Formel-1-Start in Australien:Vettel, der schnellste Pizza-Bote

Australia Formula One Grand Prix

Cool vor dem Saisonstart: Sebastian Vettel.

(Foto: dpa)

Im zweiten Jahr bei Ferrari will Sebastian Vettel um den Weltmeister-Titel mitfahren. Er muss sogar: Der Rennserie droht sonst ein weiteres Jahr Mercedes-Dominanz.

Von René Hofmann, Melbourne

Sebastian Vettel ist in Erklärungsnot. Inzwischen ist es schon eine kleine Tradition geworden, dass er seinem Rennwagen einen Spitznamen gibt. Seit seiner ersten vollen Formel-1-Saison 2008, damals noch im unterlegenen Toro Rosso, ist eine hübsche Sammlung zusammengekommen. Vettels Gespielinnen hießen mal wie Porno-Sternchen ("Luscious Liz", "Randy Mandy"/20 10) oder untergewichtige Top-Models ("Hungry Heidi"/2013), sie kamen als Geschwister daher ("Kate" und "Kate's Dirty Sister"/2009) oder trugen schlichte, kurze Frauennamen ("Julia"/2008, "Suzie"/2014, "Eva"/2015). Nach einer Pizza aber war noch keine benannt.

"Margherita": Wie in aller Welt er denn darauf gekommen sei, den exklusivsten Ferrari schlechthin nach dem dürftigsten Teigteppich überhaupt zu benennen, muss Vettel sich beim öffentlichen Auftritt mit fünf seiner Formel-1-Rivalen vor dem Großen Preis von Australien (Start Sonntag 6 Uhr deutscher Zeit) fragen lassen. Woraufhin sich sein einstiger Red-Bull-Rivale Daniel Ricciardo direkt neben ihm das Lachen nicht verkneifen kann und prustend hervorstößt: "Na eben - wegen der Pizza!" Nein, nein versichert Vettel ernsthaft. Es gebe da doch auch noch einen Drink, der so heiße. Und überhaupt: Erst einmal sei Margherita ja ein Name. Die letzte italienische Königin beispielsweise habe so geheißen. Und die habe eine Krone getragen, was irgendwie passe, weil auch er den Ferrari, der offiziell nur das Kürzel "SF16-H" führt, am Ende des Jahres mit goldenem Schmuck krönen wolle.

Vettel hat schon überzeugendere Vorträge gehalten.

Wie sehen die Kräfteverhältnisse 2016 aus?

Mit dem Gastspiel in Melbourne an diesem Wochenende beginnt die längste Saison, die die Formel 1 je erlebt hat. 21 Rennen sind bis zum Finale Ende November in Abu Dhabi geplant. Für Vettel ist es das zweite Jahr in Rot. Die Premierensaison mit Ferrari lief besser als gedacht. Drei Siege: Vettel war der einzige, dem es 2015 glückte, den Triumphzug der Mercedes-Fahrer Lewis Hamilton und Nico Rosberg zu stören. Was er sich für dieses Jahr vorgenommen hat? Den Titel, antwortet Vettel ohne zu zögern, "nur Mitrollen finde ich ein bisschen fad". Die Frage bekommt er zurzeit öfter gestellt. Gelegentlich variierte er seine Replik ein wenig. Eine Alternative lautet: "Wir wollen nicht länger die Jäger sein, sondern die Gejagten."

Dass der Wagen mit der Startnummer fünf direkt zum Überholen ansetzt, gilt allerdings als eher unwahrscheinlich. Dafür war der Rückstand im vergangenen Jahr zu groß. Und das erste Rennen gilt auch nur bedingt als Maßstab. Weil der Grand Prix im Albert Park auf Straßen ausgetragen wird, auf denen sonst der normale Verkehr rollt, ist die Herausforderung eine besondere. Im ersten Training rollte Vettel auf Platz drei ein - hinter Rosberg und Hamilton.

Auch der Daimler-Chef wünscht sich einen starken Vettel

Ein klares Bild der Kräfteverhältnisse wird sich wohl erst bieten, wenn die Formel 1 auch in Bahrain (3. April) und Schanghai (17. April) ihre Runden gedreht hat. Aber die allgemeine Erwartung ist, dass es enger wird. "Wir werden uns mit Ferrari eine echte Schlacht liefern", prophezeit Titelverteidiger Lewis Hamilton, 31, und sein zweitplatzierter Teamkollege Nico Rosberg, 30, hat bei den Testfahrten gespürt: "Ferrari ist sehr nahe gerückt." Vettel, 28, spricht allgemein von einem "guten Gefühl" und verspricht im Speziellen: "Vor allem in den Rennen sollten wir deutlich näher dran sein."

Vier Titel hat Vettel gesammelt: 2010, 2011, 2012, 2013. Er hat immer noch einen mehr als Hamilton. Das Trophäenkabinett erfüllt Vettel nicht nur mit Stolz, es verleiht ihm auch einen besonderen Status. Er ist derjenige, auf den sich zum Auftakt besonders viele Blicke richten - weil er als einziger angesehen wird, der das Mercedes-Duell sprengen und den Sport wieder in einen echten Wettbewerb verwandeln könnte. Selbst Daimler-Chef Dieter Zetsche träumt davon: "Ein Kampf zwischen unseren Marken wäre für die Formel 1 ideal", sagt er. Vettel gegen Mercedes: Das würde das ganze Fahrgeschäft beleben.

Vettel war im Winter fleißig

Dafür, dass er eine derart herausragende Figur ist, wirkt Sebastian Vettel dieser Tage erstaunlich gefasst. Der kindische Trotz, den er in seinem letzten, enttäuschenden Jahr mit Red Bull bei vielen Gelegenheiten zeigte, ist verschwunden. Längst ist keine Rede mehr davon, dass ihm die Formel 1 keinen Spaß mehr bereite. Der Wechsel nach Italien hat seine Lust auf die Raserei offenbar wiederbelebt - und das wiederum hat die schlingernde Scuderia zurück in die Nähe der Ideallinie gebracht. Vettel tritt auf, wie auch sein Vorbild Michael Schumacher einst auftrat: als disziplinierter, stets fordernder, öffentlich aber durchaus auch nachsichtiger Aufbauhelfer.

Fleißig sei Vettel im Winter gewesen, ist aus Italien zu hören. Auf wie viele ihm vertraglich zugesicherte Urlaubstage er verzichtet habe, will Vettel aber nicht verraten. Nur so viel: "Wir haben ein großes Ziel vor Augen. Und wenn es etwas zu tun gibt und ich helfen kann, bin ich da." Lediglich in einem hält er sich auffallend zurück, noch weit mehr, als es Schumacher einst tat: bei der Öffentlichkeitsarbeit. Kein einziges wirklich ausführliches Interview hat er im Winter deutschsprachigen Medien gegeben. Auch in Melbourne machte er sich rar. Vor dem Saisonstart trat der große Hoffnungsträger nur bei den obligatorischen Terminen auf, nicht zu einem mehr. In den vergangenen Jahren war das stets anders gewesen.

Sein Privatleben hält Vettel seit jeher strikt privat. Enger als er richtet aber keine andere Szene-Größe auch beim Beruflichen den Blick aufs Asphaltband. Kein Twitter, kein Facebook, kein Snapchat, kein Instagram. Am liebsten hätte Vettel statt eines technisch raffinierten Sechszylinder-Turbo-Hybrid-Motors auch noch einen laut röhrenden, Benzin saufenden Zwölfzylinder im Heck. Als Zukunftsminister der Rennserie eignet er sich nicht wirklich. Selbst über seinen Teamkollegen Kimi Räikkönen, der es geschafft hat, mit seiner wortkargen Stoffeligkeit in der Szene zur Kultfigur zu werden, lässt sich zwischen den Rennen über die sozialen Medien mehr erfahren.

Niemand spricht über Räikkönen

Von dem Finnen - 2007 immerhin der bisher letzte Ferrari-Weltmeister - spricht aber trotzdem kaum jemand, wenn es darum geht, wer über die Saison gesehen als Herausforderer taugt. Dafür war Räikkönen 2015 einfach zu schlecht. Vettel dominierte den 36-Jährige in allen Statistiken. Der älteste Fahrer im Feld bekam seinen Vertrag trotzdem um ein Jahr verlängert - versehen mit dem eindeutigen Hinweis von Teamchef Maurizio Arrivabene: Das sei ein klarer Vertrauensbeweis, und er hoffe, Räikkönen werde das Vertrauen zu gegebener Zeit in der passenden Währung zurückzahlen. Mit dem Versprechen, er habe prinzipiell nichts gegen eine Stallorder, hatte dieser sich zuvor schon für die Weiterbeschäftigung beworben.

Teamintern ist Vettel also die eindeutige Nummer eins. Die klare Rollenverteilung könnte am Ende der entscheidende Vorteil sein. Hamilton und Rosberg werden sich weiter nichts schenken. Und wie sich ihr Tête-à-Tête entwickelt, wenn sich regelmäßig ein Pizza-Bote dazwischen mischt - das ist eine spannende Frage.

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