Formel 1: Sebastian Vettel:Vom Wunderkind zum Wasserträger

War's das mit dem Traum vom WM-Titel? Formel-1-Pilot Sebastian Vettel muss nach zwei Patzern fürchten, zum Adjutanten seines Teamkollegen Mark Webber degradiert zu werden.

René Hofmann

Mark Webber ist ein freundlicher Rennfahrer. Der Australier lächelt häufig. Er ist höflich. Vielleicht hat er es in den acht Jahren, die er inzwischen schon in der Formel 1 fährt, auch deshalb nie über den vierten Rang im Gesamtklassement hinausgebracht. Rennfahrer müssen auch Rüpel sein, wenn sie Erfolg haben wollen - das ist ein ehernes Gesetz der Branche, und deshalb ist es recht interessant, Mark Webber augenblicklich zu beobachten. Genauer gesagt: Die Wandlung zu beobachten, die er anstrebt.

Formel 1 GP Belgien - Crash Vettel und Button

Sebastian Vettel (rechts) rammt Jenson Button von der Strecke.

(Foto: dpa)

Nach seinem zweiten Platz beim Großen Preis von Belgien saß der Red-Bull-Pilot im obligatorischen Gesprächskreis der drei Besten neben Renault-Fahrer Robert Kubica und Sieger Lewis Hamilton. Der McLaren-Fahrer hat die Führung in der WM-Wertung übernommen. Sechs Rennen vor Saisonschluss kommt Hamilton auf 182 Punkte. Webber folgt dichtauf mit 179 Zählern. Die Teamkollegen der beiden - Sebastian Vettel und Jenson Button - sind mit 151 und 147 weit zurück, weil sie in Belgien punktlos blieben.

Was das für den weiteren WM-Verlauf bedeuten könnte, wurden Hamilton und Webber gefragt. Hamiltons Antwort: "Jenson und ich werden weiter gleich behandelt werden." Webbers Antwort: "Red Bull hat noch keine so große Trophäen-Sammlung wie McLaren. Jetzt kommt es darauf an, wie hungrig wir sind. Vielleicht verfolgen wir deshalb eine andere Strategie als McLaren. Noch ist es dafür vielleicht zu früh. Aber viel fehlt nicht mehr, würde ich sagen."

Auf einer Welle gebremst

Deutlicher lässt sich die Nummer-eins-Rolle im Rennstall kaum einfordern. Und nachdrücklicher lässt sich dazu kaum auftreten. Fester Blick, feste Stimme, kein Lächeln - vom freundlichen Herrn Webber war in dem Moment wenig übrig geblieben. Vor allem für Sebastian Vettel könnte es deshalb für den Rest des Jahres ungemütlich werden.

Der 23-Jährige galt bisher als das Wunderkind der Szene. Und das völlig zurecht. Wer holt schon in seinem ersten Formel-1-Rennen gleich einen Punkt? Wie viele Fahrer haben schon in ihrer ersten kompletten Saison gleich ein Rennen gewonnen? Wie vielen bietet sich im zweiten Formel-1-Jahr die Chance auf den Titel? Wenigen.

In den jüngsten zwei Rennen aber ist Vettel auch in der Patzerstatistik auf einen Spitzenplatz gerückt: Beim Großen Preis von Ungarn vergab er den Sieg, mit dem er die WM-Führung hätte übernehmen können, weil er hinter dem Safety Car einen zu großen Abstand ließ, wofür er eine Durchfahrtsstrafe kassierte. In Belgien verschenkte Vettel eine zweistellige Punktezahl, weil er mit Button kollidierte. Damit könnte er nun bald der erste Formel-1-Fahrer sein, der zwei Weltmeister-Titel aus der Hand gibt, noch bevor er 24 ist.

Vettel weiß selbst, welche große Gelegenheit er in Spa vergab. "Was passiert ist, ist passiert", sagte er nach dem Rennen: "Natürlich bin ich nicht stolz darauf." Was genau passierte? "Ich habe die Kontrolle über das Auto auf einer Bodenwelle verloren, als ich bremste", gab Vettel an. Darüber, ob es an der Unfallstelle unerwartet nass war, was zu dem Crash beigetragen haben könnte, gibt es unterschiedliche Ansichten. Eher nein, meint die McLaren-Fraktion, eher ja, die Red-Bull-Belegschaft.

Weit spannender als die Frage, warum es just am Ende des 16. Umlaufs an der letzten Schikane des Circuit de Spa- Francorchamps zur unheilvollen Begegnung mit Button kam, ist die prinzipielle Mutmaßung, ob Vettel das Rennfahren ganz allgemein vielleicht ein bisschen zu forsch angeht.

Ja, findet der einstige Formel-1-Fahrer Hans-Joachim Stuck. Für ihn ist Vettel "offenbar noch nicht reif für den Titel". Ja, findet die britische Boulevard-Zeitung The Sun. Sie nannte Vettel einen "Crash-Kid-Dummy". Ja, findet auch Martin Whitmarsh: "Er macht es sich allmählich zur Gewohnheit, andere aufzuspießen", sagt der McLaren-Chef über den Red-Bull-Fahrer. Beim Türkei-Grand-Prix im Mai war Vettel mit Webber kollidiert. Whitmarsh weiter: "Er ist so ein Netter, aber er ist noch auf einer Lernkurve. Wenn du um den Titel fährst, darfst du so eine Aktion nicht machen."

Andere Fachleute sind dagegen weit nachsichtiger. Das deutsche TV-Verkehrsgericht wird angeführt von Christian Danner/RTL ("Es ist nicht so, dass er zu viel will. Er war einfach zu ungeduldig.") und Marc Surer/Sky ("Er wollte überholen, er war dran, und es ging schief. Da kann man ihm keinen Vorwurf machen. Hinterherfahren ist nicht seine Taktik, und das gefällt mir.")

Ein salomonisches Urteil sprach Michael Schumacher: "Das Schlimmste ist, wenn sogenannte Fachleute - und dazu darf ich mich zählen - anfangen, Tipps zu verteilen." Sein Rat an Vettel: "Abhaken, nach vorne schauen und weiterarbeiten. Das Jahr ist noch lang." Vettels Vorgesetzter, Red-Bull-Teamchef Christian Horner, versucht, ihm mit dem gleichen Ansatz Mut zu machen. "Es ist noch viel drin", prophezeit er.

Bis zum 14. November sind noch sechs Rennen geplant. In jedem erhält der Sieger 25 Punkte. Maximal kann einer sein Punktekonto damit noch um 150 Zähler aufstocken. Das weiß allerdings auch Mark Webber.

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