Maschen baumeln". Aber dann sah auch Mbappé diese "unglaubliche Parade", wie er sagte, mit der sich Lloris "auf ewig in Frankreichs Geschichte verewigt hat".

Das mag ein bisschen übertrieben sein, aber wahr ist doch, dass Hugo Lloris plötzlich waagerecht in der Luft lag, als verfüge er über die Fähigkeit, alles um sich herum kurz zeitverzögert ablaufen zu lassen, um währenddessen in aller Ruhe loszuspringen. Auch Trainer Didier Deschamps schwärmte hinterher von dieser "herausragenden Parade", wobei: "Es war keine Parade, es war eher wie ein Tor für uns."

Es muss für eine Mannschaft immer eine Menge zusammenkommen im Laufe eines WM-Turniers, damit es zum Titel reicht, und in dieser Hinsicht ist diese Parade jetzt auch ein Gruß an die verbliebene Konkurrenz: Seht her, die Franzosen haben diesmal auch einen Torwart, der ein Spiel zur Not alleine entscheiden kann.

Und damit zu Fernando Muslera, 32 Jahre alt, ein Jahr älter als Lloris: Er hatte seinen großen Auftritt in der 66. Minute. Allerdings war es eine Szene, über die hinterher keiner seiner Teamkameraden groß ein Wort verlieren mochte. Darüber werde er mit Muslera "nur in der Intimität der Kabine sprechen", sagte Uruguays Trainer Óscar Tabárez. Antoine Griezmann hatte einen eher harmlosen Weitschuss auf die Reise geschickt - Muslera ließ ihn von seinen Fäusten ins Tor klatschen.

Varane, Griezmann, Lloris, das waren diesmal die drei prägenden Figuren bei den Franzosen. Griezmann war sowieso besonders im Fokus gestanden, weil er zu vielen Uruguayern enge Freundschaften pflegt, Diego Godín, sein Teamkollege bei Atlético Madrid, ist sogar der Taufpate seiner Tochter. Nach dem Spiel gab Griezmann mehr spanische als französische Interviews, er sprach darin wieder viel von Respekt und von seiner Liebe zur uruguayischen Kultur.

Der Verteidiger Varane, Real Madrid, auch daran ist nach dem Spiel in Nischni Nowgorod ständig erinnert worden, hatte im Viertelfinale von Rio de Janeiro vor vier Jahren Mats Hummels kurz aus den Augen verloren, der daraufhin per Kopf das 1:0- Siegtor erzielte für den späteren Weltmeister Deutschland. Nun machte es Varane im Viertelfinale selber so. Der Pariser Sportzeitung L'Équipe kam es so vor, "als sei Varane in den vergangenen vier Jahren gewachsen". Das ist er wohl tatsächlich, wenn auch in Kategorien, die sich nicht in Zentimetern messen lassen.

Das Gleiche gilt für Hugo Lloris, den Keeper von Tottenham Hotspur. Er ist ein eher stiller Kapitän der Bleus, der noch stiller wird, wenn es um ihn selbst geht, da geniert er sich geradezu. Seine Parade? "Ja, war ein Ereignis des Spiels", sagte er hinterher in den Katakomben des Stadions, ließ sich dann aber immerhin noch das Wörtchen "mitentscheidend" unterjubeln.

In den nächsten Tagen wird Lloris jedenfalls der Garant dafür sein, dass die jungen Franzosen auf dem Boden bleiben. Und weil all das so ist, wird Hugo Lloris selbst am Dienstag in Sankt Petersburg gegen Belgien sein 103. Länderspiel machen, und dann vermutlich noch ein weiteres, jedenfalls wenn die Franzosen ins Finale kommen (im Spiel um Platz drei könnte Deschamps wechseln).

Hugo Lloris, der stille Torwart und Kapitän, entscheidet jetzt also auch Spiele: Auch da erinnert man sich wieder an Rio 2014, das Viertelfinale gegen Deutschland, als der französische Stürmer Karim Benzema kurz vor Schluss im Grunde schon den 1:1-Ausgleich erzielt hatte. Aber dann brachte Torwart Manuel Neuer in der Manier eines Hexers noch irgendwie die Hand an den Ball.

Weltmeisterparaden. Die Franzosen haben das diesmal auch im Programm.

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