Formel 1:Temperamentvoller Rammbock in Rot

Azerbaijan F1 Grand Prix

Uneinsichtig: Sebastian Vettel.

(Foto: Getty Images)
  • Sebastian Vettel rammt seinen WM-Rivalen Lewis Hamilton beim Großen Preis von Aserbaidschan mit voller Absicht und gibt sich uneinsichtig.
  • Der Vorfall dürfte das Verhältnis der beiden Formel-1-Piloten verschlechtern, deren harmonischer Umgang zuvor überraschte.
  • Häuft Vettel weitere Punkte in der Fia-Sünderkartei an, droht ihm eine Sperre.

Von Philipp Schneider

Es ist nicht allzu lang her, da saß Lewis Hamilton am Hafen von Monte Carlo in seinem gemütlichen, silbernen Motorhome und redete über Sebastian Vettel wie über einen Freund. Ach was, eigentlich redete Hamilton sogar so, als sei Vettel eine Respektsperson, die ihn in den schwierigen Phasen seines Rennfahrerlebens als feiner Sportsmann begleitet hatte. Vettel, der viermalige Weltmeister. Vettel, der Spitzenpilot, der endlich mal wieder in einem konkurrenzfähigen Rennwagen sitze, was ja für die ganze Formel 1 ein Segen sei. Vettel und Hamilton, sagte Hamilton in Monte Carlo, sei so wie Federer gegen Nadal. Die allerhöchste Kunst des fairen sportlichen Wettbewerbs. Und weil sich auch Vettel ähnlich über Hamilton äußerte, war es am Hafen von Monte Carlo für Liebhaber der fairen, wenngleich deftigen sportlichen Auseinandersetzung kaum auszuhalten, wie sich die zwei WM-Konkurrenten mit sanften Worten verbal massierten.

Aber damit ist seit Sonntag Schluss. Und vielleicht war es nur eine Frage der Zeit, ehe Hamilton, der ja im Vorjahr noch in Nico Rosberg den Feind im eigenen Stall wähnte, nun seinen Antagonisten bei Ferrari finden würde.

Am Sonntag hat Hamilton über Vettel gesagt: "Wenn er zeigen will, dass er ein Mann ist, soll er aus dem Auto steigen, und wir machen es von Angesicht zu Angesicht." Und auch Niki Lauda, Hamiltons Vorgesetzter bei Mercedes, meinte: "Irgendwann wird Lewis ihn schlagen. Nicht mit dem Auto, sondern mit der Faust." Bei Lauda weiß man zwar nie, ob er so was ernst meint oder nur im Spaß einfach mal raushaut, doch allerhand war das schon. Es war allerdings auch allerhand geschehen in diesem chaotischen Rennen in Aserbaidschans Hauptstadt Baku.

Am Sonntag läuft die 19. Runde, die Rennleitung hat den Fahrern gerade die Erlaubnis zum fliegenden Wiederstart nach einer Safety Car Phase mitgeteilt (der bereits zweiten in diesem Rennen), Hamilton biegt, gefolgt von Vettel, aus einer Kurve. Der Brite sieht vor sich das Sicherheitsfahrzeug, geht leicht vom Gas, um Abstand zu ihm zu gewinnen. Vettel allerdings gibt Gas und rasselt Hamilton ins Heck.

Anstatt sich zu entschuldigen, wie man es als höflicher Verkehrsteilnehmer und Verursacher eines Auffahrunfalls vielleicht macht, zieht Vettel links vorbei an Hamilton, beginnt wild zu gestikulieren, um dann seinen Ferrari mit voller Absicht in die Seite des Mercedes zu rammen. Mit so viel Wucht, dass die Vorderräder des Ferrari den Kontakt zum Boden verlieren. "Ich war mit der Art und Weise, wie er gefahren ist, nicht zufrieden. Ich bin dann neben ihn gefahren und habe ihm das gezeigt", sagte Vettel nach dem Rennen. Das war eine satte Untertreibung. Damon Hill, Weltmeister von 1996, meint: "Wenn du sowas im Straßenverkehr machst, wirst du verhaftet."

"Wir sind Männer hier, wir sind nicht im Kindergarten"

Der WM-Führende bekam für diese grobe Unsportlichkeit von Rennleiter Charlie Whiting lediglich einen Zehn-Sekunden-Boxenstopp als Strafe aufgebrummt, weswegen Vettel als Vierter sogar seine Führung im Gesamtklassement noch ausbauen konnte gegenüber Hamilton, der direkt nach dem Deutschen ins Ziel rollte - nachdem er die Führung verloren hatte, weil er seinen lockeren Nackenschutz bei einem Boxenstopp anschrauben lassen musste, der 4,2 Sekunden länger dauerte als jener von Vettel. Der bekam zwar noch Punkte im Sündenregister des Weltverbands Fia, in dem er mit neun Punkten nun ebenfalls die Führung übernommen hat. Erhöht sich diese Zahl auf zwölf, wird Vettel für ein Rennen gesperrt. Nach dem Grand Prix von Österreich am 9. Juli verjähren allerdings zwei von Vettels Strafpunkten aus der Vorsaison. Es ist ein bisschen wie beim Strafregister in Flensburg. Von Einsicht oder gar Reue war nicht viel zu spüren bei Vettel. "Wir sind Männer hier, wir sind nicht im Kindergarten", sagte er zu seinem Rempler. Trotzig äußerte er immer wieder sein Unverständnis über das Urteil der Rennrichter. Vettel fand, dass Hamilton ebenfalls hätte bestraft werden müssen.

Nun kann man natürlich in den Archiven der Formel 1 kramen und versuchen, ähnliche Rempeleien zu Tage zu fördern. Aber gab es so einen Fall schon mal? Einen Fahrer, der mit Vorsatz in den Wagen eines Kollegen rummst - während das Safety Car auf der Strecke ist? Okay, da gab es mal Juan Pablo Montoya und das Rennen in Monte Carlo 2004. Der Kolumbianer fuhr während einer Safety-Car-Phase in das Heck von Michael Schumacher. Der Deutsche lag in Führung, stieg im Tunnel ungewöhnlich heftig auf die Bremse, Montoya realisierte das zu spät. Und raus war Schumacher. Absicht war das aber nicht von Montoya. Allenfalls etwas ungeschickt.

"Fuck off! Fuck off!"

Für Vettel sah das Fahrverhalten von Hamilton ebenfalls aus wie ein Bremsmanöver, so argumentierte er jedenfalls. "Der Führende diktiert die Geschwindigkeit. Wir kamen aus der Kurve raus und dann hat er so stark gebremst, dass ich nicht mehr rechtzeitig anhalten konnte", sagte Vettel. Allerdings widersprach dieser Version nicht nur Hamilton, sondern auch die Datenauswertung: Das Fachmagazin auto motor und sport ermittelte, dass Hamilton bei allen drei fliegenden Starts an der Unfallstelle innerhalb von 3 km/h die gleiche Geschwindigkeit gefahren sei. Er ging dort immer vom Gas, hat aber nie gebremst.

Noch immer könnte Vettels Vergehen vor das internationale Sportgericht der Fia und deren Präsidenten Jean Todt gebracht werden. Vergangenes Jahr in Mexiko, als sich Vettel per Funk über Max Verstappen beschwerte, weil der ihn mit illegalen Mitteln am Überholen gehindert habe, beleidigte er auch Rennleiter Whiting ("Hier ist eine Nachricht für Charlie: Fuck off! Fuck off!"). Damals hatte Todt Vettel geschont und "ausnahmsweise" nicht das Sportgericht alarmiert. Diesmal könnte sich Vettel über eine Strafe kaum beschweren.

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