Formel 1: Sebastian Vettel:Noch einmal kalt anblasen

"Es gibt keinen Grund zu Verunsicherung": Vor dem Formel-1-Rennen in Valencia redet Sebastian Vettel die bevorstehenden Regeländerungen bewusst klein. Michael Schumacher urteilt weniger milde.

Elmar Brümmer

Der mächtigste Mann der Formel 1 hat keine Yacht, keine weiteren Milliarden-Symbole und keine Models um sich. Ihm reichen ein altmodisches Walkie-Talkie, ein dicker Ringordner voller Paragraphen und 33 Jahre Erfahrung im Kampf gegen alle Regelsünder des Gewerbes.

Formel 1: Sebastian Vettel: Was für ein "Tohuwabohu", sagt Sebastian Vettel.

Was für ein "Tohuwabohu", sagt Sebastian Vettel.

(Foto: AFP)

Die seltenen Momente, in denen Charlie Whiting, der Technische Delegierte des Automobilweltverbandes Fia, an die Öffentlichkeit tritt, beenden jedes Rennen: Der 59-Jährige schwenkt als ständiger Renndirektor meist die Zielflagge. An diesem Wochenende aber sorgt der Brite schon vor dem Großen Preis von Europa für Aufsehen: Mit einer von ihm unterzeichneten Verfügung könnte er der WM doch noch einen neuen Dreh geben - zu Lasten vor allem von Sebastian Vettel und Red Bull.

Das Katz-und-Maus-Spiel zwischen kreativen Ingenieuren und sturen Regelhütern ist das eigentliche Wettrennen im Grand-Prix-Sport. Immer dann, wenn eine technische Idee zu überlegen ist, geht Kommissar Whiting um. Er hat schon die Erfindungen Doppel-Diffusor und F-Schacht gekillt - und am Rennwochenende in Silverstone (8. bis 10. Juli) wird es auch jene Neuheit treffen, die Aerodynamiker "angeblasener Diffusor" nennen und die von Red Bull Racing perfektioniert wurde.

Schon in Valencia sind zudem die unterschiedlichen Motorenabstimmungen zwischen Qualifikation und Rennen verboten - noch so ein Red Bull-Trick. Die Ingenieure hätten es mit ihren Interpretationen zu weit getrieben, sagt die Fia. Die Formel 1 ist eine der wenigen Sportarten, in denen die Funktionäre während der Saison durch Regeländerungen in einen Titelkampf eingreifen können. Mercedes-Sportchef Norbert Haug kennt das Prinzip: "Die Formel 1 ist das Spiel mit der Kontroverse."

Sebastian Vettel lässt sich mit der Sicherheit von 60 Punkten Vorsprung von drohenden technischen Nachteilen nicht so schnell aus der Ruhe bringen. Selbst der Ausrutscher in der Schlussrunde beim letzten Rennen in Kanada, der ihn den sechsten Saisonsieg kostete, ist abgehakt: "Es gibt keinen Grund zu Verunsicherung."

Und die Technik-Diskussion weist er kokett als "Tohuwabohu" von sich: "Unterm Strich ist es für alle ein Schritt nach hinten. Die Teams, die unseren Auspuff kopiert haben, werden genauso wie wir leiden." Den High-Tech-Trick, den Red Bull bereits 2010 anwendete, will Vettel ungern erklären: "Es wäre viel zu kompliziert."

Grundsätzlich geht es um viel heiße Luft. Damit der Rennwagen mehr aerodynamischen Anpressdruck (Abtrieb) bekommt und besser liegt, werden zur Beschleunigung des Luftstroms die Auspuffgase auf das am Heck wieder aufsteigende Ende des Fahrzeugunterbodens, den so genannten Diffusor, geleitet.

Vettel, der Unschuldsengel

Damit dieser Druck auch dann gleichbleibend herrscht, wenn der Fahrer gerade kein Gas gibt, haben die Motorenhersteller elektronische Regelungen gefunden, die das simulieren, was früher als "Zwischengas" bekannt war und jetzt als "kaltes Anblasen" gilt. Die reine Aggregateinstellung zu verändern, ist der kleinere Teil der Aufgabe - schwieriger ist es nun, die gewagten Auspufflösungen (seitlich, nach vorn, unten) und die Unterböden zu verändern.

Mit einem Federstrich hat die FIA also erneut eine millionenteure Entwicklungsarbeit vernichtet. Im Rahmen der technischen Aufholjagd hatte zum Beispiel Mercedes gerade eine neue Unterbodenversion kreiert. Nun müssen alle Techniker erneut umdenken, obwohl das Diffusorsystem zum Jahresende hin komplett verboten wird.

Acht von elf Rennställen haben darauf vertraut, nach Red Bull gilt Mercedes als das Team, das die meisten Fortschritte gemacht hat - und Ferrari als jenes, das die Entwicklung verschlafen hat. Nach der üblichen Fahrerlager-Logik wird daher vermutet, dass die Italiener massiv auf das Verbot gedrängt haben. Teamchef Stefano Domenicali hat angekündigt, dass die zehn verbleibenden Rennen ab Silverstone für Ferrari als "zweite WM-Saison" gelten.

Fachleute glauben auch, dass Vettels Wagen in der Qualifikation besonders überlegen war, weil der Motor speziell verstellt wurde. Um die schnellste Runde zu erreichen, hat sein RB7 mehr Sprit verbrannt und eine stärkere Diffusoranströmung genutzt. Da man sich den erhöhten Verbrauch im Rennen nicht leisten kann, wurde diese Einstellung wieder zurückgenommen - von den Ingenieuren am Laptop oder den Fahrern am Lenkrad.

Vettel spielt den Unschuldsengel, er wisse nichts von einem Trick. Sein Teamchef Christian Horner will die Auswirkungen in Silverstone abwarten: "Wir wissen, welchen Vorteil wir sehen, aber wir wissen nicht, welchen Vorteil andere sehen. Das Geheimnis eines schnellen Autos ist aber niemals nur einer wundersamen Lösung zu verdanken."

Rekordweltmeister Michael Schumacher fehlt das Verständnis für derartige Regeleingriffe während einer laufenden Saison. "Es ist so wie im Straßenverkehr", sagt er, "man wundert sich, wenn plötzlich irgendwo ein Geschwindigkeitslimit verändert wird, und fragt sich, warum denn hier noch langsamer gefahren werden muss - aber besser, man hält sich daran."

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