Formel 1: Sebastian Vettel im Gespräch:"Konzentrier' dich auf dich!"

Formel-1-Weltmeister Sebastian Vettel über den Saisonstart in Melbourne, die Lehren aus seinem Erfolgsjahr, ein selbstverantwortliches Profi-Leben ohne eigenen Manager und seine Tränen im Kino.

René Hofmann

SZ: Herr Vettel, haben Sie das Gefühl, die Menschen würden erwarten, dass Sie sich jetzt verändern, jetzt, da Sie Formel-1-Weltmeister sind?

Australia Formula One Grand Prix

Beginnt am Sonntag in Melbourne sein Projekt Titelverteidigung: Weltmeister Sebastian Vettel.

(Foto: dpa)

Sebastian Vettel: Nein. Ich hatte einen anstrengenden Winter. Es gab viele Anfragen, ich habe viel gemacht, aber ich habe es genossen. In meinem Heimatort Heppenheim haben mich 10.000 Fans empfangen. Ich durfte mit meinem Formel-1-Auto am Brandenburger Tor fahren. So etwas erlebt man ja nicht jeden Tag. Aber ich habe nicht das Gefühl, dass deshalb jemand erwartet, künftig einen anderen Sebastian Vettel zu erleben.

SZ: Was hat Sie an dem Trubel am meisten überrascht?

Vettel: Das massive Interesse. Ich hätte nie gedacht, dass so viele Menschen verfolgen, was ich tue. Als ich gesehen habe, wie viele in Heppenheim auf mich gewartet haben, war das eine große Ehre.

SZ: Hatten Sie auch die Ruhe, über das nachzudenken, was beim Saisonfinale in Abu Dhabi im November passierte?

Vettel: In der Nacht nach dem Finale habe ich keine Minute geschlafen, so gut war die Party. Am nächsten Tag ging es zurück nach Europa. Wenige Tage später war ich schon wieder für Testfahrten in Abu Dhabi. Das war ein zehrendes Hin und Her. Erst Mitte Dezember wurde es ruhiger. Ungefähr zu der Zeit habe ich auch realisiert, was ich geschafft habe - als ich auf der Gala des Automobilweltverbandes in Monaco meinen Pokal bekommen habe, auf dem jetzt mein Name neben dem all der anderen Weltmeister eingraviert ist.

SZ: Haben Sie sich für den Titel etwas gegönnt?

Vettel: Ja, aber ich werde nicht verraten, was es ist. Nur so viel: Es ist weder ein Auto noch ein Flugzeug, es ist nicht so groß - und ich habe es noch nicht.

SZ: Sie könnten Ihrer Schwester ein Go-Kart kaufen. Als Ersatz für jenen Go-Kart, den Sie ihr damals, zu Kinderzeiten, weggenommen haben.

Vettel: Vielleicht, keine schlechte Idee.

SZ: Der Erfolg dürfte sich langfristig für Sie lohnen. Sie haben Ihren Vertrag bei Red Bull vorzeitig bis Ende 2014 verlängert. Ohne Manager. Warum ist es Ihnen so wichtig, auch in solchen Dingen alles selbst in der Hand zu haben?

Vettel: Meiner Meinung nach sollte ein Manager mehr sein als jemand, der nur einen Teil des Gehaltes einstreicht. Er sollte immer da sein und sich um einen kümmern. Dafür braucht es jemanden, dem man vertraut. Jeder hat ja seine eigene Geschichte. Bei mir war es einfach so, dass es früh Firmen gab, die mich unterstützt haben: Red Bull, BMW. Für mich war das eine sehr gute Situation. Ich musste zwar Resultate liefern, aber ich habe auch mitbekommen, wie es in solchen Firmen bei Verhandlungen zugeht. Irgendwann war ich alt und erfahren genug, um mich um mich selbst zu kümmern. Es ist ja nicht so, dass ich völlig auf mich alleine gestellt bin. Meine Familie, meine Freunde unterstützen mich, bei Verträgen auch ein Anwalt. Aber am Ende will ich die Entscheidungen treffen, es geht ja um mich, um mein Leben. Derlei aus der Hand zu geben, finde ich einfach nicht richtig.

"Da hilft nur die Wahrheit"

SZ: In der vergangenen Saison gab es eine schwierige Phase. Doch nach dem Großen Preis von Belgien, bei dem Sie mit Jenson Button kollidierten und ausschieden, setzten Sie zu einem beeindruckenden Schlussspurt an: drei Siege in sechs Rennen. Was ist da passiert?

Vettel: Im vergangenen Jahr gab es viel Auf und Ab. Die Lektion, die ich dabei gelernt habe, war: Konzentrier' dich auf dich! Es gibt immer Dinge, die nicht so gut laufen. Manche kann jeder sehen, andere nicht. Das Wichtigste ist, dass man ehrlich zu sich selbst bleibt. Wenn man ein schlechtes Wochenende hatte, einfach nicht schnell genug war, sich aber anlügt, andere Einflüsse dafür verantwortlich macht, dann wird es schwierig. Wenn ich Mist gebaut habe, habe ich kein Problem, mich zu entschuldigen.

SZ: Ein Beispiel, bitte.

Vettel: Als ich vor vier Jahren, als ich noch für Toro Rosso fuhr, in Fuji im Regen hinter dem Safety Car mit Mark Webber im Red Bull zusammengestoßen bin. Ich tat das nicht absichtlich, es war einfach ein doppelt dummer Fehler: Ich befand mich in einer tollen Lage und habe auch noch den Kollegen aus dem Schwester-Team abgeschossen. In so einer Situation bringt es nichts, Ausreden zu suchen. Da hilft nur die Wahrheit.

SZ: Ein Charakteristikum der Formel 1 ist es, dass alles immer weiter optimiert werden soll: Motoren, die Autos, auch die Menschen. Wo können Sie jetzt, als Weltmeister, noch besser werden?

Vettel: Oh, da gibt es viel! Wenn man einen Titel gewinnt, hat man sicher mehr richtig als falsch gemacht. Das heißt aber noch lange nicht, dass von jetzt an alles perfekt ist. So läuft das nicht, in keinem Sport. Wer die Sache so angeht, gewinnt genau ein Turnier, einen einzigen Titel. Das ist nicht mein Ziel. Ich will mehr gewinnen.

SZ: Womit wären Sie zufrieden, wenn Sie in ferner Zukunft einmal auf Ihre Karriere zurückschauen?

Vettel: Natürlich will ich gewinnen, deshalb trete ich an. Ich liebe Autos, ich liebe den Motorsport, ich liebe es, meinen Rennwagen zu bewegen. Aber ich brauche auch den Wettbewerb, sonst wird mir langweilig. Die Frage ist deshalb schwer zu beantworten: Ich denke, so lange man glücklich ist, kommt es nicht darauf an, wie viele Titel man ge-wonnen hat. Manche Menschen brauchen Erfolg, um glücklich zu sein, andere eine Familie. Ein bisschen ist das wie mit der Frage: Macht Geld glücklich? Es ermöglicht sicher, Dinge zu tun, die man gerne tut und die einen vielleicht auch glücklich machen. Aber braucht man Geld, um glücklich zu sein? Ich denke nicht. Vielleicht stellen Sie mir die Frage in 20 Jahren noch einmal, wenn Michael Schumacher 62 ist. Vielleicht fahre ich dann ja auch noch Formel 1.

SZ: Haben Sie mal hochgerechnet, wie viele Titel Sie sammeln können, wenn Sie so lange dabei bleiben wie Michael Schumacher?

Vettel: Nein. Die Formel 1 ist sehr komplex. Es muss viel zusammenkommen, um wirklich um den Titel kämpfen zu können. Dann zu gewinnen, vielleicht sogar zweimal, dreimal nacheinander, das ist ziemlich schwierig. Vor zwei Jahren, beim Grand Prix in Silverstone, war unser Auto überlegen. Ich gewann vor meinem Teamkollegen Mark Webber. Das war toll. Anschließend habe ich zu meinen Mechanikern gesagt: Stellt euch vor, das geht jetzt so viereinhalb Jahre lang - so muss es sich anfühlen, Michael Schumacher zu sein.

"Laufen mir die Tränen nur so runter"

SZ: Bedeutet es Ihnen viel, den Titel mit Red Bull errungen zu haben - einem Team, das noch nicht zu den etablierten Namen der Szene zählt?

Vettel: Egal, mit wem man gewinnt: Man ist Weltmeister. Aber wer sich einem etablierten Rennstall anschließt, kann eher erwarten, dass er das wird. In gewisser Weise ist man dort vielleicht einfach nur der Nächste in einer langen Reihe. Unsere Situation ist in der Formel-1-Geschichte dagegen ziemlich einmalig: Wir haben es in recht kurzer Zeit an die Spitze geschafft, als Kundenteam. Wir bauen das Auto, setzen einen Motor rein- und legen uns mit den anderen an.

SZ: McLaren-Fahrer Lewis Hamilton, einer Ihrer Vorgänger als Weltmeister, hat das kürzlich recht abfällig bewertet. Für ihn ist Red Bull "einfach nur eine Getränke-Firma".

Vettel: Nun, McLaren wohnt hier, in Melbourne, im Fahrerlager gleich neben uns. Wenn er Durst hat, kann er gerne vorbeikommen! Wir werden aber sicher nicht zu Ihnen gehen, um einen Rennwagen zu bekommen.

SZ: Sie haben gerade über Glück gesprochen. Wann in Ihrer Karriere waren Sie am glücklichsten?

Vettel: Den einen, den glücklichsten Moment, den gibt es nicht. Es sind viele. Der Moment, als ich das Rennen in Abu Dhabi gewonnen habe, war so einer. Oder der Moment, in dem das Team mir am Funk gesagt hat, dass ich Weltmeister bin. Die Preisverleihung Mitte Dezember in Monaco. Mein erster Sieg, 2008 in Monza. Wie ich dort auf dem Podium stand und gesehen habe, wie das Team und alle Fans durchdrehen: Diese Emotionen werde ich nie vergessen. Das sind Momente, in denen keine Worte nötig sind, und an die erinnere ich mich, nicht daran, wie sich das Auto an dem Tag angefühlt hat, oder ob alles funktioniert hat.

SZ: Mal ehrlich: Weinen Sie im Kino?

Vettel: Bei dem Film "Das Leben ist schön" laufen mir die Tränen nur so runter. Aber das ist eine Ausnahme. Normalerweise weine ich nicht, auch nicht vor Freude. Deshalb habe ich mich auch so erschrocken, als ich gehört habe, wie ich mit tränenerstickter Stimme am Funk geklungen habe, als mir das Team gesagt hat, dass ich Weltmeister bin: Das klang wie ein kleines Mädchen.

SZ: Wie oft haben Sie sich die Szene inzwischen angeschaut?

Vettel: Einmal.

SZ: Häufiger nicht?

Vettel: Nein. Zurückzuschauen - das liegt uns Rennfahrern nicht so.

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