Formel 1: Teamorder:"Bis zu sechs Jahre Haft"

Die Formel 1 hat noch immer ein skurriles Problem mit der Teamorder. Vor dem Saisonfinale droht sogar ein brasilianischer Staatsanwalt seinem Landmann Felipe Massa - mit einer Haftstrafe. Sebastian Vettel plagen indes andere Sorgen.

Carsten Eberts

Eigentlich kann der Formel 1 nichts Besseres passieren: Noch zwei Rennen sind in dieser Saison zu fahren - am Sonntag in São Paulo und eine Woche später in Abu Dhabi - und theoretisch können noch vier Fahrer Weltmeister werden. Fernando Alonso, Mark Webber, Lewis Hamilton, Sebastian Vettel - für die Dramaturgie des Saisonfinals ist das eine nahezu perfekte Konstellation. Und sie erhält eine spezielle Würze, mit dem wohl bösesten aller Formel-1-Fachbegriffe: der Teamorder!

Felipe Massa

"Wenn es von mir abhängen sollte, dann werde ich mit Sicherheit helfen" - Felipe Massa hat wenig Probleme mit der Teamorder.

(Foto: AP)

Offiziell ist es den Fahrern verboten, einer solchen Wettkampfpolitik zu folgen - den Teamkollegen ohne echtes Überholmanöver passieren zu lassen, um ihm mehr WM-Punkte zu ermöglichen. Praktiziert wird die Stallorder dennoch: Im Juli etwa, beim Großen Preis von Deutschland, ließ Ferrari-Pilot Felipe Massa den in der WM besser platzierten Fernando Alonso ohne Gegenwehr überholen. Ferrari musste zum Rapport, zahlte letztlich 100.000 Euro Geldstrafe. Für den Weltverband Fia war der Fall damit erledigt - Alonso durfte seine Punkte behalten.

Diese für den Formel-1-Sport höchst unangenehme Geschichte ist nun um eine skurrile Note reicher: Vor dem Grand Prix in São Paulo hat der brasilianische Staatsanwalt Paulo Castilho allen Fahrern gedroht, die sich in Brasilien einer solchen Teamorder beugen könnten. Sie würden unter Umständen hart bestraft - mit einer Haftstrafe bis zu sechs Jahren.

Grund ist ein Passus im brasilianischen Recht, der besagt, dass Verfälschungen von Ergebnissen im Sport als Verbrechen zu werten sind. "Das bedeutet nicht, dass es passiert. Es liegt an den lokalen Behörden, die zuständig sind, zu entscheiden, ob gegen das Gesetz verstoßen wurde", sagte Castilho der Associated Press. Wie ernst seine Drohung zu nehmen ist, ist damit eher fraglich.

Die Warnung steht jedoch im Raum - und sie gilt insbesondere für Castilhos Landsmann Massa. Dessen Teamkollege Alonso hat am Sonntag als WM-Führender als einziger Fahrer die Möglichkeit, schon in Brasilien Weltmeister zu werden. Massa liegt fast hundert Punkte zurück. Sollte der Brasilianer in São Paulo kurz vor Schluss entsprechend vor Alonso positioniert sein, befände sich Ferrari wieder einmal in einem rechtlich-moralischen Konflikt.

Staatsanwalt hin oder her: Dass Massa Alonso im Notfall helfen würde, steht außer Frage. Schon vor vier Monaten in Hockenheim erhielt Massa einen entsprechenden Funkspruch: "Fernando ist schneller als du. Kannst du bestätigen, dass du diese Nachricht verstanden hast?" Massa hatte verstanden. Heute sagt er: "Ich bin Profi und Teil eines Teams. Wenn es von mir abhängen sollte, dann werde ich mit Sicherheit helfen."

Auch bei Red Bull wird eine mögliche Stallregie diskutiert - jedoch unter anderen Vorzeichen. Denn wie soll eine Teamorder funktionieren, wenn sich nicht mal die Teamkollegen einig sind? Als einziger Rennstall hat Red Bull zwei Fahrer, die theoretisch noch über Titelchancen verfügen. Hier liegt das Problem: Sebastian Vettel begreift sich nach wie vor als vollwertigen Fahrer, nicht als Nummer zwei, obwohl sein Rückstand auf Teamkollege Webber bereits 14 Punkte, auf Alonso gar 25 Punkte beträgt. Dass Vettel diesen Rückstand noch aufholen kann, glaubt kaum jemand. Außer Vettel.

Der sagt: "Ich sehe meine Chance noch. Fertig, aus. Wenn es soweit ist, wird man mir vielleicht sagen, was zu tun ist. Ob ich es dann hören will, ist etwas anderes." Der Deutsche kämpft weiter, stichelt, es hat etwas Verzweifeltes. Im Mai in Istanbul, als Vettel Webber überholen wollte, krachten beide ineinander und schieden aus. Diese Punkte fehlen ihnen heute auf Alonso.

Bei Webber stößt Vettels Haltung deshalb auf Unverständnis: "Wir haben eine große Chance auf den Titel und der Punktestand spricht eine klare Sprache. Wenn nicht jetzt, wann dann?" Vettel reißt lieber Witze. Vor dem womöglich entscheidenden Rennen sagt er: "Für den Fall, dass jemand Hilfe brauchen sollte, stehen genug Krankenwagen am Streckenrand bereit."

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