Frankfurt:Ohne Taschentuch und Luftpumpe

Frankfurt: Voll im Fokus: Niko Kovač, der bald scheidende Trainer von Eintracht Frankfurt, vor der deutlichen Niederlage in Leverkusen.

Voll im Fokus: Niko Kovač, der bald scheidende Trainer von Eintracht Frankfurt, vor der deutlichen Niederlage in Leverkusen.

(Foto: Martin Meissner/AP)

Im Reizklima des Trainer-Wechsels kassiert die Eintracht beim Schlüsselspiel in Leverkusen die höchste Saisonniederlage.

Von Ulrich Hartmann, Leverkusen

Niko Kovac hat ein reines Gewissen. Das war ihm wichtig zu betonen nach der Saisonniederlage mit den meisten Gegentoren. 44 Stunden nach der umstrittenen Bekanntgabe seines Sommerwechsels zum FC Bayern erlitt Eintracht Frankfurt in Leverkusen einen späten Zusammenbruch und erlaubte dem Bayer-Stürmer Kevin Volland in den letzten 19 Spielminuten einen Hattrick. 4:1 hieß es am Ende. "Mein Seelenleben ist in Ordnung", betonte Kovac danach, aber man sah seiner Miene und den Gesichtern verschiedener Eintracht-Funktionäre an, dass in Frankfurt dicke Luft herrscht.

Der Sportvorstand Fredi Bobic gestand: "Das Verhältnis ist jetzt vielleicht ein bisschen getrübt." Der Torwart Lukas Hradecky antwortete auf die Frage, ob die Mannschaft vom Kovac-Wechsel unbeeindruckt sei: "Soll ich lügen?" Und das Frankfurter Vorstandsmitglied Axel Hellmann beschied vielsagend: "Zu diesem Thema äußere ich mich nicht."

Kovac sofort ablösen? - "Absolut respektlos, so etwas zu fragen!"

Solche Statements rufen Fragen auf, zum Beispiel jene, ob der bald abtrünnige Kovac vor den letzten vier Ligaspielen im Kampf um eine Europapokal-Teilnahme und vor dem wichtigen Halbfinale im DFB-Pokal am Mittwoch beim FC Schalke noch der richtige Trainer ist. Es war also weder provokant noch respektlos, dass Bobic nach dem Spiel in Leverkusen gefragt wurde, ob man sich sicher sei, die Saison mit Kovac zu Ende zu spielen. Bobic hätte "Ja" oder "Nein" sagen können oder auch "Weiß nicht", aber er verweigerte eine Antwort mit dem Hinweis: "Es ist absolut respektlos, so etwas zu fragen."

Acht Monate lang haben die Frankfurter ihre beste Saison seit fünf Jahren hingelegt, aber es hat nur 44 Stunden gebraucht, um die daraus gewonnene Euphorie wieder zu verlieren. Am vergangenen Donnerstag gegen 21.30 Uhr war bekannt geworden, dass Kovac nach München wechselt, am Samstag gegen 17.25 Uhr wurde beim Stand von 1:4 in Leverkusen abgepfiffen.

Die Champions-League-Chance ist damit für Frankfurt so gut wie dahin, in Pokal und Bundesliga drohen weitere Enttäuschungen. "Schwierige Situation", raunte ein Mann mit Mikrofon Fredi Bobic zu - und traf damit einen Nerv, denn Bobic flüchtete sich in Zynismus: "Wir müssen nicht gleich heulen", alberte er mit wütend aussehenden Augen, "mir kommt's vor, als bräuchten wir Taschentücher."

Bobic wollte keine Träne verdrücken, lieber stand er feixend im Keller des Leverkusener Stadions. Hinter ihm schlichen die Frankfurter Fußballer in die Kabine. Auf ihren Trikots stand unter dem Schriftzug des Hauptsponsors in kleineren Buchstaben: "Jobs finden!" Darum geht es im Geschäft des Sponsors, aber Kovac brauchte kein Internetformular auszufüllen, um den nächsten Schritt auf der Karriereleiter zu machen. Er hat sich entschieden, Frankfurt nach zwei Jahren zu verlassen, was die Eintracht vor allem insofern ärgert, als dies vor den entscheidenden sechs Saisonspielen bekannt geworden ist. Im ersten dieser Spiele gab es einen herben Dämpfer.

Während Bobic mit den Münchner Funktionären Hoeneß, Rummenigge und Salihamidzic fernmündlich darüber stritt, in welchem Klub das Leck zu suchen sei, durch das die Info über den Trainerwechsel bereits am Donnerstag öffentlich wurde, kämpften die Frankfurter Spieler in Leverkusen um ihre Stabilität. Und die verloren sie nach 70 weitgehend soliden Minuten schlagartig. Zwischen der 71. und der 88. Minute gestatteten sie Volland in dessen 183. Bundesligaspiel den ersten Karriere-Hattrick - und Leverkusen den zweiten 4:1-Schlüsselsieg nacheinander (nach dem in Leipzig). Während Bayer in der entscheidenden Saisonphase massiv Selbstvertrauen aufbaut, geht den Frankfurtern möglicherweise die Energie aus.

Sie hoffen aber, dass sie auch ohne Luftpumpe noch ins Ziel kommen: "Ich habe in der Mannschaft keine Anzeichen dafür gesehen, dass sie sich hängen lässt", sagte Vorstand Hellmann, "und zur Mannschaft gehört nun mal auch der Trainer." Hellmann und Bobic waren bemüht, die Höhe der Niederlage an der Leverkusener Qualität festzumachen: "Sie ist ein bisschen hoch, aber absolut verdient", fand Bobic, "das muss man akzeptieren, und das hat nichts mit unserer Situation zu tun, das wäre wirklich ein Alibi."

Die letzten Heimspiele gewinnen, dann ist die Europa League sicher

Die Europa League haben die Frankfurter ja trotzdem so gut wie sicher. Entweder sie gewinnen den Pokal und qualifizieren sich so für den kontinentalen Wettbewerb - oder einer der drei anderen Halbfinalisten holt den Pokal, spielt jedoch wegen der Tabellensituation in der Champions League und tritt seinen Europa-League-Platz an den Bundesliga-Siebten ab. Auf den Achten Gladbach hat Frankfurt sechs Punkte Vorsprung, das führt zu einfacher Mathematik: "Wir müssen unsere beiden letzten Heimspiele gewinnen", sagt Hellmann, "wir haben keine Angst, am Ende Achter zu werden."

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