Formel 1:Die neue Stärke der Silberpfeile

F1 Grand Prix of Great Britain

Lewis Hamilton könnte nun auch in der WM-Wertung an Sebastian Vettel vorbeiziehen.

(Foto: Getty Images)
  • Der Sieg von Lewis Hamilton in Silverstone zeigt die aktuelle Dominanz von Mercedes in der Formel 1.
  • Ferrari arbeitet noch die Reifen-Schäden auf, die Sebastian Vettel weit zurückwarfen.
  • Hamilton kontert zudem seine Kritiker, die ihm eine unprofessionelle Vorbereitung vorwarfen.

Von Elmar Brümmer, Silverstone

Der Tag, der vielleicht die Wende in der Formel-1-Weltmeisterschaft bringt, beginnt für Lewis Hamilton indirekt mit dem Handy. Ein paar Stunden vor dem Großen Preis von Großbritannien, den er dominieren wird wie schon lange kein anderer Fahrer vor ihm, startet der Verkauf einer App, die sich Hamoji nennt. Diese bietet kleine, nette Piktogramme, die Hamiltons Gesicht mit allen möglichen Kopfbedeckungen zeigen, Repliken seiner Tattoos, Zitate seiner Sprüche, Zeichnungen seiner Hunde sowie andere Utensilien, die ein Star wie Hamilton halt benötigt. Darunter befindet sich auch eine Kokosnuss, aus der ein Strohhalm ragt: eine Anspielung auf die Vorwürfe, er habe vor dem Rennen zu viel Party auf Mykonos gefeiert.

Nach dem Rennen allerdings hätte am liebsten das ganze Land Party gemacht mit dem Rennfahrer, der jetzt bis auf einen Punkt an den deutschen WM-Spitzenreiter Sebastian Vettel herangekommen ist. Hamilton genoss das Ergebnis und die Euphorie, schwang sich in einen Hubschrauber, nahm den Steuerknüppel in die Hand und schwebte in London ein. Das letzte Bild, das Hamilton ins Internet stellte, nachdem er seiner Mutter Grüße geschickt hatte und bevor die richtige Party begann, zeigte ihn, wie er in seinem silbernen Rennanzug steckte, sich in den Union Jack gehüllt hatte, und dabei bescheiden, vielleicht auch gerührt zu Boden blickte.

Die Lage in der Formel 1 ist nach diesem Rennen nicht mehr wie vorher: Es war der zweite Doppelerfolg von Mercedes in den vergangenen vier Rennen, Kimi Räikkönen und Sebastian Vettel trudelten auf den Plätzen drei und sieben gerade so ins Ziel. Die Reifen an den Ferraris hatten sich aufgelöst - und waren dann jeweils vorne links explodiert. Die direkte Anklage an den Reifenhersteller Pirelli wurde diplomatisch vermieden, eilig bemühte sich deren Manager darum, das Unerklärliche ergründen zu wollen. Mercedes-Teamchef Toto Wolff kann das Phänomen technisch nicht bewerten, aber emotional: "Wir haben Ferrari ans Extrem getrieben." Er redete über die Überbelastung der Gummis, könnte aber auch die Situation in der Weltmeisterschaft gemeint haben. Nach einer schwierigen Anfangsphase der Saison hat Mercedes die Fahrzeugabstimmung besser im Griff, Ferraris bislang so clevere Reifennutzung egalisiert. Zumindest auf der Vollgasstrecke von Silverstone.

Die Schäden an den Reifen von Räikkönen und Vettel waren unterschiedlich ausgeprägt. Verschleiß oder Ermüdung schließt Pirelli als Ursache aus. Vielleicht lag es an der Fahrwerkabstimmung oder einer zu aggressiven Fahrweise? Die Motorenleistung von Mercedes ist trotz des 15-PS-Upgrades von Ferrari weit stärker, besonders in der Qualifikation. "Da holen sie drei bis sechs Zehntelsekunden gegen uns auf den Geraden raus", sagt Sebastian Vettel, "das schaffen wir nicht. Wir arbeiten daran, aber das geht nicht über Nacht."

In der Konstrukteurs-WM steht es 330:275 für Mercedes. Seit Vettels letztem Sieg im Mai in Monte Carlo hat Hamilton 24 Punkte gutgemacht. Doch der Brite ist zu vorsichtig, von einer Trendwende zu sprechen: "Es gibt Strecken, auf denen Ferrari stark ist, und es gibt welche, auf denen wir es sind." Toto Wolff ist viel zu vorsichtig, um zu behaupten, sein Team stelle das schnellste Auto, aber der Österreicher genießt nach reichlich Pech zumindest ein bisschen die Situation: "Ich finde, das haben wir uns verdient. Das war wahrscheinlich das beste Rennen, seit ich vor vier Jahren zu Mercedes gekommen bin", sagt er.

Dass Valtteri Bottas von Startplatz neun aus Zweiter wurde, hat Ferrari fast noch deutlicher als Hamiltons Start-Ziel-Sieg vorgeführt, wie stark Mercedes geworden ist. Bereits über die Gesamtwertung zu sprechen, ist bei noch zu vergebenden 250 Punkten verpönt bei Mercedes. Über die Kritik an Hamiltons Vorbereitung dagegen nicht: "Es war die richtige Antwort an seine Kritiker, und ich verstehe immer noch nicht, wie man so mit einem britischen Helden umgehen konnte", sagt Wolff, "aber vermutlich hat ihn das noch entschlossener gemacht, seinen Fans zu zeigen, zu was er fähig ist."

Das Bad in der Menge hat Hamilton entweder nachdenklich werden lassen, oder er hat das Erfolgserlebnis geschickt zum Poker genutzt. Die Frage, wie es nach Ende der Saison weitergehe mit ihm, ließ der 32-Jährige offen. Er hat als einziger der Top-Piloten einen Vertrag für 2018, offenbar aber mit einer Ausstiegsklausel. "Ich kann nicht sagen, was in sechs Monaten ist, aber ich weiß, dass ich das Rennfahren liebe. Im Moment fahre ich besser als je zuvor, und ich möchte, dass das so bleibt." Im Poker um die Cockpits, der besonders Bottas betrifft, geht es eher um 2019 und 2020 - und wer dann für Ferrari fährt. Hamilton wird nachgesagt, dass er dort seine Karriere krönen möchte, Vettel vielleicht noch einmal zu Mercedes kommen könnte.

Die pointierte Frage eines Reporters, ob er sich auf das Rennen in zwei Wochen in Ungarn vielleicht in Disneyland vorbereiten wolle, nutzte Hamilton für eine pointierte Antwort: "Ich glaube, es gibt keinen Grund, meine Vorbereitung infrage zu stellen. Ich habe mehr Pole-Positionen als die meisten, ich sammle immer mehr Siege, und meine Leistung ist die beste. Wer jetzt nicht versteht, dass meine Vorbereitung stimmt, der wird es nie verstehen."

Unter den 200 Hamojis gibt es eine eigene Rubrik mit Fitness-Motiven, und reichlich Siegertänzchen dazu.

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