Frankfurter Erfolgssaison:Gegenentwurf zu Okocha

Die Frankfurter Eintracht pflegt einen Stil, der nicht immer schön anzusehen, aber extrem erfolgreich ist. Schon blühen Europapokal-Träume.

Von Frank Hellmann, Frankfurt

Es entsteht immer noch ein Hauch von Fußball-Folklore, wenn Jay-Jay Okocha in Frankfurt auftritt. Und wenn er ein schwarz-weiß gestreiftes Eintracht-Trikot unters dunkle Sakko anzieht und höflich vor der Fankurve die graue Mütze lüftet, dann schlägt ihm auch heute ein Begeisterungssturm entgegen. Die Erinnerungen an die Zeit in den 1990ern, als Eintracht Frankfurt den "Fußball 2000" zelebrierte, werden eben mit diesem unberechenbaren Nigerianer verknüpft, der damals als unbekannter Novize, von Borussia Neunkirchen kommend, die Herzen der Bundesliga im Sturm eroberte. Ihn vor dem Verfolgertreffen gegen Borussia Dortmund zur Einstimmung zu präsentieren, war keine schlechte Idee. Okocha hatte sich via Stadionmikrofon einen Heimsieg der Hessen gewünscht - und sein Wunsch sollte nach einem mitreißenden Kampf tatsächlich Wirklichkeit werden. Hinterher standen nun Timothy Chandler, Bastian Oczipka, Jesus Vallejo, Alexander Meier und Haris Seferovic vor der feiernden Anhängerschaft. Und ein jeder erzählte gerne die Geschichte, wie ihn dieser schwer erkämpfte 2:1-Erfolg aufgewühlt hatte.

"Das war wieder ganz besonders emotional, denn wir haben uns das verdient", erklärte der furiose Rechtsverteidiger Chandler, der noch besser spielt als zu seinen besten Nürnberger Zeiten. "Wir haben gesehen, wie schnell es gehen kann. Vor drei, vier Jahren sind wir so in den Europapokal gekommen", erinnerte der selbstbewusste Linksverteidiger Oczipka, der so konstant auftritt wie selten in seiner Karriere. Und zu einem wahren Redeschwall setzte der junge Spanier Vallejo an, der eines der besten Leihgeschäfte ist, die im Sommer in der Bundesliga abgeschlossen wurden. "Wir holen jedes Spiel alles aus uns raus - das ist bei uns nicht verhandelbar", verriet der elegante Verteidiger.

Frankfurter Erfolgssaison: Frankfurter Siegtorschütze: Gerade als Dortmund ausgleicht, schlägt Haris Seferovic (l.) mit dem 2:1 postwendend zurück.

Frankfurter Siegtorschütze: Gerade als Dortmund ausgleicht, schlägt Haris Seferovic (l.) mit dem 2:1 postwendend zurück.

(Foto: Michael Probst/AP)

Trainer Kovac mahnt: "Alle müssen vernünftig bleiben und nicht anfangen zu fliegen."

Und dann war da ja auch noch die Eintracht-Ikone Meier, der im knochentrockenen Tonfall festhielt: "Fußball haben wir schon besser gespielt, aber einen Gegner wie Dortmund muss man erstmal schlagen." Für den Routinier, der nach 71 Minuten das Feld räumte, waren "Einstellung und Engagement" der Schlüssel zum Sieg. Ohne den für ihn eingewechselten Seferovic hätten die Hessen indes auch nicht gewonnen: Der Schweizer Nationalspieler, zu Zeiten eines Armin Veh mit dem Stempel schwer bis gar nicht erziehbar versehen, erzielte mit einem trockenen Flachschuss in Meier-Manier den Siegtreffer (79.). 66 Sekunden zuvor hatte Pierre-Emerick Aubameyang die Frankfurter Führung durch Szabolcs Huszti (46.) ausgeglichen. Erstaunlich, dass der gerne mal zum Egotrip neigende Siegtorschütze artig anmerkte: "Wenn das Team weiter so punktet, sitze ich gerne auf der Bank und versuche so zu helfen."

Dass Seferovic sich so handzahm gibt, erzählen viele bei der Eintracht, ist eines von ganz vielen Verdiensten, für die Niko Kovac steht. Der Frankfurter Trainer hat es geschafft, alle Eigenschaften, die ihn einst zum angesehenen Bundesligaprofi haben werden lassen, auf seine Mannschaft zu übertragen. So versessen und verbissen, willens- und kampfstark wirkt die Eintracht-Elf. "Ich bin glücklich und stolz", sagte der 45-Jährige hinterher, "aber dafür arbeiten wir auch hart." Nur mit zu viel Partystimmung sollte dem in Berlin geborenen Kroaten keiner kommen: "Ich bin Realist, alle träumen - ich nicht. Ich will das nicht überbewerten. Alle müssen vernünftig bleiben und nicht anfangen zu fliegen."

Eintracht Frankfurt - Borussia Dortmund

Beliebter Gast: Der ehemalige Eintracht-Spieler Jay-Jay Okocha besuchte die Partie der Frankfurter gegen Dortmund.

(Foto: Ronald Wittek/dpa)

Frankfurt ist so gut wie nie seit Einführung der Drei-Punkte-Regel

Sportvorstand Fredi Bobic unterstützte ihn dabei eher halbherzig. "Tabelle? Ich schaue nur auf die Punkte, das ist wichtiger. Und wenn ich die Punkte sehe, ist das absolut überragend." Noch nie hatte die Eintracht seit der Einführung der Drei-Punkte-Regel 1995 zu diesem Zeitpunkt mehr Zähler auf dem Konto als derzeit (24). "Das ist schon cool ", meinte der selig lächelnde Bobic, der jedoch weit davon entfernt ist, offiziell neue Ziele auszugeben. 40 Punkte bleiben die magische Marke.

Die beiden Eintracht-Baumeister haben allerdings ein wehrhaftes Ensemble zusammengestellt, das daheim nicht zufällig schon Schalke, Leverkusen, Köln und nun Dortmund bezwungen, und gegen Berlin und Bayern unentschieden gespielt hat. Körpersprache und Körperlichkeit sind ausgesprochen ausgeprägt - und Faustpfand eines Teams, das gegenüber der vergangenen Spielzeit nicht wiederzuerkennen ist. Das Erkennungsmerkmal der Kovac-Elf stellt den Gegenentwurf jener Eigenschaften dar, die Okocha mal verkörperte. Aber ein Nachteil muss das nicht sein. Im Gegenteil. Seine Generation um Yeboah, Stein und Bein blieb gerade deshalb immer titellos, weil ihr genau diese Qualitäten abgingen.

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