Formel 1:"Wir haben Ferrari ordentlich eins ausgewischt"

Canadian F1 Grand Prix

Der Sieger von Montreal: Lewis Hamilton

(Foto: AFP)
  • Mercedes hat sich also mit einer eindrucksvollen Mannschaftsleistung zurückgemeldet.
  • "Ich habe das Team nie so entschlossen gesehen": Montreal-Sieger Lewis Hamilton lobt den Einsatz der Techniker.
  • Das Duell mit Ferrari ist nun wieder offen.

Von Elmar Brümmer, Montreal

Vor der abreisefertigen Kiste mit der Nummer 44 im Fahrerlager am Circuit de Gilles Villeneuve steht weder der Siegerpokal noch eine Magnumflasche Champagner, jene Requisiten, die Lewis Hamilton nach seinem sechsten Sieg in zehn Formel-1-Jahren beim Großen Preis von Kanada zugestanden hätten. Stattdessen hält ein Feuerlöscher einsam Wacht vor dem silbernen Container, aber auch dieser ist ein Symbol: Die brenzlige Situation, in der sich das Mercedes-Team befunden hat, ist nach einem eindrucksvollen Einsatz fürs Erste unter Kontrolle.

Anderthalb Stunden nach der Zieldurchfahrt hält der Gewinner des siebten WM-Laufs immer noch Hof. Er klettert den Zaun an der Boxenmauer hoch, um die Huldigungen von ein paar Hundert Fans entgegenzunehmen, die meisten haben purpurne Rapper-Kappen auf. Momente wie diese laden die mentale Energie des Mercedes-Piloten wieder auf, nach all den Anstrengungen und außergewöhnlichen Leistungen, die ihm bei einem Rennen abverlangt werden.

Allerdings war der Sonntag in Montreal gar nicht so kraftraubend. Mit seinem vielleicht besten Start in dieser Saison auf einer der schwierigsten Strecken und unter enormen Erfolgsdruck war Hamilton uneinholbar, 20 Sekunden betrug nach 70 Runden sein Vorsprung auf den Teamkollegen Valtteri Bottas. Der erste Doppelerfolg für Mercedes in einer bislang hauptsächlich von Ferrari dominierten Saison, das war ein Befreiungsschlag. "Ich habe Lewis noch nie so stark fahren sehen in den letzten vier Jahren", gestand Mercedes-Teamchef Toto Wolff.

In der Konstrukteurs-Weltmeisterschaft, dem Indikator für die technische Gesamtform, hat Mercedes wieder die Führung vor Ferrari übernommen. Deren Vertreter Sebastian Vettel und Kimi Räikkönen waren nach ihren Zeitlupenstarts nur auf die Plätze vier und sieben gekommen. Trotz einer silber-rot gemischten Startaufstellung in den ersten beiden Reihen war es nicht der erwartete Zweikampf geworden. Und trotzdem ging das Duell weiter. So wie Lewis Hamilton souverän seine Kontrollfunktion an der Spitze ausübte, kämpfte sich Vettel nach dem zu späten Wechsel des beschädigten Frontflügels beherzt von ganz hinten zurück nach vorne.

Der Führende verfolgte das recht entspannt, indem er regelmäßig in Kurve zehn auf die Leinwand blickte. Für den dritten Platz, rechnete der Heppenheimer Vettel später nach, hätte ihm nur eine Runde gefehlt, daher verpasste er erstmals in dieser Saison das Podium. Dennoch ist der vierte Rang, den er auch seinem Risikobewusstsein im Kampf mit den beiden hitzigen Force-India-Piloten Esteban Ocon und Sergio Perez zu verdanken hat, die beste Schadensbegrenzung für seine WM-Hoffnungen. Um jedes Pünktchen muss gekämpft werden, auch wenn er in der Fahrerwertung bei Sieggleichstand noch zwölf Zähler Vorsprung hat. Auf die Frage, ob er die direkte Auseinandersetzung mit seinem Titelrivalen vermisst habe, kommt ein ebenso spontanes wie scharfes: "No!"

"Wir haben wieder ein Auto wie es sein sollte"

Mercedes hat sich also mit einer eindrucksvollen Mannschaftsleistung zurückgemeldet, und Lewis Hamilton dankte seinem Team und den Ingenieuren gleich mehrmals für die erfolgreiche Suche nach der optimalen Fahrzeugabstimmung. Dies war nicht nur eine Floskel, sondern der Hinweis auf eine Erfolgsformel: "Ich habe das Team in den fünf Jahren, die ich hier bin, noch nie so entschlossen in eine gemeinsame Richtung arbeiten sehen. Wir haben wieder ein Auto wie es sein sollte, die Leistung abgeliefert und Ferrari damit ordentlich eins ausgewischt."

Die Achterbahnfahrt der ersten Saison-Wochen wähnt Hamilton nun hinter sich

In der Tat hat Mercedes seine Fähigkeit unterstrichen, unter großem öffentlichem Druck unaufgeregt und konzentriert zu reagieren. Dieser Vorzug kann in dem gerade begonnenen Entwicklungsrennen für die weitere Saison noch entscheidend werden. Es handelt sich dabei nahezu um das Spiegelbild dessen, was Ferrari in der vergangenen Saison geschafft hatte. Mit nüchterner Herangehensweise hatten die Italiener die Umkehr geschafft, von der erfolglosen letzten hin zu dieser erstklassigen Saison. "Wir sind wieder beruhigt, dass wir eins draufsetzen können", sagt Mercedes-Teamaufsichtsrat Niki Lauda, wenngleich Konterpart Wolff noch etwas skeptischer klingt: "Es gibt noch ein paar Punkte, die wir begreifen müssen." Hamilton gibt sich nach der Lernphase ebenfalls optimistisch: "Ich bin ganz froh, dass die Probleme so früh in der Saison aufgetreten sind und wir daraus lernen konnten. Wir wissen nun, in welche Richtung es gehen muss. Das sollte uns von jetzt an in eine stärkere Position bringen." Die Sorgfalt seiner Mannschaft, hofft der Rennsieger, werde ihn vor einer weiteren Achterbahnfahrt bewahren.

Die Auseinandersetzungen Vettel gegen Hamilton und Ferrari gegen Mercedes unterliegen Pendelausschlägen, verursacht durch Reifen, Streckencharakteristik und Tagesform. In der Qualifikation am Samstag lagen zwischenzeitlich nur vier Tausendstelsekunden zwischen den Konkurrenten. Eindeutige Prognosen, zum Beispiel für den Großen Preis von Aserbaidschan am übernächsten Wochenende, fallen selbst Insidern schwer. Der dritte Straßenkurs nacheinander verspricht eine Fortsetzung des Schlagabtauschs, was den leicht unzufriedenen Vettel zumindest in Kalauerlaune bringt.

Ob es nun weiter so hin und her geht? "Das kommt darauf an, was hier war: Her und hin? Dann wird es dementsprechend dort wieder hin und her gehen."

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