Formel-1-Weltmeister:Die späte Genugtuung des Rich Kids

F1 Grand Prix of Malaysia: Qualifying; Rosberg

März 2006: Der junge Nico Rosberg bei einem Shooting vor dem Grand Prix von Malaysia.

(Foto: Getty Images)

Nach zehn Jahren in der Formel 1 holt Nico Rosberg den Weltmeistertitel. Seine privilegierte Herkunft haftete ihm lange wie eine Vorstrafe an.

Von Dominik Fürst

Es gibt jetzt für die Kollegen beim Fernsehen eine Menge alte Videos hervorzukramen, zum Beispiel aus dem Jahr 2011, als Nico Rosberg im Aktuellen Sportstudio davon träumte, einmal als Schnellster über einen Formel-1-Parcours zu düsen. "Es wäre natürlich gigantisch, in einem Silberpfeil ein Rennen zu gewinnen", schwärmte Rosberg vor Moderatorin Katrin Müller-Hohenstein; zu dem Zeitpunkt fuhr er schon seit fünf Jahren in der Formel 1.

Oder ein Filmschnipsel aus dem Jahr 1995, auf dem der neunjährige Rosberg mit Hasenzähnen und Grübchen im Kinn vor der Kamera steht und erzählt, dass er jetzt Kartfahren lernen und dann bald wie sein Vater "versuchen möchte, Weltmeister zu werden". An dieser Stelle müssten ein Schnitt und ein Sprung ins Jahr 2016 nach Abu Dhabi folgen, wo der Mercedes-Pilot Nico Rosberg am Sonntag - nach zwanzig Jahren Renntraining und zehn Jahren als Fahrer in der Formel 1 - seinen ersten Weltmeistertitel feierte.

Im Jahr 2000 wird Rosberg Vize-Europameister in der Formel A - hinter Hamilton

Rosberg, 31, ist nach Michael Schumacher und Sebastian Vettel der dritte deutsche Fahrer, der den bedeutendsten Titel im Motorsport errungen hat. Er dürfte allerdings der Erste sein, der schon mit dem Vorsatz, Weltmeister zu werden, auf die Welt gekommen ist. Rosberg wurde 1985 in Wiesbaden geboren, drei Jahre nachdem sein Vater Keke, ein Finne, in einem Williams-Rennwagen Formel-1-Weltmeister geworden war. Der Junge wuchs auf Ibiza und vor allem in Monaco auf, materielle Sorgen gab es bei den Rosbergs nicht - ein Privileg, das dem Rennfahrer bisweilen wie eine Vorstrafe anhaftete.

Rosberg stamme nicht "aus der Street-Fighter-Szene wie die Champions Schumacher, Alonso, Vettel oder Hamilton, also gestählt durch den Existenzkampf zu Beginn ihrer Karriere", hat die FAZ einmal geschrieben und dem "Sohn des geschäftstüchtigen und raubeinigen Weltmeisters Keke" immerhin den Ehrgeiz zugestanden, aus seinen hervorragenden Voraussetzungen auch das Beste zu machen. Rosberg konnte in all den Jahren noch so akribisch trainieren und über die Technik seines Wagens grübeln, der Vorwurf der privilegierten Herkunft blieb an ihm kleben.

Seine Karriere begann er mit zehn Jahren in einem Kart, im Jahr 2000 wurde er in der Formel A Vize-Europameister - hinter seinem späteren Teamkollegen und Dauerrivalen Lewis Hamilton. Mit sechzehn Jahren wechselte Rosberg in den Formelsport, er gewann im Team seines Vaters in der Formel BMW seinen ersten Meistertitel. Es folgten Engagements in Formel 3 und GP2, aber der Weg, der ja vorgezeichnet war, führte ihn 2006 in die Formel 1, zum Rennstall Williams, für den schon sein Vater angetreten war.

Rosberg versus Hamilton - die Dauerfehde der vergangenen Jahre

Die Geschichte von Nico Rosberg hätte mit etwas Pech auch zur Geschichte des ewigen Verlierers werden können. Es dauerte 111 Grand Prix und einen Rennstallwechsel, ehe er im Jahr 2012 mit dem Großen Preis von China erstmals ein Formel-1-Rennen gewann. Es war die dritte Saison, in der Rosberg zusammen mit Michael Schumacher das Mercedes-Pilotenpärchen bildete. Den Altmeister schlug er punktemäßig in jeder Saison, und als sich Schumacher in den Ruhestand verabschiedete, übernahm der Brite Hamilton, der mit McLaren schon einmal Weltmeister geworden war, das freie Cockpit.

Damit begann die Formel-1-Dauerfehde der vergangenen Jahre: Rosberg, das rich kid, gegen Hamilton, den Jungen aus den einfachsten Verhältnissen, oder auch: der Nachdenker gegen den Intuitiven - Zuschreibungen nah an Stereotypen, aber die Formel 1 braucht eben Aufmerksamkeit. Im direkten Duell hatte Hamilton lange Zeit die Nase vorne. 2014 und 2015 wurde der Brite vor Rosberg Weltmeister. Weil die Tüftler bei Mercedes ihren Piloten jedes Jahr bessere Autos zur Verfügung stellten, gewann das Team nun auch zum dritten Mal nacheinander die Konstrukteurs-Weltmeisterschaft.

Dass Rosberg zum ersten Mal die Fahrer-WM für sich entschied, könnten Hamilton-Fans auf einige technische Aussetzer zurückführen, die in dieser Saison tatsächlich nur den Wagen des einen Mercedes-Piloten trafen. Man kann den Erfolg des Deutschen aber auch als verdiente Genugtuung nach jahrelanger Wartezeit deuten.

Rosberg hat sich über die Jahre stetig verbessert

Zur Ironie von Rosbergs Triumphs gehört nämlich auch, dass er sich schon vorbeugend dafür rechtfertigen musste. "Wenn Nico den Titel gewinnt, wäre das gut für ihn und für Mercedes, aber es würde dem Sport nicht unbedingt etwas bringen, weil man über ihn nichts schreiben kann", sagte schon vor einigen Wochen der jeden Tag etwas älter werdende Formel-1-Geschäftsführer Bernie Ecclestone. Rosberg überließ es klugerweise Mercedes-Teamchef Toto Wolff, Ecclestones Äußerungen als "unfair gegenüber den Leistungen, die Nico gezeigt hat", zurückzuweisen.

In Wahrheit hat sich Rosberg in seinen zwanzig Jahren im Rennsport einfach stetig verbessert. Noch im vergangenen Jahr überlegte er, wie ihn Gehirntraining weiter voranbringen könnte, er übte Koordination, Reaktion - und positives Denken. "Ich habe noch nicht daran gedacht, dass ich verlieren kann", sagte Rosberg Ende Oktober vor dem Großen Preis der USA, "das wären mir definitiv zu negative Gedanken. Die würden mich sicher nicht schneller machen."

Vielleicht hat Nico Rosberg, dem privilegierten Jungen, der es trotzdem nicht immer einfach hatte, am Ende die Gelassenheit nach zehn Jahren in der Formel 1 zu seinem ersten Weltmeistertitel verholfen.

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