Formel 1:Zurück auf Crashkurs

Der Nichtangriffspakt zwischen den beiden Mercedes-Fahrern Nico Rosberg und Lewis Hamilton endet mit einem mächtigen Knall, auf den viel Knatsch folgt.

Von E. Brümmer, Barcelona

Einem Mercedes-Vorstandsmitglied das Sch-Wort an den Lippen ablesen zu können, das sagt schon einiges aus über das, was da beim Europa-Auftakt der Formel 1 passiert ist. Wenn nach nur drei Kurven in einem 66 Runden langen Grand Prix die beiden Führenden Nico Rosberg und Lewis Hamilton im Kiesbett stehen, weil sie sich gegenseitig aus dem Rennen gekegelt haben, dann lässt sich das aber auch kaum treffender ausdrücken, als es Augenzeuge Thomas Weber, der als Entwicklungschef in Stuttgart-Untertürkheim auch für die Motorsportmannschaft verantwortlich ist, in der Boxengarage tat. Daimler-Boss Dieter Zetsche trat noch vor der Krisensitzung am Circuit de Catalunya die Heimreise an, mit den Worten: "Wir lassen die beiden frei gegeneinander fahren, ein Unfall ist das Einzige, was sie vermeiden müssen - jetzt ist es passiert." Und wie.

Zum zweiten Mal nach Spa im Spätsommer 2014, wo Rosberg der Unfallverursacher war. Seither war das Gentlemen's Agreement, sich unter Teamkollegen nicht über Gebühr zu attackieren, eingehalten worden. Natürlich bröckelte es immer wieder mal, das liegt in der Natur des Motorsports und der beteiligten Charaktere. Meistens hatte Rosberg nachgegeben, zuletzt bei Hamiltons vorzeitigem Titelgewinn im vergangenem Jahr in Austin. Seither hat sich der Wiesbadener verändert, nicht nur, weil er sieben Rennen in Serie gewinnen konnte. Rosberg ist nicht mehr bereit nachzugeben. Deshalb passen die Geschehnisse von Barcelona ins Bild und führen dazu, dass sich beim Weltmeisterrennstall mehr denn je die Vertrauensfrage stellt. Denn Hamilton versucht nach den technischen Problemen in den ersten Rennen jetzt mit der Macht der Verzweiflung, die Chance auf den Titelgewinn aufrechtzuerhalten. Diese Ansichten und Fahrweisen prallten vor Kurve vier aufeinander.

17 Minuten lang, während Max Verstappen auf der Piste schon auf dem Weg zu seinem Triumph war, diskutierten die Fahrer, die Rennstallchefs Toto Wolff und Paddy Lowe, Vorstand Weber und Teamaufsichtsrat Niki Lauda die Video- und Datenaufzeichnungen. Sehr kontrovers offenbar.

Passiert war das: Rosberg hatte vor der ersten Kurve den Windschatten Hamiltons perfekt genutzt und war außen in Führung gegangen. Nach der dritten Kurve aber waren beide wieder gleichauf, zwischen den beiden Silberpfeilen herrschte plötzlich ein gewaltiger Geschwindigkeitsunterschied. Der rührte daher, dass sich Rosbergs Motor in einem falschen Modus befand, und deshalb mehr als 100 PS an Leistung verlor. Alles Hantieren am Lenkrad nutzte da nichts, es handelte sich wohl um ein Softwareproblem. Jedenfalls tat sich vor Hamilton eine Lücke auf, in die er von innen stoßen wollte, schon mit zwei Rädern auf dem Grünstreifen. Das verhinderte Rosberg durch einen Schlenker nach innen, im Rennfahrerjargon "Tür zumachen" genannt, worauf Hamilton auf dem Gras die Kontrolle über sein Auto verlor, in Rosbergs Wagen krachte und beide von der Strecke kreiselten.

Lewis Hamilton, der von Niki Lauda spontan als Übeltäter gegeißelt wurde ("Inakzeptabel, sich von der Strecke zu rammen"), entschuldigte sich umgehend - allerdings nur beim Team, nicht bei Rosberg. Die Streckenkommissare entscheiden später auf einen normalen Renn- zwischenfall. Mit dem salomonischen Spruch kann sich auch Teamchef Toto Wolff anfreunden: "Wir sind in einer schwierigen Situation für das Team, da ist nicht einem die Schuld zuzuschieben."

Dennoch will er auch künftig keine Stallorder verhängen: "Es waren unglückliche Umstände. Ich glaube, das ist eine weitere Möglichkeit für uns zu zeigen, dass wir als Team schwierige Situationen hinter uns lassen können." Die britischen Zeitungen brachten das etwas weniger zurückhaltend auf den Punkt: "Es herrscht wieder Krieg", hieß dort der Tenor.

Zugeben ist das eine, einsehen das andere. Mimik und Gestik der beiden Gegenspieler weisen schon in Barcelona auf diesen entscheidenden Unterschied hin. Es ist anzunehmen, das vor dem nächsten Rennen am 29. Mai, ausgerechnet im ohnehin unfallträchtigen Monte Carlo, eine weitere Aussprache folgen wird. Schon in der Winterpause hatte Toto Wolff mit personellen Konsequenzen gedroht, falls die schlechte Stimmung zwischen den beiden aufs ganze Team übergreifen und die gemeinsamen Ziele gefährden würde. In Barcelona war die erhöhte Spannung schon samstags zu spüren, als Hamilton die Rennwageneinstellungen von Rosberg übernommen und ihn damit im Kampf um die Poleposition geschlagen hatte.

Die Ausgangslage hat sich sogar noch verschärft, denn Rosberg kann mit seinen 43 Punkten Vorsprung den Ausfall tendenziell besser verkraften, auch wenn er am Sonntag befand, dass er sich nach dem Vorfall "zerstört" fühle. Teamchef Toto Wolff will öffentlich nicht beurteilen, ob das generell schwierige Verhältnis zwischen seinen Chauffeuren Crash-entscheidend war: "Im Unterbewusstsein vielleicht. Aber ich bin nicht Dr. Freud."

Die Aussagen der beiden zeigen jedoch, wie gewaltig der Haussegen schon wieder schief hängt. Rosberg: "Ich habe Lewis früh genug und klar angedeutet, dass Überholen da keinen Sinn macht." Hamilton: "Zu dem Zeitpunkt gab es kein Zurück mehr für mich."

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