Frankreich - Irland:Die Hand des Froschs ist wieder da

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Mit einem Handspiel brachte Thierry Henry die Iren um die WM in Südafrika. Im EM-Achtelfinale treffen sie die Franzosen nun zum ersten Mal wieder.

Von Claudio Catuogno, Paris

William Gallas dachte damals zunächst, er habe ein ganz normales Tor erzielt. Soweit man es eben "normal" nennen kann, wenn man seinem Land die Zugangsberechtigung zu einer Fußball-WM sichert, in der Verlängerung. Der 18. November 2009 im Stade de France, Relegations-Rückspiel gegen Irland, die 103. Minute. Der Ball kam von links über Thierry Henry, Gallas, damals Abwehrspieler beim FC Arsenal, drückte ihn mit dem Kopf über die Linie. Die Iren protestierten, ihr Trainer Giovanni Trapattoni fuchtelte an der Außenlinie herum. Gallas war bald umringt von den Teamkollegen. Lassana Diarra tätschelte ihm liebevoll die Stirn.

Dass es eher ein Treffer war, der die Franzosen zur Handball-WM hätte bringen müssen anstatt zur Fußball-WM, das hat William Gallas erst später in der Kabine erfahren, wo die Szene längst in Endlosschleife lief: Arm Henry, Hand Henry, Kopf Gallas, das war die Geschichte des Tores, es war dann bald sehr still in der Kabine der Franzosen. Aber der Torschütze Gallas hatte immer noch bloß Südafrika im Kopf. Er dachte: "Umso besser für uns."

"La main de dieu", titelte die französische Sportzeitung L'Équipe am nächsten Morgen, "The Hand of Frog" stand auf der ersten Seite der Irish Sun. Frosch, so werden die Franzosen in Großbritannien und Irland abfällig genannt.

Irische Fans finden, man kann nicht oft genug daran erinnern, wie ihr Land bei dem Versuch scheiterte, sich für die WM 2010 zu qualifizieren. (Foto: Panoramic/imago)

Die Franzosen hatten das Hinspiel auswärts 1:0 gewonnen, aber im Rückspiel waren die Iren durch Robbie Keane 1:0 in Führung gegangen. Verlängerung also. Dann: Hand. Dann: Tor. 1:1. Das reichte. Den Franzosen sicherte die Hand Gottes das Ticket für die erste Weltmeisterschaft auf dem afrikanischen Kontinent. Den Iren bescherte die Hand des Frosches endlosen Schmerz und grenzenlose Empörung. Und fünf Millionen Euro von Sepp Blatter, wie man aber erst später erfuhr.

Seit diesem 18. November 2009 haben Franzosen und Iren nicht mehr gegeneinander gespielt. Nun treffen sie sich wieder, an diesem Sonntag (15 Uhr) in Lyon, zum Achtelfinale der Europameisterschaft.

Es schwirren immer eine Menge Fragen durch den Raum, wenn der Turniergastgeber in die K.o.-Runde startet, so nun auch bei der Elf von Didier Deschamps. Die Franzosen haben aus dem Spiel heraus noch keinen Gegentreffer kassiert - aber wird die neu formierte Innenverteidigung mit Adil Rami und Laurent Koscielny auch gegen stärkere Gegner als Rumänien, Albanien und die Schweiz bestehen können? Kaum ein Team kann im Angriff theoretisch so viel Wucht erzeugen - aber warum machen sich Paul Pogba und Antoine Griezmann oft so unsichtbar? Bisher war Frankreich schon sehr abhängig von den Kunstschüssen des Dimitri Payet - wie lange geht das gut?

Weil der Franzose Thierry Henry die Hand zur Hilfe nahm und so das entscheidende Tor vorbereitete, qualifizierte sich Irland nicht für die WM 2010. (Foto: AFP)

Aber all diese Ungewissheiten werden nun erst einmal überwölbt von den alten Geschichten. L'Équipe hat das Skandalspiel vom November 2009 am Freitagabend auf seinem TV-Kanal noch einmal ausgestrahlt. In voller Länge. Dazu noch ein "Frankreich-Irland Spezial".

Den Iren hingegen ist es gar nicht so recht, dass ihnen nun heftigste Rachegelüste zugeschrieben werden. "Nächste Frage", antwortete Robbie Keane nur knapp, als er auf 2009 angesprochen wurde. Der Abwehrspieler Stephen Ward sagte: "Das ist Vergangenheit. Ob ich an Rache denke? Nein, niemals." Dabei grinste er wie jemand, der an Rache denkt.

Was die Franzosen denken, weiß man nicht, sie schickten am Freitag nur den Co-Trainer Guy Stéphan in die Pressekonferenz im EM-Quartier in Clairefontaine, der das Thema nicht zu hoch hängen wollte. Tenor: Die Iren brauchen keine Revanche-Gelüste, um ein gefährlicher Gegner zu sein. "Sie zeichnen sich generell durch Kampfgeist aus."

Und gemessen daran, dass falsche Pfiffe schon allerhand Ungerechtigkeit über diverse Mannschaften gebracht haben, sind sie aus der Sache ordentlich rausgekommen. Sie forderten zunächst ein Wiederholungsspiel, der Weltverband Fifa schmettert den Antrag ab, weil der schwedische Schiedsrichter Martin Hansson eine Tatsachenentscheidung gefällt hatte. Dann drohten die Iren damit, sich zur WM zu klagen. Und dann war es plötzlich sehr still. Erst Jahre später hat John Delaney, damals wie heute der Chef des irischen Verbands FAI, im britischen Radio den Grund offenbart. Die Sache war damals über eine Art Schweigegeld geregelt worden. "Wir dachten, dass wir Anlass zu einer Klage gegen die Fifa haben", erklärte er. Aber dann sei es flott zu einer "Vereinbarung" gekommen: "Wir setzten uns donnerstags zusammen und hatten montags einen Deal. Damit war die Sache erledigt." Fünf Millionen Euro für ein übersehenes Handspiel.

Das passt zu der intransparenten Art, in der bei der Fifa in der Ära des Präsidenten Sepp Blatter in die Kasse gegriffen wurde. 2015 bestätigte die Fifa, man habe der FAI, um eine mögliche Klage endgültig abzuwehren, tatsächlich ein Darlehen über fünf Millionen gewährt - für einen Stadionbau in Irland. Hätte sich Irland für die WM 2014 in Brasilien qualifiziert, wäre die Rückzahlung fällig geworden; doch Irland blieb zu Hause. "Angesichts der finanziellen Situation der FAI hat die Fifa beschlossen, das Darlehen zum 31. Dezember 2014 abzuschreiben", hieß es damals in Zürich. Das wiederum dementierte die FAI. Die Zahlung sei ein Vergleich und kein Darlehen gewesen. "Vertraulichkeit war die einzige Bedingung dieser Regelung."

Für einen Fußballer, der um seinen Lebenstraum gebracht wird, sind fünf Millionen sowieso keine besondere Summe. William Gallas erwartet deshalb, dass durchaus noch Rechnungen offen sind. "Ich werde im Stadion sein", sagte der heute 38-Jährige L'Équipe. "Die Iren haben es nicht vergessen. Das wird heiß."

© SZ vom 25.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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