Frankfurter 1:0-Sieg:Der Geist von 99 lebt

Die Eintracht arbeitet im Abstiegskampf an einem Kraftakt, der an die Fjörtoft-Generation erinnert. Die Ausgangslage für die Hessen ist am letzten Spieltag besser als die von Werder Bremen.

Von Frank Hellmann, Frankfurt

Es war bislang in dieser Saison bei Eintracht Frankfurt noch nicht vorgekommen, dass Zeugwart Franco Lionti, Konditionstrainer Christian Kolodziej oder Sportdirektor Bruno Hübner beim Schlusspfiff ein Jubelknäuel bildeten, das mit erhobenen Fäusten auf der Tartanbahn im Kreis tanzte. Bei Abpfiff in der lärmenden Arena im Frankfurter Stadtwald brach der Jubel am Spielfeldrand wie auf den Rängen gleichermaßen heraus. "Wir haben mehr erreicht, als wir vor Wochen zu träumen gewagt hätten", konstatierte der um Fassung bemühte Vorstandschef Heribert Bruchhagen und fügte an, welche Auswirkungen der 1:0 (1:0)-Coup gegen Borussia Dortmund hat. "Im schlechtesten Fall haben wir die Relegation." Das Horrorszenario des Direktabstiegs ist mit dem dritten Sieg in Serie nur noch theoretischer Natur.

Dass auch der mit einem spärlichen Blumenstrauß und einer nicht sehr gelungenen Dankesrede von Präsident Peter Fischer verabschiedete Boss strahlte, war einer Willensleistung geschuldet, die Cheftrainer Niko Kovac treffend zusammenfasste: "90 Minuten Leidenschaft und das Glück auf unserer Seite." Der in Berlin geborene Kroate hat seine Mannschaft in einen Kampfmodus versetzt, der auch im Verein und im Umfeld den Glauben an den Klassenerhalt zurückgebracht hat.

Die Hessen, die im Frühjahr jedes Thesenpapier gegengezeichnet hätte, wenn ihnen im letzten Spiel bei SV Werder eine Minimalchance auf die Rettung geblieben wäre, haben sich nun sogar die bessere Ausgangslage erarbeitet. Ein Remis reicht, um "über dem Strich zu bleiben" (Kovac). Wobei der Coach ankündigte, im Weserstadion keine Hinhaltetaktik anzuwenden. "Wenn wir drin bleiben wollen, gehen wir am besten in Führung und gewinnen."

So wie gegen die Borussia, die allerdings am Samstag nie ihren eigenen Ansprüchen gerecht wurde. "Wir haben uns schwer getan, Tempo und Räume zu finden. Und dann haben wir die Standards schlampig verteidigt", kritisierte BVB-Trainer Thomas Tuchel. Die Strafe folgte früh, als nach einer kurz ausgeführten Ecke der Japaner Makoto Hasebe flankte und Rechtsaußen Stefan Aigner einen kunstvollen Kopfball ansetzte, der unerreichbar in der langen Ecke landete (14.). Diesen knappen Vorsprung verteidigte die Heimelf bis in die Nachspielzeit. "Ich hätte nicht gedacht, dass dieses Bollwerk hält", räumte Bruchhagen ein.

"Wir haben uns das Herz herausgekämpft"

Die Frankfurter hatten aber auch Glück, als etwa Schiedsrichter Daniel Siebert mit seinem Gespann einem Kopfballtreffer von Kapitän Mats Hummels zu Unrecht wegen Abseits die Anerkennung verweigerte (45.); andererseits zeigten sie auch Können, etwa als Keeper Lukas Hradecky einen Hummels-Kopfball noch an Latte und Pfosten lenkte (47.). Der finnische Schlussmann lieferte zur Parade den Spruch des Tages: "Wir haben uns das Herz herausgekämpft." Der Charakterkopf wies nebenbei noch auf einen weiteren interessanten Aspekt hin: Drei Mannschaftsabende - den ersten hatten vor drei Wochen Aigner und Haris Seferovic initiiert - hätten die Spieler jeweils mittwochs unter sich abgehalten, "jetzt müssen wir uns wohl am Mittwoch noch einmal treffen".

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Auch das Statement von Abwehrchef Marco Russ, der diesmal in einer Fünferkette verteidigte, ließ auf eine neue Geschlossenheit schließen, die es unter Kovac-Vorgänger Armin Veh in dieser Form nicht gab. "So eine willensstarke Abwehrleistung bekommt man nur hin, wenn alle mitmachen. Jetzt wollen mit allem, was wir haben, den Nicht-Abstiegsplatz verteidigen." Und mit aufgerissenen Augen mahnte der Ersatzkapitän an: "Wenn wir nur ein halbes Prozent nachlassen, geht es schief."

Doch danach sieht es nicht aus: Niko Kovac hat im Verbund mit seinem zwei Jahre jüngeren Bruder diesem Ensemble wieder Wehrhaftigkeit und Widerspenstigkeit eingeimpft. "Von zehn Spielen gegen den BVB gewinnen wir maximal eins - und das ist jetzt passiert", bemerkte der 44-Jährige zufrieden. Dass seinen Profis im Eintracht-Museum kürzlich die Bilder von 1999 gezeigt wurden, als mit vier finalen Siegen noch die unverhoffte Rettung gelungen war, habe geholfen, die aktuelle Generation zu sensibilisieren und zu motivieren, erklärte Kovac. "Nun wandeln wir auf den Spuren der 99er!"

Selbst der nicht für euphorische Betrachtungsweisen bekannte Bruchhagen glaubt fest daran, dass es am 14. Mai 2016 ein Happy End wie einst vor 17 Jahren nach dem letzten Übersteiger von Jan-Aage Fjörtoft geben kann. Vor dem Gehen verabschiedete sich der 67-Jährige mit einem verschmitzten Grinsen von Journalisten: "Ich hoffe, dass wir uns diese Saison hier nicht wieder sehen." Relegation sollen bitte die anderen spielen.

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