Frankreich:Lächelnd zwischen Stechpalmen

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Thierry Henry erinnert sich an zwei vergangene Weltmeisterschaften und belegt den Stimmungswandel bei den Franzosen.

Ralf Wiegand

Er hat nicht wirklich großen Eindruck hinterlassen damals, bei diesem Spiel zwischen Brasilien und Frankreich, über das jetzt wieder alle sprechen. "Es ist zwar lange her", sagt Thierry Henry, schaut nachdenklich ins Nichts, als erschiene dort gleich ein Bild von damals, und kratzt sich etwas verlegen am rechten Oberschenkel.

Jetzt ist selbst ein Star: Thierry Henry (Foto: Foto: AFP/ddp)

"Aber doch, ich kann mich erinnern. Ich habe damals noch Daumen gelutscht." Damals lebte Henry in Les Ulies im Departement Essonne, einem Vorort von Paris, das Stade de France war noch gar nicht gebaut, in dem Frankreich zwölf Jahre später Weltmeister werden sollte.

Großer Spaß

Henry war ein siebenjähriger Bub, der noch nicht einmal am Anfang seiner Reise zu den Sternen stand.

Jetzt ist er längst selbst ein Star, er hat geschafft, wovon alle Jungen träumen: Er sitzt in kurzen Hosen und Badelatschen zwischen zwei Stechpalmen in der Rattenfängerhalle von Hameln und darf sich vor der Weltpresse das Hirn zermartern, was um Gottes Willen er wohl tat, als am 21. Juni 1986 in Mexiko Frankreich Brasilien mit 5:4 im Elfmeterschießen besiegte. Das muss ein großer Spaß sein. Henry lacht.

Die Stimmung, sagen die, die das Lager der Franzosen vor und nach dem Spanienspiel kennenlernen durften, ist viel besser geworden. Spieler und Medien scherzen wieder miteinander in den kleinen kapellenartigen Sprechzimmern, die der französische Verband in der Hamelner Rattenfängerhalle mit mobilen Stellwänden hat einrichten lassen.

Drei Spieler gleichzeitig können dort in separaten Abteils interviewt werden. Es gibt eines mit großem, erhöhtem Pult, an dem am Donnerstag Liliam Thuram Platz nahm, durch seine Brille linste und sofort aussah wie ein Professor für Staatskunde.

"Es lebe das wahre Frankreich", schloss er eine pointierte Replik auf den rechtsextremen Politiker Le Pen ab, weil der daheim etwas über die dunkelhäutigen Auswahlspieler und deren Verhalten bei der Nationalhymne gefaselt hatte. Die Journalisten applaudierten Thuram.

Und bei Henry lachten sie eben ab und zu, vielleicht, weil er auf diese Mini-Bühne gesetzt worden war, die wie eine Kulisse für einen Stand-up-Comedian aussieht: nur ein Stuhl, ein Mikro, die Stechpalmen und das Publikum.

Als Spieler muss man schon gute Laune haben, um das auszuhalten. Thierry Henry ist zweifellos bester Dinge, warum auch nicht. Es ist zwar nicht das Turnier des Stürmers von Arsenal London, noch nicht wenigstens, weil andere Figuren im Team interessanter sind.

Franck Ribéry etwa, natürlich der ewige Zinédine Zidane. Aber Henry? Er fiel zwar nicht weiter auf, hätte aber schon jetzt die Schlüsselszene zu verantworten, sollte Frankreich bei dieser WM noch mehr Erfolg haben. Sein theatralischer Fall, sein extrovertierter Griff an den Adamsapfel, diese ganze Show nach einem harmlosen Bodycheck des Spaniers Puyol führten zum entscheidenden Freistoß gegen Spanien, zu Vieiras 2:1, damit zum Sieg.

"Das war ein besonderes Spiel, ein Schlüsselspiel", sagte Henry. Die Schlüsselszene? Lächeln.

Man hatte diese Franzosen lange nicht auf dem Zettel, wenn es darum ging, wer Brasilien stoppen könnte. In den französischen Medien verging kein Tag ohne Kritik an Trainer und Team, das Vertrauen in die blauen Veteranen war gleich null.

Wichtige Zeitzeugen

Nun plötzlich sind diese alten Männer nicht nur mehr bloße Geschichte, sondern wichtige Zeitzeugen ihrer eigenen Geschichte und, noch besser: Sie können sie selbst wiederholen. Deswegen reichen die Aufforderungen, sich zu erinnern, so weit zurück wie nur möglich.

Deshalb musste Henry irgendetwas über 1986 zum Besten geben, aber natürlich auch über 1998 und sein ganz persönliches Finale gegen Brasilien im Stade de France. "Ich hatte sechs Spiele gemacht und sollte nach der Pause kommen", erzählt er, "aber dann ist Desailly vom Platz gestellt worden, und der Trainer hat Dugarry gebracht. Ich dachte: Kann das sein, dass das so an dir vorbei zieht?" Aber nach dem 3:0 und der Freude seien diese Gedanken bald verschwunden.

Diesmal wird Henry, 28 inzwischen, sicher nicht auf der Bank sitzen, am Samstag gegen Brasilien. Er kennt sie ja fast alle aus den Spielen der Champions League, Kaka, Dida, Ze Roberto, Ronaldo, Emerson, "ich glaube ich habe schon gegen die ganze Mannschaft gespielt", sagt er.

Trotzdem sei da "eine gewisse Aufgeregtheit, denn wir wissen alle: Die haben fünf Sterne auf dem Trikot." Nervös am Daumen lutschen wird Thierry Henry diesmal aber eher nicht.

© SZ vom 30.6.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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