Formel 1:Trostpreis für den Wüterich

Wegen seiner ungezügelten Rennfahrernatur gerät Michael Schumacher zum Verlierer des Wochenendes.

Auch bei diesem Rennen ging es drunter und drüber: Flavio Briatore im Wettlauf mit Mikrophonen und Fernsehkameras. Der Chef des Renault-Rennstalls stürmte aus der Teamzentrale und sprintete nach links.

Michael Schumacher

Michael Schumacher

(Foto: Foto: Reuters)

Dann bremste er abrupt. Seine junge Begleiterin war nach rechts losgeeilt (vermutlich ein Problem der Stallstrategie), also schlug Briatore einen Haken, fluchte, und rettete sich schließlich in einen Fußgängertunnel.

Auf dem Parkplatz gegenüber stand sein Auto bereit, Briatore sprang auf den Beifahrersitz, die Dame schlüpfte ins Heck, der Chauffeur brauste davon.

Zu diesem Zeitpunkt waren noch zehn Runden zurückzulegen beim Großen Preis von Ungarn. Für gewöhnlich verbringt Flavio Briatore diese Phase eines Formel-1-Rennens am Kommandostand. Aber es gab nichts mehr zu kommandieren. Die Renault-Piloten Fernando Alonso und Giancarlo Fisichella hatten ihre Dienstfahrt auf dem Hungaroring schon unfreiwillig beendet.

Schumacher, der Verlierer des Wochenendes

Der Spießrutenlauf des Renault-Exzentrikers war nur ein kleines Detail in einem Knäuel aus Hektik und Aufregung, das im Lauf des Rennwochenendes immer dichter und verworrener wurde. Die Formel 1 kann eine riesige Intrigenküche sein. Wenn etwas passiert, debattieren alle darüber, verbreiten Gerüchte, heben Gefechtsgräben aus, scharen konspirative Runden um sich und versuchen, die Deutungshoheit an sich zu reißen.

So viel wie in Budapest gab es schon lange nicht mehr zu besprechen. Am Donnerstag das Verbot der Schwingungsdämpfer in den Renault-Boliden ("Verrat an den Franzosen?"). Am Freitag die Zurückstufung des WM-Führenden Alonso wegen gefährlicher Fahrweise im Training ("Nerven nicht mehr im Griff?"). Am Samstag die Strafe für Herausforderer Michael Schumacher, der sich nicht um Überholverbote scherte ("In die Falle getappt?").

Und schließlich das erste Regenrennen seit drei Jahren, das sich wie eine Miniatur dieser Geschehnisse entwickelte: Die gesamte Dramatik des Ungarn-Gastspiels wiederholte sich auf der Strecke noch mal in komprimierter Form. Hätte Flavio Briatore geahnt, welche Wendung das Ganze noch nehmen würde, hätte er sich vermutlich entspannt in sein Motorhome gesetzt und eine Zigarre geraucht.

Man notierte ein Podium der Exoten: Sieger wurde Jenson Button im Honda (sein erster Sieg im 114. Rennen), Zweiter Pedro de la Rosa im McLaren-Mercedes (sein erster Podiumsplatz), Dritter Nick Heidfeld im BMW-Sauber (der erste Erfolg für den neuen Rennstall). Viel wichtiger aber war: Der Abstand von Schumacher auf Alonso im Kampf um den Titel ist fast gleich geblieben, der Deutsche holte lediglich einen Punkt auf. Das machte ihn bei nur noch fünf ausstehenden Rennen zum Verlierer des Wochenendes. Deshalb musste sich am Ende vor allem Schumacher erklären.

Ein Wüterich, der sein Hirn gegen eine Portion Sprit getauscht hat

In Michael Schumacher brodelte es. Er presste den Kiefer zusammen, um ein bisschen Energie loszuwerden, man hätte ihm jetzt eine Axt in die Hand drücken können - er hätte wahrscheinlich alles kurz und klein gehackt in der Ferrari- Garage. "Es hätte noch viel schlimmer für uns ausgehen können", sagte er geschäftsmäßig. Aber in Wahrheit war Schumacher stinksauer - auf sich selbst, wie sein Umfeld zugab. Am Ende hätte es nämlich viel besser für Ferrari ausgehen müssen - wenn Schumacher sich auf dem Asphalt nicht aufgeführt hätte wie ein Wüterich, der sein Hirn beim Boxenstopp gegen eine Portion Sprit getauscht hat. Auch wenn man wohl zugestehen muss, dass ein paar Schwächen von Technik und Strategie das Rennen ebenfalls entscheidend beeinflusst haben.

"Es war ein Lotteriespiel", sagte der Ferrari-Teamchef Jean Todt, und man musste hinzufügen: eines, bei dem alle gleichzeitig in der Lostrommel rühren. Wann hatte man eigentlich das letzte Mal auf Regen- und Allwetterreifen getestet? Kaum ein Team konnte sich noch recht erinnern. In den Pfützen von Budapest waren die Bridgestone-Pneus, bei Hitze noch der Garant für Ferrari-Siege, gegenüber Michelin im Nachteil. Nur deshalb konnte Alonso von seinem Straf-Startplatz 15 bis nach vorne brausen, während sich Schumacher von Straf-Startplatz 11 ebenfalls verbesserte - doch dann lange hinterher rollte.

Aber es ist eine Eigenheit des Deutschen, dass er sich auch dann in Positionskämpfe verstrickt, wenn er heillos unterlegen ist. Erst kabbelte er sich mit Fisichella - prompt musste er sich einen neuen Frontflügel abholen. Das war noch mit dem Ehrgeiz zu rechtfertigen, Alonso zu verfolgen. Doch nachdem der Spanier wegen zwei defekter Radmuttern ins Kiesbett gerauscht war, hätte Schumacher bloß ins Ziel rollen müssen, um den Abstand in der WM-Wertung deutlich zu verkürzen. Nun jedoch war er ein Opfer der Teamstrategie, auf Trockenreifen zu verzichten. Hinter ihm drängelten die schnelleren de la Rosa und Heidfeld.

Die Hormone sprudeln

Schumacher hätte nüchtern nachdenken können: beide überholen lassen, sicher Vierter werden und fünf Punkte kassieren. Stattdessen ließ er die Männlichkeitshormone entscheiden, rauschte mit Heidfeld zusammen, und musste mit gebrochener Spurstange drei Runden vor Schluss in die Box rollen. "Ich bin eben wie ich bin. Da wird gekämpft bis zum Schluss - bis sich nichts mehr dreht und nichts mehr geht", sagte Schumacher, räumte aber ein: "Im Nachhinein hätten wir es vielleicht anders machen sollen."

Anfangs wurde er punktlos als Neunter gewertet. Weil Robert Kubicas BMW zwei Kilogramm zu leicht war, rückte er noch auf Rang acht vor und bekam als Trostpreis einen Zähler gutgeschrieben. Er hat derer nun 90, Alsono 100. Zufrieden konnte keiner von beiden sein.

Kurz nach Ende des Rennens hüllte dann die Sonne das Fahrerlager wieder in ein mildes Abendlicht und die Wolkentürme zogen über die Hügel am Horizont davon. Ein bisschen schien es, als seien sie nur zu einem ganz bestimmten Zweck hier gewesen: um den Konkurrenten auf dem Weg zur Weltmeistertitel eine Prüfung aufzuerlegen. Dann lautete das Fazit: Nicht bestanden.

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