Frankreich:Der Anführer hilft aus der Patsche

Zinedine Zidane hat die Macht über Frankreichs Nationalelf übernommen - er hat sie nicht gewollt, sie wurde ihm aufgezwungen. Der Superstar bleibt trotzdem - oder gerade deshalb - bescheiden.

Von Ralf Itzel

Théo trug das blaue Trikot mit der Nummer zehn, als er den Papa besuchte. Die beiden älteren Brüder und Mutter Véronique waren in Coimbra natürlich auch dabei. Während die anderen französischen Nationalspieler nach dem Sieg gegen die Schweiz noch den Fans in der Kurve zuklatschten, war Zinédine Zidane schon zu den Liebsten auf die Tribünenseite gelaufen. Er nahm Théo in den Arm.

Frankreich: Hat dieser Tag gut Lachen: Zinedine Zidane

Hat dieser Tag gut Lachen: Zinedine Zidane

(Foto: Foto: AP)

Zwei Jahre ist der Knirps gerade alt geworden. Er kam drei Tage nach dem Champions-League-Finale zwischen Real Madrid und Bayer Leverkusen zur Welt. Der Vater hatte die Partie mit einem fantastischen Volleyschuss entschieden, reiste dann von Glasgow aus über Madrid nach Marseille zur Geburt, um drei weitere Tage später nach Asien zur WM weiter zu düsen, kreischenden Teenagern und dem Blitzlichtgewitter der Fotografen entgegen.

Zidane führt ein Leben zwischen zwei Polen. Der Familienmensch mag den Rummel nicht besonders. Kein Journalist, der ihn nicht vors Mikrofon bringen möchte, kein Fan, der sich nicht mit ihm ablichten lassen will. Trotzdem bleibt er immer ruhig, normal und soweit möglich verfügbar.

Wenn die Mannschaft dieser Tage mit dem Bus das Hotel in Santo Tirso erreicht, einem Städtchen zwischen Porto und Guimarães, geht Zidane immer die paar Schritte zur Absperrung zurück, wo die Anhänger warten. Keiner schreibt länger Autogramme als er. Er weiß um die Verantwortung und seinen Stellenwert. Zu Kopf gestiegen ist ihm der Status nie.

Selbst Beckham hat sein Trikot

"Seine Bescheidenheit ist echt", sagt Kollege und Freund Bixente Lizarazu, "genauso wie sein Respekt vor den anderen. Er ist eine Ikone und trotzdem gelingt es ihm, den Leuten gegenüber ein gutes Benehmen zu bewahren. Man kann sich die Erwartungen um ihn herum nicht vorstellen, den Druck, den er hervorruft und der ihn belastet. Das ist gar kein Druck mehr, das ist Unterdrückung, und das jeden Tag."

Am heutigen Freitag führt Zidane die französische Auswahl in Lissabon ins Viertelfinale gegen Griechenland. Es ist sein 14. Auftritt bei einer Europameisterschaft, neuer Rekord. Er hat alles gewonnen, und die meisten Kollegen halten ihn für den besten Fußballer der Welt. Nachdem er seine Elf neulich per Doppelschlag in den Schlussminuten zum Sieg gegen England geschossen hatte, bat ihn David Beckham trotz des Schocks um das Trikot.

Der Popstar des Fußballs weiß genau, dass seine eigene Popularität ungleich größer ist als seine Klasse auf dem Rasen. Bei Zidane halten sie sich die Waage. Beckham will sich das Hemd einrahmen lassen. "Ich habe es nur nicht unterschreiben lassen, weil es feucht war. Aber das hole ich in Madrid nach." Dort spielen sie gemeinsam bei Real. Spaniens Hauptstadt ist für die Zidanes zur Heimat geworden, sie bauen dort gerade ein Haus. Nach der Karriere soll Zinédine Botschafter des Klubs werden. Bis 2006 will er im Verein kicken.

Ob es in der Nationalmannschaft weitergeht, hat er noch nicht entschieden. Es ist seine fünfte Endrunde. Zur EM 96 kam er geschwächt von einem Autounfall, bei der WM in Korea machte er verletzt nur 90 Minuten mit. Immer wenn er in Form war, 1998 und 2000, gewannen die Franzosen. Auch diesmal ist er gut drauf. Aber Pirouetten für die Galerie kann er sich derzeit nicht leisten. Die Equipe spielt mäßig, Zidane muss ihr ständig aus der Patsche helfen. Das gesamte Gewicht lastet auf ihm. "Ich frage mich, ob er nicht zuviel macht", meint der frühere Abwehrchef Laurent Blanc, "oder machen die anderen zu wenig?"

Es langt nicht mehr, geniale Pässe zu verteilen. Er muss Tore schießen und die Mitspieler führen. Die Vollversammlung, die er an der Mittellinie einberief, als die Elf gegen Kroatien in Rückstand geraten war, wird eines der starken Bilder dieser EM bleiben. L`Equipe, die Bibel des Sports in Frankreich, druckte das Foto auf die Titelseite, auch in den Abendnachrichten des Fernsehen wurde die Szene vorangestellt. Es ist der Moment der Machtübernahme.

Eigentlich wollte Zidane nie der Boss sein. "Didier Deschamps ist der Chef", sagte er vor ein paar Jahren, "ihm gefällt es zu reden, zu schimpfen, anzutreiben. Er ist ein Anführer. Ich bin nur einer, der die anderen inspiriert." Deschamps ist nicht mehr dabei, Blanc auch nicht, Desailly sitzt auf der Bank, nun ist er dran. Bisher konnte er sich nur eine kleine Verschnaufpause gönnen, nachdem Henry die Franzosen durch seine beiden Tore gegen die Schweiz in Sicherheit brachte.

Berühmt seit 1998

Zidane war der erste Streich gelungen, per Kopfball nach einer kurzen Ecke. Fast eine Kopie des ersten von zwei Treffern, die er am 12. Juli 1998 im WM-Finale gegen Brasilien erzielte. An jenem Abend wurde er berühmt. Sein Konterfei erstrahlte auf dem Pariser Triumphbogen, dazu die Worte "Zidane président".

Vier Jahre zuvor hatte er zum erstenmal für Frankreich gespielt. Als 22-Jähriger wurde er in einem Test gegen die tschechische Republik eingewechselt und erzielte zwei Tore, was ihm nie zuvor gelungen war. Seine Eltern, Einwanderer aus Algerien, saßen damals in Bordeaux auf der Tribüne, genauso wie die junge Tänzerin Véronique, die ihm drei Söhne schenken sollte: Enzo, benannt nach seinem Idol, dem Uruguayer Enzo Francescoli, Luca und den kleinen Théo.

Jetzt, am Morgen nach dem 3:1 gegen die Schweiz, saß die gesamte Familie im Gras hinter dem Mannschaftshotel. Andere profitierten vom Kurzbesuch der Lieben für einen Spaziergang durch den Ort, Zidane blieb im abgesperrten Garten, um dem Tohuwabohu zu entgehen. Am Mittwoch ist er 32 Jahre alt geworden. Er sieht zäh aus, sehnig, austrainiert. Den Schädel hat er sich frisch rasieren lassen. Wie ein Legionär, der sich noch einmal aufmacht.

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