Formel 1:45 Sekunden

Der mächtige Vorsprung und die technische Überlegenheit von Mercedes beim ersten Europarennen erschrecken die Konkurrenten.

Von René Hofmann, Barcelona

Lewis Hamilton wirkte gelangweilt. Während der Gewinner Nico Rosberg neben ihm sitzend erklärte, wie sehr er sich über seinen ersten Sieg in dieser Formel-1-Saison freue, richtete sein Mercedes-Teamkollege erst einmal seine Armbanduhr. Hamilton stellte die Zeiger, dann zog er das Uhrwerk auf. Und als er gefragt wurde, was dieser zweite Platz beim Großen Preis von Spanien für ihn bedeute, da sah er nur widerwillig von dem Chronometer auf, als er antwortete: "Schadensbegrenzung." Und: "Die Saison ist noch lang."

In der Formel 1 geht es ja immer um Zeit. Die Rundenhatz ist eine Jagd auf Hundertstel- und Tausendstelsekunden. Auf dem Circuit de Catalunya wird aber besonders gebannt auf die Stoppuhren geblickt. Die Strecke dient den Teams auch als Testrevier, alle kennen sie gut. Zudem gilt sie mit ihrem Mix aus schnellen und langsamen Kurven und ihrem sanften Auf und Ab als Referenzgröße. Dort zeigen sich oft die wahren Kräfteverhältnisse - und was von dem einen oder anderen Team noch zu erwarten ist.

Trotz der vielen neuen Teile von Ferrari wuchs der Rückstand

Mit dem Spanien-Grand-Prix kehrt die Formel 1 in ihre Heimat zurück. Nach den Gastspielen in Australien, Malaysia, China und Bahrain ist das Rennen das erste in Europa, wo alle Rennställe ihre Fabriken unterhalten. Und zu diesem Anlass bringen fast alle zahlreiche neue Teile an die Autos, die nach den ersten Eindrücken in weiter Ferne entwickelt wurden. In Spanien geht es quasi noch einmal los. Hier kann der Saisonverlauf eine neue Richtung nehmen. Damit aber ist in diesem Jahr nun nicht mehr zu rechnen.

Nico Rosberg, der von der Pole-Position aus ungefährdet dem Sieg entgegengestrebt war, wurde nach der Champagner-Zeremonie gefragt, was denn die größte Genugtuung für ihn sei? Dass ihm nach vier Niederlagen gegen Hamilton endlich ein Coup geglückt sei? Dass sein Rückstand in der Fahrerwertung nun nur noch überschaubare 20 Punkte betrage? Dass seine im siebten Monat schwangere Frau Augenzeugin des Triumphes gewesen sei? Ja schon, ja gut und ja klar, sagte Rosberg. Ein richtiges Leuchten aber schoss erst in seine Augen, als die Rede auf den gewaltigen Abstand zum Drittplatzierten Sebastian Vettel kam: Der war mehr als 45 Sekunden zurück. Aus so weiter Ferne hatten die Ferrari-Chauffeure 2015 noch keinen Mercedes-Triumph verfolgen müssen. "Das ist natürlich ganz wichtig, dass wir das Entwicklungsrennen für uns entschieden haben", freute sich Rosberg, der bekannte: Dass der Abstand derart groß ausfiel, sei "überraschend" gewesen.

Gerade einmal sechs Wochen ist es her, dass Sebastian Vettel der erste Sieg mit Ferrari glückte. Nach dem Erfolg beim Grand Prix in Malaysia hatte es so ausgesehen, als würden der viermalige Champion und seine neue Scuderia das Mercedes-Duo vielleicht sprengen und um den Titel mitfahren können. Das Rennen in Spanien entlarvte das als optische Täuschung. Obwohl Ferrari nicht wenige neue Teile mitgebracht hatte, wuchs der Rückstand. "Das war heute das Optimum", bekannte Vettel, "man muss anerkennen, dass sie zu schnell waren."

Das Optimum war vor allem deshalb ernüchternd, weil Vettels Teamkollege Kimi Räikkönen viele der neuen Teile aus seinem Auto gleich wieder ausbauen ließ und mit dem zurückgerüsteten Wagen erst eine Minute nach Rosberg als Fünfter hinter Williams-Fahrer Valtteri Bottas ins Ziel kam. Offensichtlich ist gar nicht eindeutig, was den Ferrari schneller machen könnte. Außerdem entmutigend: Alleine im letzten der drei Sektoren, in die jede Rennstrecke eingeteilt wird, sammelten die Ferraris rund eine halbe Sekunde Rückstand gegenüber Rosberg und Hamilton.

Der dritte Sektor des Circuit de Catalunya besteht aus sieben nicht besonders schnellen Kurven. Für die nahe Zukunft verheißt das nichts Gutes: Das nächste Rennen steigt auf einer Strecke, auf der es fast nur langsame Kurven gibt - am 24. Mai in Monte-Carlo. Und weiter mag Ferrari-Teamchef Maurizio Arrivabene noch gar nicht schauen. Bei der nächsten Gelegenheit danach geht es am 7. Juni dann in Montréal rund. Der Kurs dort weist zwar schnelle Passagen auf. Aber auch auf ihm ist etwas wichtig, was im dritten Sektor in Spanien ebenfalls gefragt ist: Traktion beim Beschleunigen. In den nächsten Rennen könnten sich die Perspektiven für die Roten deshalb weiter eintrüben.

An seinem Ziel - drei Siege 2015 - hält Arrivabene zwar fest, aber präventiv erklärt er bereits, wer dafür verantwortlich wäre, wenn es nicht klappen sollte: nicht die Fahrer, nicht die Motorentwickler, nicht die Aerodynamiker. "Ich trage die Verantwortung", erklärte Arrivabene ein wenig theatralisch.

Der Teamchef von Red Bull hat das Jahr bereits abgehakt

Im vergangenen Jahr glückten Hamilton und Rosberg in 19 Rennen 16 Siege. In diesem Jahr könnten es noch mehr werden. Nach fünf Auftritten haben die beiden jetzt 202 Punkte gesammelt. 2014 waren es zur gleichen Zeit 197. Ihre Autos sind weiter überlegen, sie sind aber noch zuverlässiger geworden. Und bis auf die Ferrari-Repräsentanten spricht überhaupt keiner mehr davon, einen Triumph anzustreben.

Williams-Co-Chefin Claire Williams wartet noch auf den ersten Podiums- besuch eines ihrer Fahrer in diesem Jahr und nennt den Saisonverlauf deshalb "ein bisschen enttäuschend". Red Bull ist als Vierter der Konstrukteurswertung mit 30 Punkten bereits so weit zurück, dass Teamchef Christian Horner das Jahr bereits "abgehakt hat", wie er selbst sagt. Der Australier Daniel Ricciardo war in Spanien der beste Fahrer eines blauen Autos; er wurde überrundeter Achter. "Nachdem, was wir heute gesehen haben, sind wir weit davon entfernt, in diesem Jahr auch nur ein Rennen gewinnen zu können", sagte Horner nach dem Rennen. Dann schaute auch er auf seine Uhr. Er wollte weg. Nur schnell weg.

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